1. Auf den Spuren der Speinsharter Schulmeisterfamilie Mintzel (16./17. Jh.)

Plötzlich stehen sie vor mir

„Eine Generation kommt und eine Generation geht“ (…) Da gibt es keine Erinnerung an die Früheren. Und an die Künftigen, die sein werden, auch an sie wird man sich nicht mehr erinnern, bei denen die später sein werden.“ So spricht der Prediger Salomon.

Der weise König spricht eine Wahrheit aus. Allerdings denkt er in weiten Zeiträumen, in vieltausendjährigen Zeitaltern. Im Wandel der Äonen wird alles Nichtigkeit und Windhauch. Niemand kennt mehr die Namen der Erbauer und Einwohner längst versunkener Reiche und Städte. Archaische Skulpturen blicken aus der Ferne herüber, Schöpfer und Dargestellte sind längst verblichen, ihre Namen unbekannt. Schon in der Gegenwart verklingen die Namen der allermeisten Menschen mit der Totenglocke und den Nachrufen.

Doch werden Menschen immer nach ihren Wurzeln fragen, nach den „roots“ suchen und ihre Herkunft und ursprüngliche Heimat erkunden wollen. Wir alle haben einen Ursprung in einem geografischen Raum, in einer Zeit, an einem Ort, in einer Gegend, in einem Kulturkreis und im Beziehungsgeflecht von Menschengruppen. Und dieser Ursprung hat wieder einen Ursprung, und so reiht sich Generation an Generation bis an den Punkt, von dem ab es keine Erinnerung mehr gibt an die Früheren. An diesem Punkt beginnen meine Erzählungen.

Die Gestalten, die ich hereinrufe in unsere Gegenwart, sind keine „Lichtgestalten“ ihrer Zeit. Es sind kleine Existenzen aus dem Volk, die im Bühnenhaus der Geschichte meist nur als lärmende Masse in pittoresken Gewändern vergangener Moden auftreten und anonym bleiben. Ich lasse sie einzeln, in Gruppen und Generationen für einen kurzen Moment aus dem Dunkel der Vergangenheit und der Vergessenheit heraustreten und stelle sie dem Leser vor. Ich ermögliche eine Begegnung der Schattenmenschen vergangener Zeiten mit uns. Mit der Schilderung ihrer Schicksale beschreibe ich unser kleines, unbedeutendes Dasein, unsere kurze Existenz zwischen dem Nichts davor und dem Nichts danach. Wir werden wie sie in das Reich der Vergessenheit eingehen. Vieles ist mir geradezu unheimlich gegenwärtig. Ich komme längst vergangenen Lebensläufen auf die Spur, ich beginne mich an die Gehirne verschwundener Generationen anzukoppeln und ihre Sinnorientierungen zu verstehen. Aus Daten werden Schatten, aus Schatten Schemen, aus Schemen Personen, und plötzlich stehen sie vor mir. Ich treffe sie auf ihren Wegen an. Ich besuche Erinnerungsorte, trete ein und lausche. Ich höre in den Echoräumen der Jahrhunderte Stimmen und Geräusche.

Woher sie kamen

Die kleine Buchdrucker- und Verlegerdynastie Mintzel, aus der ich stamme, hat ihren Ursprung in einem der zahlreichen kleinen Territorien und Herrschaftsgebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in der Oberen Kurpfalz, die heute im nordöstlichen Bayern liegt und die Oberpfalz genannt wird. In dem kleinen Klosterdorf Speinshart versieht der lateinische Schulmeister Johann Mintzel gut dreißig Jahre lang, von Ende 1580 bis in das Jahr 1611 hinein, seinen Dienst. Er stammt aus der kurpfälzischen Regierungsstadt Amberg und hat dort mehrere Jahre am kurfürstlichen calvinischen Pädagogium studiert. Am 12. Oktober 1580 hat er vor dem Kirchenrat sein Examen abgelegt. Der junge Schulmeister heiratet 1586 in Speinshart und zeugt mit seiner Frau, deren Namen und Herkunft nicht überliefert ist, zehn Kinder. Vier der Kinder sterben bereits im Säuglings- und Kindesalter. Die hohe Sterblichkeit ist damals ein kollektives Schicksal. Es gibt noch keine Mittel gegen todbringende Krankheiten.

Nur von drei Söhnen sind Namen, Geburtsort und Geburtsdatum überliefert, von zweien dieser Söhne wissen wir sehr viel mehr. Wir kennen ihre Lebenswege, ihre beruflichen Karrieren, ihr historisches Wirken und ihre Familien. Aus dem kleinen verschlafenen Klosterdorf sind keine prominenten Persönlichkeiten hervorgegangen. Speinshart ist nicht Geburtsort herausragender Gelehrter, Künstler und Politiker, geschweige denn von Geistesgrößen europäischen Formats. Zwei Söhne des Schulmeisters bringen es allerdings im protestantischen „Ausland“ zu beachtlichen Berufserfolgen: Johann Christoph wird 1622 ein evangelisch-reformierter Pfarrer, sein jüngerer Bruder, Johann Albrecht, 1625 ein renommierter Buchdrucker in Leipzig. Begeben wir uns auf Google-Suche und klicken auf unserem Rechner auf die Eingabe „Johann Albrecht Mintzel, Buchdrucker“, liefert uns das Internet Hunderte seiner Drucke und auch der späteren Druckerdynastie Mintzel. Im katholisch dahindämmernden Klosterdorf Speinshart sind diese Söhne des Ortes „nobodies“. Niemand kennt sie. Die Speinsharter Familie Mintzel hat sich zum „falschen Glauben“ bekannt. Die ältere lokale und regionale Geschichtsschreibung, die sich mit dem Prämonstratenserstift Speinshart und mit umliegenden Ortschaften befasst, stammt aus der Feder katholischer Autoren. Bis auf wenige Ausnahmen haben diese Geschichtsschreiber die protestantische Zeit zwischen 1556 und 1624/25 ausgespart und damit die protestantischen Pfarrer und Schulmeister, seien es Lutheraner oder Calvinisten, aus konfessionellem Eifer oder aus Desinteresse aus ihren Annalen verbannt. Sie haben diese als unerwünschte Personen aus dem kulturellen Gedächtnis der Orte gestrichen. In der lokalen katholischen Geschichtsschreibung ist die  protestantische Zeit zwischen der ersten Säkularisierung 1556/57 des Klosters und der völligen Annexion der Oberen Pfalz durch den bayerischen Kurfürsten Maximilian I. im Jahre 1628 „geschichtslos“ (Beispiele: Josef Scherl, 1940; Gustav Motyka, 1972).

Übergeben die kleinen lokalen Geschichtsschreiber geflissentlich die Häretiker dem Orkus der Vergessenheit, so tut die hohe Geschichtsschreibung das ihre dazu. Sie geht über die Mikrowelten und deren Alltagsleben, Beschränkungen und Scheußlichkeiten mit glättenden und übertünchenden Worten hinweg. Ihre Historiografie folgt nur erhabenen Ideen und Staatsgeschäften. Den gemeinen Mann und seine Sorgen verlieren sie oft aus den Augen. So ist unser kleiner Speinsharter Schulmeister Johann Mintzel durch die konfessionellen Sieblöcher der Geschichtsschreiber und Geschichtenerzähler ins Dunkel gefallen.

Ich will ihn und seine Familie aus ihrer Vergessenheit zurückholen, die Orte aufsuchen, aus denen sie gekommen sind, und sie dorthin begleiten, wohin sie gegangen sind. Ich will erzählen, was ihnen widerfahren ist und wie sie sich abgemüht haben unter der Sonne. Und ich werde die sonderbaren Begebenheiten schildern, die mich auf ihre Spuren gebracht haben. Ich fühle mich ihnen so tief verbunden, als lebte ich in Jahrhunderten. Ich teile mit Johann Albrecht Mintzel, dem Begründer der Druckerdynastie, die Kindheit in der Umgebung des alten Klosterortes. Er hat Anfang des 17. Jahrhunderts als Kind auf dem Platz vor dem Klostergebäude aus dem gleichen Brunnen Wasser getrunken wie ich in den Kriegsjahren 1943 bis 1945. Ich schlürfe das fließende Wasser aus meiner hohlen Hand und sehe mich in das 17. Jahrhundert versetzt. Manche sagen, das sei kein Zufall. Wir seien uns tatsächlich begegnet, sagen sie. Mein Vater hat mich 1935 nach einem Sohn des Speinsharter Schulmeisters Johann Mintzel benannt, nach Johann Albrecht Mintzel (1600-1653).

