30 Jahre Universität Passau, 1978 - 2008

Die "Maria vom Siege" - ein ärgerlicher Fehlgriff

Univ. Prof. Dr. Alf Mintzel

Im Jahre ihrer Eröffnung, 1978, hatte die neue Universität Passau zwei Probleme ihrer akademischen und gesellschaftlichen Repräsentation zu lösen. Sie musste nach innen zur Bildung einer „corporate identity“ ein Zeichen, Logo oder ein Wappen finden, das geeignet war, von allen Mitgliedern der Universität als symbolische Repräsentation akzeptiert und gebraucht zu werden. Dieses Zeichen, Logo oder Wappen musste zudem nach außen zur gesellschaftlichen Repräsentation der Universität regional, landes- und bundesweit brauchbar sein. Gewöhnlich wird der symbolischen Repräsentation einer Organisation oder Institution keine allzu große Aufmerksamkeit geschenkt. Diese „nebensächliche“ Angelegenheit ist jedoch, wie viele Beispiele zeigen, von großer funktionaler Bedeutung, zumal bei Neugründungen. Ein „Markenzeichen“ soll der Identität und Unterscheidung dienen und innere und äußere Identifikationsbedürfnisse erfüllen. Zumindest beim Gründungsakt einer neuen Institution wird die Einführung eines „Markenzeichens“ zu einem „hoheitlichen“ Akt mit Langzeitwirkung. Einmal gewählte „Markenzeichen“ werden gewöhnlich nicht mehr ausgetauscht. Sie sollen sich auf Dauer einprägen.

Die Leitung der neu gegründeten Universität Passau übernahm 1978 in einem Hauruck-Verfahren das Wappen der vormaligen katholischen Philosophisch-theologischen Hochschule Passau, die in die neue Universität als katholisch-theologische Fakultät integriert worden war. Im Zentrum des runden Wappens steht die „Maria vom Siege“. Es war wohl ein reflexionsarmer Traditionalismus, der wie selbstverständlich auf diese „Vorgabe“ zurückgreifen ließ. Später wurde hinter vorgehaltener Hand zugegeben, dass man sich nicht viel dabei gedacht hatte. Der Gründungssenat hatte die „schöne Maria“ in fünf Minuten zum Logo, Wappen und Siegel gemacht und in den Universitätshimmel gehoben. Die „Madonna“ suggerierte auch Altehrwürdigkeit und Unantastbarkeit. „Glaube und Vernunft“ schienen wunderbar versöhnt zu sein. Dann kam es 1989/90 zum wissenschaftlichen Sündenfall, der den Passauer Madonnen-Streit auslöste.

Ein Doktorand der Philosophischen Fakultät hatte mit seiner Doktorarbeit über die Ikonologie und Ikonographie der Passauer „Maria vom Siege“ für den Streit eine Steilvorlage geliefert. Mit seiner typengeschichtlichen Untersuchung hatte er der Universität unabsichtlich „Aufklärungsunterricht“ erteilt. Seine Arbeit wurde im Frühjahr 1990 sogar öffentlich prämiert. Die Laudatio ließ aufhorchen. Es kam heraus, dass diese „schöne“ Madonna historisch-ikonologisch eine martialische Bedeutung hatte. Sie stellt eine Variante der „Inmaculada militante“ der spanischen Inquisition dar. Das katholische Kultsymbol symbolisiert den Suprematie- und Primatanspruch der katholischen Kirche, die römisch-katholische Orthodoxie und Dogmatik, die Miterlöserschaft Mariä im Heilsplan, die angeblich unbefleckte Empfängnis und die unbefleckt empfangene Maria, die Ecclesia triumphans gegen Ungläubige und Häretiker und den Sieg der Gegenreformation über die Protestanten. Die Ikone war das „militante Triumphbild der Gegenreformation“ schlechthin. Es mag ja sein, dass einzelne historisch-ikonologische Bedeutungsinhalte sich inzwischen verflüchtigt hatten, doch wurde in der Universität die Frage laut, ob dieses Symbol für eine 1978 neu gegründete überkonfessionelle und konfessionsneutrale staatliche Universität wirklich „passend“ sei. Welche Wappen alte Universitäten in den Zeiten der Glaubenskämpfe eingeführt hatten, steht auf einem anderen Blatt. Die wissenschaftliche Neugier war geweckt und der Widerspruch dazu. Laut Kommentar zum Art. 4(2) des Bay. Hochschulgesetzes hat „die Annahme eines Wappens einen Programmcharakter.“ Es kam noch eine Peinlichkeit hinzu: Der universitätsamtliche Devotionalienhandel mit der Ikone. Diese Praxis hatte groteske Formen angenommen

Der amtlich vorgeschriebene Gebrauch der Ikone auf allen Veröffentlichungen und Briefköpfen der Universität wurde begleitet von der Verteilung und feierlichen Übergabe von „Identitätsprodukten“ wie Anstecknadeln, Autoplaketten, Wimpeln, Herrenschlipsen, Damentüchern, Wachsgüssen, Döschen, Bierkrügen und Glashumpen – allesamt mit diesem Glaubenssymbol verziert. Die Universität Passau fungierte gewissermaßen als „marianisches Hilfswerk.“ Je nach Würde und Anlass gab es in Wachs gegossenen Marien in drei Größen. Die „Maria vom Siege“ hatte auf dem blaufarbenen Grund der Herrenschlipse sinnigerweise einen Ehrenplatz etwa eine Handspanne über der erhabenen Männlichkeit des Geehrten und Gelehrten. Von trinkfreudigen Universitätsmitgliedern wurde mit Krügen und Humpen angestoßen, die mit der „Reinen“ und „Unbefleckten“ geschmückt waren. „Prost Maria!“ Universitätsmitglieder fragten, ob die Universitätsleitung die Institution des Wissens und Erkennens zu einem akademischen „Tuntenhausen“ verkommen lassen wolle. Der erzkonservative „Katholische Männerbund Tuntenhausen“ bezeichnet noch heute als seinen Vereinszweck, „in der gesamten Öffentlichkeit für die Vertiefung des katholischen Glaubens zu wirken und die katholischen Grundsätze überall zur Geltung zu bringen.“ Die Alma Mater Passaus vereinigte mit ihrem Devotionalienhandel das Heilige und Profane zur akademischen Imagepflege und aus schnöden Gründen des Marketings. Die Madonna sollte die lokale und regionale Spendenfreudigkeit anregen. Die „Siegerin in allen Schlachten Gottes“ war mit dieser Praxis zu einem Spottbild ihrer selbst geworden. Die Universität trug unwissentlich kräftig zur Sinnentleerung bei. „Anything goes“ war die postmoderne Devise. Das war auf Grund gewohnter Devotionalien-Praxis nicht einmal glaubenstreuen Katholiken aufgefallen. „So ist es nun einmal hier üblich.“ Es bedurfte eines rabiaten universitätsöffentlichen Widerspruchs, um diesem Treiben ein Ende zu setzen. Die Devotionalien verschwanden, um es kurz zu machen, klammheimlich über Nacht.

Dem Argument des Missbrauchs religiös-konfessioneller Symbole wurde im Begründungsnotstand das Traditionsargument entgegen gesetzt. Die Ikone sei seit langem im Wappen der vormaligen katholischen Philosophisch-theologischen Hochschule Passaus geführt worden. Aber auch dieses Gegenargument war nicht stichhaltig. Die vormalige katholische Bildungsanstalt hatte das Wappen mit der Ikone erst 1950, im „Heiligen Jahr“ der katholischen Kirche, zur Zeit des 74. Deutschen Katholikentages in Passau eingeführt. Es war das Jahr, in dem zudem das zweiten Mariendogma verkündet worden war, wonach die verstorbene Maria „mit Leib und Seele in die Prächtigkeit des Himmels aufgenommen“ worden sei. Das Wappen war folglich alles andere als ein alteingeführtes. Die steinerne Skulptur der „Inmaculada militante“, die in einer Mauernische des alten Passauer Jesuitenkollegs steht, war zuvor in kein Wappen aufgenommen worden. Die Philosophisch-theologische Hochschule hatte sich bis 1950 des bayerischen Staatswappens bedient. Darüber schweigt sich das aus Anlass der 30-Jahre-Feier in der Universität kursierende „Informationsblatt“ geflissentlich aus. Der Universitätssenat glaubt in aberwitziger Selbstherrlichkeit mit seiner Definition die religiös-konfessionelle Bedeutung der „schönen Maria“ aushebeln zu können, die eine Weltkirche in ihrem Weltkatechismus für jeden nachlesbar höchstamtlich festgelegt hat

Spätestens mit dem wissenschaftlichen Sündenfall der unbeabsichtigten „Aufklärung“ war 1989/90 evident, dass das Universitätswappen, das als Logo und Siegel geführt worden war, weder nach innen im Sinne einer „corporate identity“, noch im Außenverhältnis als „Markenzeichen“ gesellschaftlicher Repräsentation weiter geführt werden konnte. Die „Maria vom Siege“ war obsolet geworden. Sie hatte im Innenverhältnis der Universität ihre allgemein verbindliche Symbolkraft verloren. Akzeptanz und Konsens waren zerbrochen. Ihre gesellschaftliche Repräsentationsfunktion nach außen war in Widerspruch zur kognitiven Leitfunktion der Universität geraten. Die Situation war äußerst prekär, denn es war klar, dass mit einer Rücknahme des Wappens vor allem im Außenverhältnis der Universität lokale und regionale katholische Identitätsbedürfnisse verletzt würden. Es bedurfte härtester wissenschaftlicher Methoden und einer aufwendigen wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit, um einen universitätsamtlichen Entscheidungsprozess einzuleiten und skandalöse Diffamierungen und üble Drohungen abzuwehren. Die Universitätsleitung sah sich zum Handeln gezwungen und zog sich schrittweise aus der Affäre. Es dauerte 13 Jahre, bis sich die Universität nach heftigem Widerstand aus katholischen Kreisen ein neues, nun konfessionsneutrales Logo zulegte. Es blieb allerdings bei dem Wappen mit der katholischen Kampfmadonna. Sie dient noch heute als Siegel zur Beurkundung und auf Einladungskarten dem frommen Bekenntnis.