[Abbildungen: Speinshart, Ansicht des Klosterdorfes]

 

Lebensdaten von Johann Mintzel, Schulmeister in Speinshart/Oberpfalz von 1580 bis 1611

Genealogischer Steckbrief

Zur Vita von Johann Mintzel „aus Amberg“ liegen quellenbelegte Daten und indirekte Berichte vor, durch die sich seine Lebensumstände, Ausbildung und beruflichen Aufgaben relativ gut nachvollziehen lassen:

  • geboren um 1560, wahrscheinlich in Amberg.
  • gestorben 1611 in Speinshart.
  • Schreibweise des Familiennamens wie damals üblich uneinheitlich: Eigene Schreibweise des Schulmeisters: Mintzll, Minzll, Mintzel, Schreibweise von fremder Hand (behördlich): Minzelius, Mintzel, Müntzel, Müntzelius, Münzelius, Müntzl (auch Mentzel, Menzel).
  • Beruf: 1580 – 1611 kurpfälzischer lateinischer Schulmeister in Speinshart.

Elterngeneration:

Für den Lebenszeitraum der Eltern Johann Mintzels sind die Jahre von etwa 1530 bis 1600 anzusetzen. Über seine Eltern ist bisher nichts bekannt. Hierzu wäre einiges aus den Archivalien im Stadtarchiv Amberg zu erwarten. Eine Familie Mintzel beziehungsweise ein Bürger Mintzel soll, wie aus Urkunden hervorgeht, um 1524 von Coburg nach Amberg übergesiedelt sein. Es dürfte sich vermutlich um einen Großvater des Johann Mintzel gehandelt haben. Die Existenz einer Coburger Familie Mintzel im 16. Jahrhundert ist in Coburger Quellen verbürgt.

Ausbildung/Studium/Bestallung:

  • 1574 oder 1576-1580 Studium am kurfürstlichen Pädagogium in Amberg (in der Zeit der Regentschaft Ludwig VI., 1576 – 1583, der die lutherische Konfession durchzusetzen trachtete).
  • 10.1580 Examen am Pädagogium.
  • Ende 1580 Bestallung als kurpfälzischer lateinischer Schulmeister im Stift Speinshart.
  • Behördliche Überprüfung seiner Amtsführung bei der Kirchenvisitation vom 06.10.1582.

Berufsausübung / Bittschriften:

  • In seinen Bittschriften von 1591, 1606, 1607, 1608, 1609 und 1610 an die kurpfälzische Regierung in Amberg ersucht er um „Addition“, das heißt um finanzielle Zulagen und um zusätzliche Naturalien (Weizen, Gerste, Hafer); in den Gesuchen schildert er ausführlich seine Lebens- und Familienverhältnisse, zum Beispiel die Zahl seiner Kinder.

Ein Pfälzer aus Amberg:

  • Johann Mintzel bezeichnet sich in seinem Bittschreiben vom 30.06.1606 an die kurpfälzische Regierung in Amberg selbst „alß ein Pfälzer“.
  • Im kirchlichen Visitationsbericht vom 06.10.1582 heißt es: „Der Schulmeister Ist Müntzelius von Ambergk“.

Familiengründung / Familienverhältnisse:

  • 1586 Eheschließung (wahrscheinlich in Speinshart; Name der Ehefrau unbekannt, keine Überlieferung in einschlägigen Quellen).
  • Aus der Ehe gehen nach Mintzels Angaben 10 Kinder hervor, von denen 4 im Säuglings- oder Kindesalter sterben.
  • Von drei Kindern (Söhnen) sind Namen, Geburtsdaten und Geburtsort überliefert:
  • Johann Christoph Mintzel, geb. 1598 in Speinshart.
  • Johann Albrecht Mintzel, geb. 01.10.1600 in Speinshart.
  • Germanus Mintzel, geb. 07.03.1602 in Speinshart.
  • Es dürfte sich um die jüngsten Kinder aus der Ehe handeln. Im Jahre 1628 konvertiert in Speinshart ein Georg Menzel (Mintzel?) zum katholischen Glauben. Es könnte sich um einen der namentlich unbekannten Söhne Mintzels handeln, der in Speinshart geblieben und unter dem Druck der neuen dynastischen und konfessionellen Verhältnisse den Glauben gewechselt hat.
  • Von den Söhnen Johann Christoph (1598–1669) und Johann Albrecht (1600–1653) sind Lebenswege und berufliches Wirken bekannt. Johann Albrecht Mintzel ist der Gründer der Mintzelschen Buchdruckerei in Leipzig (1625) und in Hof / Saale (1642). Seine Nachfahren wirken in fünf Generationen als Buchdrucker und Verleger in Hof / Saale und Bayreuth. Sein Bruder Johann Christoph Mintzel studiert in Leipzig (1614) und Frankfurt an der Oder (1616) Theologie, kehrt um 1620 zurück in die Oberpfalz, wird dort 1620 Schulmeister in Freystadt, dann 1622–1625 ev.-reform. Pfarrer in Hausheim / Opf. Im Zuge der Rekatholisierung 1625 amtsenthoben. Er wandert nach Libbenichen bei Frankfurt a. d. Oder aus und wirkt dort bis zu seinem Tode (1669) als ev.-reform. Pfarrer (alle Daten und Belege in: Mintzel, 2011, Band I).

Todesjahr:

1611 ist höchstwahrscheinlich das Todesjahr des Speinsharter Schulmeisters Johann Mintzel. In den schlecht geführten, lückenhaften Kirchenbüchern ist kein Eintrag zu finden, doch gibt es zwei indirekte Bestätigung des Todesjahres: Der Nachfolger Mintzels im Amt des Schulmeisters, Kaspar Eccius (Eck), bittet unter dem Datum des 14. Dezember 1614 in seinem Gesuch an die kurfürstliche Regierung in Amberg um die gleiche Addition, wie sie seinem Vorgänger [Mintzel] gewährt worden war. Er weist in seinem Gesuch unter anderem daraufhin, dass sein Schwager, der in Speinshart amtierende kurfürstlich pfälzische Richter Jonas Liebing ihn im Jahre 1611 aus Schlesien in die Oberpfalz gebracht und zum Schuldienst in Speinshart befördert habe. Jonas Liebig unterstützt mit einem Schreiben vom 17. Dezember 1614 das Bittschreiben seines Schwagers.

Die kurfürstliche Regierung bewilligt am 19.12.1614 das Gesuch des Eccius um Addition mit Verweis auf „Johann Mintzel seelig, Schulmaisters zum Speinshart“. Mintzel muss folglich im Jahre 1611 im Alter von etwa 51 Jahren verstorben sein. Sein letztes Gesuch um „Addition“, es war das sechste in Folge, schreibt er am 17. Dezember 1610. Er erlebt noch Weihnachten 1610 und Neujahr 1611.

Über das weitere Schicksal seiner Witwe ist nichts bekannt. Sie erhielt wahrscheinlich bis zum Jahresende 1611 die ihrem Mann zugestandenen Einkünfte und danach Gnadengelder. (Siehe zu dieser Versorgungsproblematik Frieb 2006, 78).

Kaspar Eccius ersuchte, wie vordem Mintzel, bis 1625 in weiteren Bittschreiben die kurfürstliche Regierung um „Additionen“. Im Jahr 1625 wurden die protestantischen, seien es die calvinischen, seien es die lutherischen Beamten im Zuge der Rekatholisierung ihrer Ämter enthoben. (Denk 1904, 50ff)

Offene genealogische Fragen

Zur Amberger Herkunft des Schulmeisters Johann Mintzel: Gab es in Amberg im Zeitraum von etwa 1530 bis 1600 eine Bürgerfamilie Mintzel (siehe auch die oben genannten Schreibweisen des Familiennamens), aus der Johann Mintzel stammen könnte oder nachweislich stammt?