Apropos „Programmcharakter“! Der Universitätspräsident, so geschehen im Mai 2008, bedauerte in seinem universitätsamtlichen Schreiben an alle „Damen und Herren Professorinnen und Professoren“ unter seinem amtlichen Briefkopf, dass aus der Universität „eine stetig sinkende Zahl von Teilnehmern an der Fronleichnamsprozession“ zu beobachten sei. Er bat als Präsident „aus eigenem Entschluss“, „wieder um eine vermehrte Teilnahme, um unsere Verbundenheit mit Kirche und Stadt zum Ausdruck zubringen.“ Zwar fügte er hinzu, man möge sein Schreiben als gegenstandslos betrachten, „falls man sich davon nicht angesprochen“ fühle, aber der Brief war als höchstamtliches Schreiben auf Kosten des Universitätsetats an die gesamte Kollegenschaft versandt worden. Ist es Aufgabe eines Universitätspräsidenten, also des höchsten Vertreters aller Wissenschaftler, auf dem Amtsweg zu einer vermehrten Teilnahme an der Fronleichnamsprozession aufzurufen? Was der einen Seite recht ist, müsste der anderen Seite konsequenter Weise billig sein. Doch wird bei so viel freundlicher Verbundenheit nicht einmal die amtlich-neutrale Äquidistanz zu den Kirchen gewahrt „Selbstverständlich“ werden zum Reformationsfest die Kolleginnen und Kollegen nicht gebeten, wieder mehr am Gottesdienst teilzunehmen. Hinter vorgehaltener Hand wird darüber geschimpft oder gelacht, doch niemand wagt es, dagegen offen, geschweige denn öffentlich etwas zu sagen. Wie wäre es, einen Kirchenbeauftragten zu bestellen, anstatt die Fronleichnamsprozession zur Chefsache zu machen?

Der Bischof von Passau lädt alljährlich, so um den Tag „Mariä Empfängnis“ herum, alle Professorinnen und Professoren samt Partnern, es sind über hundert Personen an der Zahl, zu einem opulenten Abendmahl ein. Die hochamtliche Einladung erfolgt, unbemerkt von der Öffentlichkeit, nur an die gesamte Professorenschaft und an eine handverlesene Schar aus der Universitätsverwaltung. Die Tische des Bischofs sind jedes Mal reich gedeckt – nach dem Matthäus-Prinzip „Wer da hat, dem wird noch gegeben!“ Die fleißigen Mitarbeiter der Universität müssen draußen bleiben. Wie wäre es, diese Ausgaben bedürftigen Passauer Bürgern zugute kommen zu lassen?

Das alles wäre ja verhältnismäßig harmlos, wenn Kritiker nicht für dumm verkauft würden. So hatte die Universitätsleitung verbreiten lassen, die „Madonna“ habe keine religiös-konfessionellen Bedeutung mehr, sie sei reines Dekor, sie sei ein bloßes Zeichen wie der Mercedes-Stern. Wie könne man nur glauben, so fragten Kollegen, dass die Universitätsmadonna noch irgendwelche religiösen Botschaften mit sich trüge. Diese „Madonna“ liefe sich doch bei der fortschreitenden Säkularisierung von selber zu Tod. Wer auf die katholischen Traditionen und auf die Volksfrömmigkeit in Bayern verwies, wurde zum Narren gehalten. Man musste schon mit Blindheit geschlagen sein oder im Beweisnotstand zur Zwecklüge greifen, um in Bayern die religiös-konfessionelle Bedeutung einer „Madonna“ abzustreiten. Beides beschädigte eine Institution freier Wissenschaft. Die „Maria vom Siege“ wurde stillschweigend aus der Prächtigkeit des Universitätshimmels entfernt und zu ihrer Rettung an die Staatliche Bibliothek Passau überführt - Stoff für eine Satire.

Die Universität mag, wie die Bayerische Staatszeitung geschrieben hat, mit dem Kompromiss leben – nach jenem Prinzip, nach dem wir alle mit vielen Dingen leben: nicht hinschauen; wenn wir hinschauen: nichts wahrnehmen; wenn wir etwas wahrnehmen: nichts dabei denken. Von einer Universität darf man allerdings mehr erwarten. Die Universität Passau ist ein lernendes System, man darf dazulernen. Also ran an die Aufgaben: weniger Anpassung an tiefes Reflexionsniveau und wissenschaftsfremde Bedürfnisse, mehr vom hohen Baum der Erkenntnis essen! Auch mit dreißig Jahren ist die Universität noch nicht zu alt dazu.