  1. Geht aus den einschlägigen Kirchenregistern oder / und anderen Quellen sein Geburts- und Taufdatum hervor? Schulbesuch in Amberg?
  2. Falls seine Herkunft aus einer Amberger Bürgerfamilie Mintzel ermittelt und belegt werden kann, welchen sozialen Status hatte diese Familie? Welche Berufe wurden ausgeübt? (städtische Bedienstete; kirchlicher Dienst? Handwerker? Welches Handwerk?)
  3. Drehte es sich um eine alteingesessene Amberger Familie oder um eine zugewanderte?
  4. In welcher Weise war die Amberger Herkunftsfamilie von den religiösen Verhältnissen betroffen? Es scheint eine innerfamiliäre Spaltung in Calvinisten und Lutheraner gegeben zu haben. Der Schulmeistersohn Johann Christoph Mintzel war Calvinist, der Sohn Johann Albrecht Mintzel Lutheraner.
  5. Als der Schulmeister Johann Mintzel im Jahr 1611 starb, waren seine oben genannten Söhne 13, 11 und 9 Jahre alt. Die Witwe hat zumindest zwei Söhnen (Johann Christoph und Johann Albrecht) eine gute akademische (Universitätsstudium) bzw. handwerkliche (Buchdrucker) Ausbildung ermöglichen können. Am Klosterort Speinshart gab es hierfür keine Gelegenheit. Die Witwe könnte, so meine Vermutung, nach dem Tode ihres Mannes von Speinshart weggezogen sein. Wohin? Nach Amberg?
  6. Johann Albrecht Mintzel könnte seine Druckerlehre in der Zeit von etwa 1614 bis 1619/20 bei einem der zwei Amberger Buchdrucker absolviert haben, entweder bei Michael Forster (tätig von 1591–1622) oder bei Johann Schönfeld (tätig von 1603–1621). Diese Daten passen gut zum Werdegang. Als Lehrherr kommt allerdings auch der markgräflich-brandenburgische Drucker Matthäus Pfeilschmidt d. J. (1575 –1633) in Hof/Saale infrage. Johann Albrecht Mintzel ging auf Wanderschaft (über Hof /Saale?) nach Leipzig, wo er bereits 1620 als Buchdruckergeselle tätig und 1625 zum Buchdruckermeister ernannt wird. Er führt als Faktor von 1625 bis 1637 die renommierte Leipziger Verlagsdruckerei Grosse (Groß).

Viele Spuren führen zum familiären Ursprungsort Amberg. Nach Ausschöpfung und Auswertung zahlreicher Quellen sind weitere und nähere Auskünfte über die familiäre Herkunft Johann Mintzels aus Amberg nur noch aus den Archivalien im Stadtarchiv Amberg zu erwarten. In Betracht kommen hierfür vor allem die Ratsbücher, das Bürgerbuch, die Stadtkammerrechnungen und der Almosenkasten, außerdem kirchliche Register (Tauf-, Trau- und Sterberegister).

Spurensuche in der Amberger Vergangenheit: Dynastische Verhältnisse und Religionswirren

Ausbildung und Beruf von Johann Mintzel fielen in die Zeit heftiger Auseinandersetzungen zwischen calvinischem und lutherischem Protestantismus. Wollte er seinen angestrebten und erlernten Beruf ausüben, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich öffentlich zum calvinischen Glauben zu bekennen. Im Zeitalter der Glaubenskämpfe bestimmte der regierende Fürst nach dem Grundsatz „cuius regio eius religio“, welche Religion in seinem Herrschaftsgebiet die „wahre“ und allein zu praktizierende sei. Die Kuroberpfalz war nach schwankenden reformatorischen Ansätzen unter Pfalzgraf Friedrich II, (1544–1556) protestantisch geworden. Auch sein Nachfolger Ottheinrich (1556–1559) hing der Lehre Luthers an. Dann begannen die wechselhaften kirchlich-konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Luthertum und Calvinismus. Auf Ottheinrich Friedrich III. (1559–1576), der die calvinische Konfession durchzusetzen trachtete. Unter seiner Regentschaft wurde 1566 in Amberg das calvinische Pädagogium gegründet. Nach dessen Tod übernahm Ludwig VI. die Regentschaft (1576–1583), der mit seinem weltlichen und kirchlichen Verwaltungsapparat die Rückkehr zur lutherischen Konfession erzwingen wollte. Die Kurfürsten Johann Casimir (1583–1592), Friedrich IV. (1592–1610) und Friedrich V. (1610–1619) setzten wiederum den Calvinismus durch. Mintzels Amtszeit fiel anfangs, 1580 bis 1583, noch in die lutherische, von 1583 bis 1611, bis zu seinem Tode, in die calvinische Ära.

1620/21 veränderte sich für die Kurpfalz schlagartig die dynastische und religiös-konfessionelle Situation. Der pfälzische Kurfürst Friedrich V. unterlag als „Winterkönig von Böhmen“ in der Schlacht am Weißen Berg dem Heer des Kaisers und der katholischen Liga. 1621 wurde Herzog Maximilian von Bayern mit dem Territorium der Kuroberpfalz für seine Kriegsauslagen entschädigt. Die bayerischen Truppen marschierten in die Kuroberpfalz ein und besetzten das Territorium. 1628 ernannte Kaiser Ferdinand II. den bayerischen Kurfürsten endgültig zum Landesherrn der Oberpfalz. Bayern wurde die kurpfälzische Kurwürde übertragen. Maximilian I., der schon 1621/23 damit begonnen hatte, die Oberpfalz zu rekatholisieren, setzte nun den katholischen Glauben endgültig durch (Frieb 2006, 16, 25; Mintzel 2011, I. 22ff).

Hauptschrift des Calvinismus war der „Heidelberger Katechismus“ von 1563 mit seinen 129 Fragen und Antworten. Eine der beruflichen Hauptpflichten Mintzels als Schulmeister bestand darin, in Speinshart seinen Zöglingen die 129 Fragen und Antworten des „Heidelberger Katechismus“ einzutrichtern und die Schüler im Sinne der Obrigkeit auf das calvinische Glaubensbekenntnis zu verpflichten.

[Abbildung: Titelseite des Heidelberger Katechismus]

Die Auseinandersetzungen wirkten sich auch innerfamiliär aus: Johann Mintzels Sohn Johann Christoph Mintzel (1598–1669) hing dem Calvinismus an und wurde evangelisch-reformierter Schulmeister und Pfarrer. Johann Albrecht Mintzel (1600–1653) bekannte sich zum Luthertum und wurde ein renommierter Buchdruckerherr in Leipzig (1620–1642) und in Hof /Saale (1642- 1653). Leipzig und Hof waren durch und durch lutherisch geprägte Städte.

Das kurfürstliche calvinische Pädagogium in Amberg

Das kurfürstliche Pädagogium war eine höhere Lateinschule mit einem gehobenen Lehrprogramm, eine Art konfessionspolitischer Bildungsanstalt, die den „wahren Glauben“ festigen und verbreiten sollte. Das Pädagogium unterstand der Aufsicht und Kontrolle des Amberger Kirchenrates, des höchsten kirchlichen Gremiums in der Kuroberpfalz (Frieb 2006, 78). Der Kirchenrat befasste sich auch mit Disziplinfragen, mit der Ausgangserlaubnis, mit Fragen der Kleiderordnung der Stipendiaten, mit der Rechtslage zum Bierausschank, mit Modalitäten bei der Haltung sogenannter Kostknaben und mit der Lebensgestaltung der Lehrer. Er beschied Aufnahmegesuche von Eltern und beorderte in Konfliktfällen Rektor und Lehrer zum Bericht vor das Gremium.

Nach jahrelangen Vorbereitungen wurde das Pädagogikum im April 1566 unter der Regentschaft Friedrich III. (1559-1576), der die Pädagogien zur Durchsetzung des Calvinismus gründete, eröffnet. An das Pädagogium wurde ein Internat angeschlossen, in dem alle Schüler untergebracht werden sollten. (Denk 1904, 35ff). Auch Johann Mintzel wohnte und lernte seit Mitte der 1570er Jahre, höchstwahrscheinlich bis zu seinem Examen am 12. Oktober 1580, in diesem Internat. Die erste calvinisch dominierte Zeit der Bildungseinrichtung währte allerdings nur gut zehn Jahre, sie endete um 1576/57. Am 26. Oktober 1576 starb Kurfürst Friedrich III. Sein Sohn und Nachfolger Ludwig VI., ein Lutheraner, setzte sofort die Augsburger Konfession wieder ein und entließ die calvinischen Staatsdiener und Lehrer. Kurz vor Weihnachten 1576 hob er das kurfürstliche Pädagogium als Anstalt auf, eröffnete es jedoch 1577 wieder unter lutherischen Vorzeichen. Kurfürst Casimir und dessen Nachfolger folgte die zweite calvinische Zeit. Sie verlangten wieder die Rückkehr zum Calvinismus.  Gleich ob Johann Mintzel sein Studium 1576 oder schon 1574 begonnen hatte, er geriet in jedem Fall 1576/77 in die konfessionellen Spannungsverhältnisse und Auseinandersetzungen zwischen Calvinismus und Luthertum. Bis Oktober 1576 waren nur Anhänger des Calvinismus beziehungsweise im Geiste des Calvinismus erzogene Jugendliche in das Pädagogium aufgenommen, unterrichtet, nach durchlaufener Ausbildung examiniert und mit der Stelle eines Schulmeisters oder Pfarrers belohnt worden. Von 1576/77 bis 1583 wurde das Amberger Pädagogium und sein Internat lutherisch geführt, nach 1583 bis zu seiner endgültigen Aufhebung wieder calvinistisch. Mintzel, der aus einer calvinistisch orientierten Familie kam, absolvierte folglich sein pädagogisches Studium unter calvinistischer Ägide. Konfession und Konfessionswechsel griffen tief in die Lebensgeschichte und in die Berufschancen ein.

Funktion und Zusammensetzung der Anstalt

Der Gründer Kurfürst Friedrich III. hatte die konfessionspolitischen Aufgaben dieser höheren Bildungsanstalt mit folgenden Worten bestimmt: „…damit künftighin an gottseeligen, selbsterzogenen und bekannten Kirchen- und Schuldienern kein Mangel erscheine und man nicht mit fremden unbekannten, die auch nicht allewege rechtschaffen und qualifiziert zu finden oder aber ungeschickten, ungelehrten und bisweilen auch mit ungesunder Lehre behafteten Kirchendienern, dadurch die Untertanen an gebührlicher Seelsorge versäumt und große Uneinigkeit und Verwirrung in weltlichem und geistlichem Regiment notwendig erfolgen würde, sich behelfen müsse“(zit. n. Maximilian Weigel 1939, 223). Kurzum: Das kurfürstliche calvinische Pädagogium sollte „zu einer festen Burg kalvinischen Geistes und zu einer Bildungsstätte kalvinischer Theologen und Beamten ausgebaut werden“ (Maximilian Weigel 1939, 211).

Außerdem hatte er am 25.11.1564 zur Vorbereitung der Gründung verfügt: „Es soll (aber) kein Knabe aufgenommen werden ausser mit Einwilligung seiner Eltern, wenigstens muss er 15 oder 16 Jahre alt sein und die fundamenta Grammatices auch zum Teil wo möglich Rhetorices und Dialectices haben.“ (zit. n. Denk 1904, 41).

Aus dieser Verfügung lässt sich in etwa das Geburtsjahr Mintzels erschließen. War er schon 1574 aufgenommen worden, wäre er etwa im Jahr 1559 geboren worden. Sollte er erst 1576 aufgenommen worden sein, wäre seine Geburt in das Jahr 1561 zu legen.

Alle Anwärter mussten sich einer Eignungsprüfung unterziehen. Für die Aufnahmeprüfung wurden Grundkenntnisse im Lateinischen vorausgesetzt. (Maximilian Weigel 1939, 213). Das spricht dafür, dass die künftigen Zöglinge in der Regel vorher zumindest die Grundklassen einer Lateinschule besucht haben mussten, um eine Chance zu haben, aufgenommen zu werden. Am Ende der mindestens vierjährigen Schullaufbahn schloss der Zögling seine Ausbildung mit einem Examen ab. Er wurde danach feierlich entlassen.

„Die Väter der Schüler hatten sich bei der Aufnahme ihrer Kinder für den Gehorsam der Söhne zu verpflichten weiter für deren späteren Eintritt in kurfürstliche Dienste und für den Fall des Austritts zum Rückersatz der aufgewendeten Kosten. Letztere wurden auf 25 Gulden für das Jahr veranschlagt“ (Maximilian Weigel 1939, 212).Daraus folgt: Johann Mintzels Vater musste in bürgerlichen Lebensverhältnissen gestanden haben, die es ihm erlaubten, diese Kosten auf sich nehmen.

In der Planungsphase war nach kurfürstlichem Willen eine Schülerzahl um 50 anvisiert worden(Denk 1904, 34). „Anfangs [war es allerdings nur gelungen] 15, 18 und bis 20 Knaben, die gute ingenia [Geist, Genie, Talent, Fähigkeiten – A.M.] haben, hierher zu verordnen und denselben mit allem notwendigen Unterhalt versorgen zu lassen“ (zit. n. Denk 1904, 36). Zur Studienzeit Mintzels dürften es schon mehr als zwanzig Schüler gewesen sein, die sich auf die vier Klassen verteilten. Auf seinem Höhepunkt hatte das Pädagogium 53 Schüler. Jedenfalls erfreute sich Johann Mintzel einer privilegierten Ausbildung, die ihn aus der großen Masse der Bevölkerung heraushob.

„Wer in das Pädagogium als Schüler aufgenommen war, der war versorgt. Die Schule bot ihm nicht nur Unterricht und Verköstigung, sondern auch volle Bekleidung, ärztliche Hilfe durch den Klosterbader oder den Regierungsarzt, sämtliche Schulbedarfsgegenstände und Lehrmittel. Wer das Pädagogium absolvierte hatte, rückte nahezu automatisch in das Heidelberger Sapienzkollegium [Universität, A. M.] vor, dessen Insassen ebenfalls volle Verpflegung und Verköstigung und außerdem strenge Beaufsichtigung ihrer Universitätsstudien genossen“ (Maximilian Weigel 1939, 211f; siehe auch Denk 1904, 43).

Aus diesem Hinweis Maximilian Weigels auf das Heidelberger Sapienzkollegium kann geschlossen werden, dass Johann Mintzel – aus welchen Gründen auch immer – von einem Universitätsbesuch in Heidelberg Abstand genommen hat. Bekannt und belegt ist, dass er sich schon wenige Tage vor seinem Schulabschluss am Pädagogium auf eine Schulmeisterstelle bewarb. Konnte sein Vater ein anschließendes Universitätsstudium nicht mehr finanzieren? Ich muss diese Frage dahingestellt lassen.

Rekrutierung der Schüler

Nach den Plänen der mit der Gründung beauftragten Kirchendiener sollten die Zöglinge des künftigen Pädagogiums im ganzen Land  vor allem aus zwei Personenkreisen beziehungsweise Bereichen rekrutiert werden: aus der kurfürstlichen Beamtenschaft und der Schülerschaft der Klosterschulen (Maximilian Weigel, 1939,210). Die Stifte wurden später tatsächlich mit Nachdruck angehalten, begabte Klosterschüler in die Pädagogien zu senden. Die Klosterschulen sollten an Stelle der „Erwählten“, der mit ingenium ausgezeichneten Schüler, „arme Kinder aus den Städten und Flecken“ und besonders „der armen Pfarrherrn Kinder und der Klosterunterthanen“ aufnehmen. (Denk 1904, 37). Diese Anweisung und spätere Praxis bedeutete für die lateinischen Klosterschulen, und das gilt auch für Johann Mintzels Schuldienst in Speinshart, einen Aufgabenwechsel. Klosterschulen hatten „Zubringerdienste“ zu leisten. Sie mussten ihre besten Schüler abgeben.

Diese Hinweise sind unter der Frage nach der örtlichen oder regionalen pfälzischen Herkunft Johann Mintzels interessant. Woher kam er? War er ein Amberger Bürgersohn? Mintzels Vater könnte in Amberg in kurfürstlichen Diensten gestanden haben. Wir können jedoch nicht völlig ausschließen, dass Mintzel aus einer der pfälzischen Klosterschulen nach Amberg gekommen ist. Dafür könnte seine eigene Herkunftsbezeichnung sprechen, er sei „ein Pfälzer“. Dagegen spricht allerdings, dass er in amtlichen Korrespondenzen wiederholt als Schulmeister „aus Amberg“ bezeichnet wird. Dieser Hinweis könnte nur darauf bezogen gewesen sein, dass Mintzel vom Amberger Pädagogium gekommen war. Ich muss die Frage nach seiner territorialen und herrschaftlichen Herkunft dahingestellt lassen.

Die Fragen nach seinem Geburtsjahr und nach seiner Einschulung lassen sich dagegen auf einem anderen Wege erschließen und beantworten.

Bekannt und belegt ist, dass Johann Mintzel am 12. Oktober 1580 sein Abschlussexamen absolvierte.  Anfangs hatte das Pädagogium vier Klassen. Später kamen anscheinend noch zwei Klassen hinzu, wahrscheinlich nach endgültiger Auflösung der Klosterschulen (Maximilian Weigel 1939, 211). Hatte Mintzel nur vier Klassen durchlaufen, war er höchstwahrscheinlich im Jahre 1576 aufgenommen worden. Sollten es zu seiner Schulzeit am Pädagogium schon sechs Klassen gegeben haben, dann wäre er schon im Jahr 1574 aufgenommen worden.

Aus diesen und anderen Daten lässt sich auch auf sein Lebensalter schließen. Er musste vor seiner Aufnahmeprüfung bereits eine Elementarschule und zumindest die Grundklassen einer Lateinschule besucht haben, also etwa sechs bis acht Schuljahre hinter sich gebracht haben. Bei seiner ersten Einschulung musste er folglich etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Nach dieser Rechnung wäre er um 1560/62 geboren worden. Für weitere Recherchen in Kirchenbüchern käme demnach ein Zeitraum zwischen 1559 und 1562 in Betracht.

Was lernte Johann Mintzel im Pädagogium? Der Unterricht am Pädagogium

Wir können uns ein recht gutes Bild davon machen. Wie immer der Studienplan und das Schulprogramm praktisch umgesetzt worden sein mochten, sie vermitteln uns zumindest einen ungefähren Einblick in die Unterrichtsfächer, ihre Stoffe und den Tagesablauf des Unterrichts. Die Nutzung des Tageslichtes bestimmte den Zeitplan. Der Unterricht begann im Sommer früh um 6, im Winter um 7 Uhr und nachmittags um 12 Uhr. Er umfasste früh und nachmittags je drei Stunden. Montag und Dienstag war der Stundenplan derselbe, ebenso Donnerstag und Freitag. Aus einschlägigen Quellen entnehme ich folgende Auskünfte:

Nach dem Studienplan von 1569 gehörten die beiden Altsprachen, Latein und Griechisch, zum Kernbestand des Unterrichtes. Dabei wurde vorausgesetzt, dass die neu eintretenden Zöglinge die Basis des Lateinischen hinlänglich beherrschten. So konnte sofort mit der Lektüre begonnen. Die ersten lateinischen Texte, welche die Schüler in die Hand bekamen, waren die Fabeln des Äsop und die Lustspiele des Terenz. Sie wurden wahrscheinlich auswendig gelernt. Mit der Lektüre der Lustspiele wurde in die lateinische Umgangssprache eingeführt. Beide Schriftsteller dienten in den unteren Klassen zugleich der Einübung in die Grammatik, die vom Lehrer vorgesagt, von den Schülern wiederholt und nachgeschrieben wurde. Ein Grammatikbuch erhielten die Schüler erst in den oberen Klassen. An der Lektüre von Vergils Bucolica wurden die Gesetze der Metrik gelehrt, die Länge und Kürze der Silben, und damit auf den Unterricht in der Prosodie vorbereitet. In den beiden oberen Klassen standen Schriften Ciceros und die Äneis auf dem Stundenplan. Mit Ciceros Schriften sollten die Schüler befähigt werden am Ende ihrer Ausbildung, wenn sie  das Pädagogium verließen, selbst lateinische Aufsätze und Reden zu verfassen und ihre Glückwünsche zu Familienfesten, seien es zum Beispiel Kondolationen bei Trauerfällen, seien es Hochzeitsgedichte, in gewandten lateinischen Versen auszudrücken. Die Lektüre der Äneis diente der Einführung in die Dichtkunst. Um ihre selbständige Redefertigkeit in lateinischer Sprache zu schulen, wurden sie in „Dialektik“ (wir würden wohl Logik dazu sagen) und Rhetorik unterrichtet. Als Lehrbücher wurden hierfür in den beiden oberen Klassen die Grammatik und die Syntax des Reformators Melanchthon benutzt, wie überhaupt im ganzen Lehrplan Melanchthons Gedanken und Unterrichtsideale ihren Niederschlag fanden.

Zum Lateinischen kam das Griechische. In den unteren Klassen wurden Elementarkenntnisse vermittelt, in den beiden oberen Klassen systematisch Grammatik gelehrt und ein griechischer Schriftsteller gelesen. (Maximilian Weigel 1939, 213f; siehe auch Denk 1904, 37f). Johann Mintzel hatte somit am Pädagogium eine gediegene humanistische Ausbildung genossen und zumindest fundierte Kenntnisse in der lateinischen Literatur und Sprache.

Auch über seine Ausbildung in den nichtsprachlichen Unterrichtsfächern wissen wir gut Bescheid.  Dazu zählten die Arithmetik, Astronomie, Physik, Musik und Religion. Unterricht in Arithmetik wurde nur in den oberen Klassen erteilt, und dies nur in zwei Wochenstunden. Er beschränkte sich wohl auf die vier Grundarten des Rechnens. Zwei weitere Wochenstunden wurden im Stundenplan mit „Sphaera“ bezeichnet. Unter dem Begriff Sphaera wurden Kenntnisse über den gestirnten Himmel vermittelt, über die Planeten und Tierkreiszeichen und deren angebliche Einflüsse auf das Schicksal des Menschen. Die Astrologie hatte damals Hochkonjunktur. In allen Klassenstufen wurde je eine Stunde der Physik gewidmet. Im Musikunterricht waren sämtliche Schüler beisammen. Eine Stunde war für den  theoretischen Unterricht reserviert, worunter wohl die Tonarten und möglicherweise auch Kompositionsregeln fielen, eine zweite für die praktische Musikpflege, also das Singen im Chor und das Spiel von Musikinstrumenten. Die Schüler sollten vermutlich so auf eine spätere  Mitwirkung in Gottesdiensten vorbereitet werden. Singen im Chor und Chorleitung scheinen, wie wir noch erfahren werden, nicht Mintzels pädagogische Stärke gewesen zu sein.

Die religiöse Erziehung im „richtigen Glauben“ war in verschiedener Weise allgegenwärtig. Für den Unterricht in Religion waren ebenfalls zwei Wochenstunden vorgesehen, an denen  alle Schüler gemeinsam teilnahmen. Er wurde von dem calvinischem Stadtpfarrer erteilt, der in der einen Stunde den Heidelberger Katechismus, in der andern das Examen theologicum Melanchthons erklärte. Am frühen Sonntagmorgen, vermutlich vor dem Gottesdienst, wurde das jeweilige Sonntagsevangelium in griechischer und lateinischer Sprache gelesen. Am Nachmittag wurde der Heidelberger Katechismus aufgesagt und abgehört. Jeweils nach dem Essen wurde ein Kapitel der Bibel vorgelesen.

Der Unterricht in Physik, Musik und Religion fand an den Mittwochen und Samstagen statt“ (Maximilien Weigel 1939, 214). Die für den Schulgebrauch benötigten Heidelberger Katechismen wurden in den Amberger Druckereien hergestellt. (In einer der zwei Amberger Druckereien könnte Johann Mintzels Sohn Johann Albrecht Mintzel, in den 1610er Jahren seine Druckerlehre absolviert haben).

Zwei Wochenstunden mit „Sphaera“ – Die Lehre vom geozentrischen Weltbild

Wir wissen es nicht genau, dürfen es aber beinahe für sicher halten, dass im Pädagogium der 1560er und 1570er Jahre das kopernikanische Weltbild noch nicht zum Lehrstoff der wöchentlich zweistündigen Lehre von den Sphären gehörte. Nikolaus Kopernikus hatte kurz vor seinem Tod (24.05.1543) seine astronomischen Beobachtungen und Kenntnisse in seinem Hauptwerk „De revolutionibus orbium coelestium libri VI“ zusammengefasst und 1543 veröffentlicht und das geozentrische Weltbild in Frage gestellt. Sein heliozentrisches Weltbild hatte sich damit noch lange nicht durchgesetzt. Die alte Lehre von den Sphären folgte noch der Ansicht, die Erde sei im Kosmos der ruhende Punkt, um den sich die Gestirne und mit ihnen die Tierkreiszeichen drehen. Mintzels Weltbild, das ihm im Pädagogium vermittelt wurde, war höchstwahrscheinlich noch weitgehend dem Mittelalter verhaftet. Er verließ im Oktober 1580 nach bestandenem Examen das Pädagogium immerhin mit einer gediegenen humanistischen Ausbildung, welche sich zum Beispiel in seiner individuell gut ausgeprägten schönen Handschrift in seinen Bittbriefen an die kurpfälzische Regierung in Amberg niederschlägt. Mintzel war ohne Zweifel ein schreibgewandter Mann.

[Abbildung: Beispiele seiner Bittbriefe]

Die Berufsgruppe der Schulmeister: Ausbildung und Arbeitsverhältnisse

Die Ausbildung im calvinischen Pädagogium befähigte Mintzel zur Ausübung des Amtes eines lateinischen Schulmeisteramtes, zu unterscheiden von dem eines deutschen (Frieb 2006, 187). Deutsche Schulmeister übten ihr Amt im städtischen/örtlichen Dienst aus, lateinische in der Regel im kurfürstlichen Dienst.

„In den großen Städten bestanden lateinische und deutsche Schulen nebeneinander. In kleineren Städten und in Märkten waren lateinisch-deutsche Zwergschulen die übliche Schulform. Auf dem Lande gab es – sofern überhaupt – Dorf- oder Mesnerschulen, daneben wurden in Einzelfällen sogenannte Maidlinschulen unterhalten, also Schulen (auch?) für Mädchen, die überdies mitunter von Frauen betrieben wurden“ (Frieb 2006, 98). In Speinshart handelte es sich wegen der geringen Schülerzahl wohl um eine lateinisch-deutsche Zwergschule.

Für deutsche Schulmeister gab es keine Ausbildungsvorschriften und Regeln. Den Schuldienst deutscher Schulmeister verrichteten Personen mit ganz unterschiedlichen Berufen und Fähigkeiten oftmals nebenberuflich, zum Beispiel Mesner, Stadt-, Markt- und Gerichtsschreiber. Um deren Lese- und Schreibfähigkeit war es oft nicht zum Besten bestellt (Frieb 2006, 95, 98, 128 161). Sie mussten keine Lateinkenntnisse haben. Sie wurden von örtlichen Amtsträgern nach Gutdünken in Dienst genommen und besoldet. Je nach örtlicher Rechtslage kamen dafür grundsätzlich verschiedene Stellen in Frage – Geistliche, Pfleger Kirchpröpste, Klosterverwalter, Junker und andere. Bisweilen stellten auch Kantoren ihrerseits gelegentlich in eigener Verantwortung und auf eigenen Kosten Stellvertreter ein (Frieb 2006, 128).

Die Stelle eines Schulmeisters, insbesondere die eines lateinischen, war keine berufliche Sackgasse, keine berufliche Endstation, sondern häufig eine Durchgangs- und Aufstiegsposition. Der Wechsel aus anderen Berufen in eine Schulmeisterstelle und von einer Schulmeisterstelle in höhere kirchliche Berufe war nicht nur möglich, sondern üblich. „Kantoren (bewarben) sich gerne um die Stelle eines Schulmeisters, Schulmeister wiederum um eine Anstellung als Kirchendiener. Es war also eine übliche Laufbahn, sich über Kantoren- und Schulmeisterdienste zu einer Kaplan- oder Pfarrstelle emporzuarbeiten.“ (Frieb 2006, 77 Anm.123). Mintzel hätte sich folglich auch um eine Pfarrstelle bewerben können, scheint aber gern auf seiner Stelle in Speinshart geblieben zu sein. Er hatte sie immerhin gut dreißig Jahre inne, von Ende 1580 bis in das Jahr 1611 hinein.

Die diversen Einkünfte der Schulmeister konnten aus Geld, Naturalien und Nutzungsrechten, aus festgelegten Entlohnungen für einzelne Verrichtungen, mitunter aus freier Herberge oder aus bestimmten Mahlzeiten im Pfarrhaus oder aus dem Recht auf Durchführung von Sammlungen bestehen. Im Ganzen ist davon auszugehen, dass die Bezahlung der Schulmeister nicht eben großzügig bemessen war und auch die Arbeitsbedingungen zu wünschen übrigließen. So erklärt sich zum einen die wiederholten Gesuche um Aufstockung des Einkommens, zum anderen die relativ hohe Fluktuationsrate in dieser Berufsgruppe. Für das letztgenannte Phänomen sorgte übrigens auch die Tatsache, dass Schulmeisterstellen für Studierte vielfach lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg ins Pfarramt darstellten. (Frieb 2006, 129) Die Berufskarriere Johann Christoph Mintzels, eines Sohnes von Johann Mintzel, war typisch für eine Durchgangsstation: Er wurde nach seinem Studium der Theologie in Leipzig und Frankfurt/Oder im Jahr 1620 zunächst Schulmeister in Freystadt in der Oberen Pfalz, dann, im Jahre 1622, evangelisch-reformierter Pfarrer in Hausheim. Diese Stelle hatte er bis zu seiner Amtsenthebung 1625 inne (siehe zu den Einkommensverhältnissen Frieb 2006 S. 105).

Johann Mintzels Petitionen um „Additionen“ an die kurfürstliche Verwaltung in Amberg waren keine Einzelfälle, sondern für die schlechtbezahlte Berufsgruppe der Schulmeister allgemein typische und übliche Gesuche, um eine Verbesserung ihres Einkommens zu erreichen. In seinen eigenhändig geschriebenen Petitionsbriefen begründet Mintzel ausführlich, warum er sich genötigt sieht, „Additionen“ zu erbitten. Er schildert seine Einkommens- und Lebensverhältnisse im Detail: Sein jährliches Gehalt betrug vierzig Gulden. Dazu kam ein festgelegtes Quantum gewährter Naturalien in Form von Weizen, Hafer und Gerste. Für die Ernährung seiner kinderreichen Familie reichte das nur knapp aus. Heute würde man sagen, er und seine Familie lebten vermutlich an der Armutsgrenze. Was Mintzel dennoch hoch einschätzte, war sein freies Wohnen im Speinsharter Schulmeisterhaus. Es lag gegenüber dem Klostergebäude.

[Abbildung: Ansicht mit dem Schulmeisterhaus]

Mehrfachpflichten und Kompetenzen von Schulmeistern

Schulmeistern oblagen weitere Aufgaben. Das galt auch für lateinische Schulmeister. Ihre amtlichen Funktionen waren vielfältig, wenngleich uneinheitlich geregelt. So wurde das Amt in Personalunion mit dem des Glöckners ausgeübt. Sie waren häufig zugleich Mesner, unterstützen bei Bedarf den Pfarrer bei Amtshandlungen, leiteten den Kirchenchor, besuchten Kranke, waren zugleich Amts- und Gerichtsschreiber und anderes mehr. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass Mintzel in den ersten Jahren nach seinem Amtsantritt nicht als Glöckner tätig war. In Speinshart übte in dieser Zeit noch ein alter, blinder Glöckner dieses Amt aus (Frieb 2006,128,218, 388). Die Handlungsspielräume und Entscheidungsbefugnisse der Amtsinhaber waren im Einzelnen keineswegs klar definiert und abgegrenzt. Der moderne Verwaltungsstaat war erst im Entstehen.  Es gab damals keinen Vorbereitungsdienst, in dem angehende Pädagogen unter Anleitung erfahrener Kräfte praktische Erfahrungen hätten erwerben können. In dieser relativ lockeren Arbeitssituation kam es unter den Amtsträgern leicht zu Kompetenzstreitigkeiten. (Frieb 2006, 263, 271, 276, 295, 326ff).

Amtsführung und Lebensführung Johann Mintzels im Spiegel amtlicher Dokumente

Kaum hatte Johann Mintzel gegen Ende des Jahres 1580 sein Amt als Schulmeister angetreten, stand dem Stift Speinshart eine Visitation des Amberger Kirchenrates bevor. Am 6. Oktober 1582 überprüften und beurteilten die Kirchenräte, die von der Residenzstadt Amberg gekommen waren, die Amtsführung auch des Speinsharter Schulmeisters.

Der Schulmeister und seine Amtsführung unterstanden damals üblicherweise der Kirchenaufsicht, also unter der Kontrolle des zuständigen Pfarrers bzw. des Predigers. Zur Amtszeit Mintzels, von 1580 bis 1611, gab es im Amt des Pfarrers zu Speinshart mindestens vier Mal einen Wechsel: 1591, 1595, 1597 und 1602. Man muss in den Pfarrern seine direkten Vorgesetzten sehen. Es waren diese vier: Magister Georg Schönweiß (1577-1591), Magister Konrad Limmer (1591-1595), Magister Johann Müller (1597-1600) und zuletzt Johann Lucas I. von 1602 bis 1611 (nach Weigel/Wopper/Ammon 1967, 219). Das amtliche und private Verhältnis zwischen dem lateinischen Schulmeister und den amtierenden Pfarrern scheint mitunter ein gespanntes gewesen zu sein.

Der Protokollant der Kirchenvisitation vom 6. Oktober 1582.hielt Folgendes fest (übersetzt in unsere gegenwärtige Sprache):

„Der Schulmeister ist derzeit Johann Mintzel aus Amberg. Die ehrwürdigen Herren Kirchenräte haben an seiner Amtsführung bemängelt, dass er zeitweise säumig und abwesend [ausßläuferisch] sei. Er sei ohne Wissen [oder Kenntnis] des Pfarrers unterwegs. Er habe sich aber nach einer Abmahnung ein wenig gebessert. Die Kirchenräte hoffen, dass er künftig mit Fleiß sein Amt versehen werde. Er ist angehalten worden, fleißig zu sein, sonst fiele er in Ungunst. Mintzel unterrichtet etwa sieben Schüler, im Winter seien es mehr. Dazu kommen zwei oder drei Mädchen. Er lehrt sie den Katechismus in Deutsch und Lateinisch, bringt ihnen Schreiben und Lesen bei und übt und dekliniert mit ihnen [mit dem Katechismus} Grammatik. Mintzel soll den Chor leiten, sei aber sehr unachtsam im Gesang.

Der Pfarrer [des Stiftes] visitiert die Schulen, was der Schulmeister nicht dulden soll. Er [Mintzel] hat gesagt, der [Pfarrer] unterstehe sich mehr als ihm befohlen worden sei. Der Pfarrer überschreite seine Kompetenzen. Ansonsten sei er [Mintzel] mit der Wohnung zufrieden und bereit, so viel es ihm möglich sei, mit seinem Fleiß das Versäumte nachzuholen“(Oberpfälzer Religions- und Reformationswesen 52, fol.206; Mintzel 2011, I. 26ff; Frieb 2006, 108f, 213, 222).

Aus dem oben zitierten Visitationsprotokoll geht klar hervor, dass Mintzel nur wenige Schüler aus dem dörflichen Speinshart und den umliegenden Dörfern zu unterrichten hatte. In den Pfarreien waren die Schulverhältnisse extrem unterschiedlich. In großen  städtischen Pfarreien bewegten sich die Schülerzahlen zwischen 60 und 100, an kleineren Orten zwischen 40 und 50, an dörflichen Orten wie Speinshart etwa zwischen 10 und 20. Die Zahlen variieren vor allem auf dem Lande saisonal stark. Viele Kinder blieben in der Erntezeit der Schule fern, sie mussten bei der Ernte helfen (Frieb 2006, 138f, 179, 220, 258). Im Falle Speinsharts handelte es sich also faktisch um eine Art lateinisch-deutscher Zwergschule. Der lateinische Schulmeister Mintzel, so könnte man sagen, war in seinem Amt nicht ganz ausgelastet und unterfordert.

Auch sein Pflichtunterricht für Erwachsene im Katechismus war höchstwahrscheinlich wenig besucht. Viele Erwachsene drückten sich davor. Das Interesse an Glaubensfragen war unter der Landbevölkerung nicht wirklich ausgeprägt (Frieb 2006, 271, 245). Mintzel stieß auf einen breiten Unwillen rings um Speinshart, sich mit religiös-konfessionellen Lehrfragen zu befassen und an der Religionslehre zu beteiligen. Vielerorts wurde über einen schleppenden und geringen Kirchgang geklagt. Die Kirchganghäufigkeit hing natürlich von der Jahreszeit ab, von der Witterung, von der Entfernung zwischen Wohnort und Kirche, aber auch von der Person des Pfarrers. Die Wege zur Kirche waren zum Teil schwer begehbar. Entsprechend schwankend war der Wille der Eltern, ihre Kinder in die Schule und in die kirchliche Kinderlehre zu schicken. Es gab noch keine ausgeprägte allgemeine Schulpflicht. In dieser Situation allgemeiner religiöser Widerstände und Verwahrlosung konnte es leicht zu Zwistigkeiten zwischen Pfarrern und Schulmeistern in der Einschätzung des Notwendigen oder Möglichen kommen.  Mintzels Widerwillen gegen die von ihm für übergriffig gehaltenen Einmischungen des in Speinshart schon seit 1577 tätigen Pfarrers Georg Schönweiß, dem die Kirchenaufsicht über das Schulwesen oblag, rührte wohl von Differenzen in der Einschätzung her. Der Neuankömmling und Amtsanfänger Mintzel versuchte anscheinend seine Kompetenzen abzustecken und geriet darüber mit Schönweiß in Streit. Mit den Jahren dürften sich beide jedoch arrangiert haben.

Bei späteren Visitationen des Stiftes Speinshart (1597, 1598, 1602) wurde bemängelt:

Zu Speinshart werden die Bettage nicht fleißig („ohnvleissig“) besucht. Es seien deshalb Erkundigungen einzuziehen, ob Verbesserungen eintreten oder nicht. Wiederum werde dort das Abendmahl „fahrlässig gebraucht“, und die Kinder werden nicht fleißig zur Kinderlehre geschickt. Ob dieser Mangel korrigiert werde, sei zu erkunden. Der Schulmeister [Mintzel] sei nicht fleißig („ohnvleissig“), trinkt gern und sei zänkisch (? schwer lesbar) mit den Nachbarn zu [Tremmers] …dorf. (unleserlich). (Oberpfälzer Religions- und Reformationswesen 2, fol.396v)

Mintzel hatte vermutlich Ärger mit Eltern aus benachbarten Dörfern gehabt, weil sie ihre Kinder nicht zur Schule und zur Kinderlehre schickten. Als Schulmeister war er verpflichtet, Eltern dazu anzuhalten und zu ermahnen. Er hatte sicher mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen.

Exzessives Biertrinken und Trunksucht

Damals war exzessives Biertrinken allgemein üblich, erst recht nach heutigen Maßstäben. Trunksucht war in allen Ständen und Kreisen verbreitet. In den Protokollen der Kirchenvisitationen wird oftmals auf den großen Bierkonsum hingewiesen. Das galt im Grunde für alle Berufsgruppen im Dienste der Kirche. Der protokollarische Vermerk, „er trinkt gern“, muss aber nicht zwingend als ein Hinweis auf exzessives Trinken verstanden werden. Jedenfalls scheinen Trunksucht und anstößiger Lebenswandel auch unter Geistlichen und anderen Kirchendienern verbreitet gewesen sein. Ich zitiere aus neueren und neuesten Forschungsberichten:

„Neben einigen positiven Äußerungen zum Lebenswandel der Geistlichen war von den Lastern dieser Personengruppe  [in Visitationsprotokollen] vergleichsweise häufig die Rede: Sei es, dass der Hausstand eines Pfarrers Anstoß erregte, sei es, dass ein Pfarrer, obwohl er nicht viel vertrug, trank und daraufhin unangemessene Reden führte und sich liederlichen Dingen zuwandte, dass ein anderer zwar gern trank und spielte, ohne dass das jedoch bei ihm auch nur die mindeste Streitsucht hervorrufen würde oder dass der Zank mit der Ehefrau oder mit dem Nachbarn allzu sehr in der Luft lag“ (Frieb 2006, 279).

„Solange ein Pfarrer dabei innerhalb seiner eigenen vier Wände blieb, war man geneigt, sein Verhalten zu dulden; als sehr viel gravierender hingegen wurde es erachtet, wenn er sich in der Öffentlichkeit, also bei Tauf- und Hochzeitsfeierlichkeiten oder im Wirtshaus, betrank“ (Frieb 2006, 219).

Interessant ist ein Visitationsbericht über das Verhalten des Speinsharter Pfarrers Schönweiß und seines Tremmersdorfer Amtsbruder. Der Bericht gibt uns zugleich einen unmittelbaren Einblick in die Alltagswelt Mintzels, der ja mit beiden verkehrte. Im Protokoll „wurde ausdrücklich vermerkt, dass man den Pfarrer von Speinshart nota bene nur dann im Wirtshaus antreffe, wenn sich dort auch ein anderer Pfarrer aufhielt. In ähnlicher Weise pflegte sein Kollege aus Tremmersdorf die Wirtschaft nur dann aufzusuchen, wenn er von Nachbarn dazu eingeladen wurde“ (Frieb 2006, 219; Oberpfälzer Religions- und Reformationswesen, Bd. 52, fol.205 – 207 [Speinshart] und fol. 208 – 209 [Tremmersdorf]).

Es gab unter dem strengen Kirchenregiment eine gegenseitige Kontrolle bis tief in das Privatleben hinein, zumal in einer so kleinen Dorfgemeinschaft wie Speinshart, die vermutlich weniger als 200 Seelen zählte. Jeder kannte jeden. Es gab keine Anonymität.

Lebenswirklichkeit, Orthodoxie und unerwünschte Sitten und Gebräuche

Mintzel lebte, wie viele Berichte drastisch zeigen, in keiner „heilen Welt“ mit lauter frommen Bürgern. Ganz im Gegenteil, seine Erlebniswelt war voll praller „Sündhaftigkeit“ und Widerborstigkeit gegen die obrigkeitlichen Vorschriften, gegen die von der Obrigkeit erwartete und geforderte Glaubenspraxis und vor allem gegen das Kirchenregiment. Er selbst nahm vermutlich an mancher unerwünschten Tätigkeit und Belustigung teil. Viele Berichte aus damaliger Zeit, vor allem kirchliche Visitationsberichte, vermitteln ein derbes Treiben der Untertanen. Die landeshistorische Forschung trägt dazu eine Fülle von Beispielen bei, die uns in Mintzels Lebenswirklichkeit und Alltag zurückversetzen:

„Obwohl Volksbelustigungen wie Kirchweihfeiern, Tanzveranstaltungen und Fastnachttreiben zu calvinischer Zeit offiziell unterbunden worden waren, und auch unter Ludwig VI. nicht gerne gesehen waren, bestanden sie weiter. Zu den Faschingsbräuchen zählten auch damals schon das Verkleiden, das Ringelstechen, das Stürmen des Rathauses, das Backen von Kucheln, das Pflugziehen oder das Verbrennen von Strohpuppen (…) Allen Verboten zum Trotz zogen um Weihnachten und Neujahr in weiten Teilen des Landes die Neujahrssinger oder Göllner mit einer Glocke und einem Stern durch die Gemeinden“ (Frieb 2006, 98).

„Weitverbreitete Übel scheinen vorehelicher Geschlechtsverkehr und Leichtfertigkeit in der Ehemoral gewesen zu sein: So wurde von einem Fall eines unehelichen Kindes mit unbekanntem Vater berichtet, ferner von einer kürzlich erfolgten Taufe zweier Hurenkinder und einer unrechtmäßig geschlossenen, da zuvor nicht verkündeten Ehe. Ebenfalls namentlich benannt wurden Personen, die sich Verstößen wie Unzucht, Misshandlung der Ehefrau, Streitsucht Trunksucht, Verschwendung oder Wucher schuldig gemacht hatten oder auch durch Gotteslästerung oder langes Fernbleiben von der Kirche aufgefallen waren“ (Frieb 2006, 166).

„Eher weltlicher Natur waren die folgenden verbreiteten Übel: Ungehorsam, Widerspenstigkeit und Leichtfertigkeit, Streitsucht, Fluchen du Schelten, ungezogenes und schändliches reden, Spielen und Völlerei, Trunksucht und ausgiebiger Wirtshausbesuch sowie insbesondere das ungehörige nächtliche Treiben auf Straßen und in Gassen (…) Massiv angeprangert wurde ferner die Unzucht in all ihren Spielarten – wie allgemeine Geringschätzung der Ehe, Zusammenleben vor der Eheschließung, vorehelicher oder unehelicher Geschlechtsverkehr und Ehebruch“ (Frieb 2006 180f, vergleiche hierzu auch 259, 272).

„Negativ ins Auge fielen den Vorgesetzten neben religiöser Nachlässigkeit das Aufsuchen von Tanzveranstaltungen und das Betreiben von Spielen auch und grade zur Zeit der Kinderlehre sowie die Unbeständigkeit und der Eigensinn speziell des Gesindes. Des Öfteren kamen darüber hinaus Fälle von Untreue und Ehebruch vor“ (Frieb 2006, 238).

„Fluchen und gotteslästerliche Reden scheinen ebenso wie mangelnder Respekt vor der Geistlichkeit sehr verbreitet gewesen zu sein“ (Frieb 2006, 235). Alles in Allem kommen uns diese Berichte und Klagen doch sehr modern vor.

In der sittlichen Lebensführung und in den Auswüchsen scheint es ein gewisses Stadt-Land-Gefälle gegeben zu haben (Frieb 2006, 195). Jedenfalls lassen Visitationsberichte darauf schließen.

Amberger Verhältnisse

Die Amberger Herkunft Mintzels und seine Ausbildung am Pädagogium machen die Schilderungen Amberger Verhältnisse besonders interessant.

„Unzucht, Leichtfertigkeit in verschiedenen Situationen – wie etwa beim Baden in der Vils oder bei Bauernhochzeiten – waren zum Leidwesen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit ebenso gemein wie zu frühes Zusammenbetten von Paaren oder gar das Schwängern vor der Hochzeit. Und auch bei schlechten Ehen oder Misshandlungen von Frauen, die daraufhin zum Teil ihre Männer verließen, handelte es sich um keine Einzelfälle. Kinder, die ihr sträfliches Verhalten freilich von ihren Eltern übernommen haben mochten, benahmen sich böse und ungehorsam gegen Vorgesetzte, Söhne hielten ihre Eltern schlecht und behandelten diese mit Beschimpfungen und Schlägen; Eltern schickten umgekehrt ihre Kinder auf die Straße, um zu betteln – womöglich um das durch Trinkgelege verlorene Geld zu ersetzen. Auch war die Stadt offenbar nicht arm an streitsüchtigen Frauen, an Müßiggängern und Bettlern, an Mutwilligen und Unflätigen, unter denen der Anteil fremder Handwerksgesellen besonders hoch gewesen sein soll. Männer hielten sich, bevorzugt bei Nacht und zur Marktzeit, längere Zeit und unter Geschrei in den Wirtshäusern auf, während ihre Familien zuhause womöglich darben mussten. Schändliches Reden, Schreien und Schelten waren ebenso verbreitet wie Schwören, Fluchen und Gotteslästerung. Als Beleg für die sittliche Verfasstheit der Stadtbevölkerung wurde angeführt, dass bereits im laufenden Jahr etliche uneheliche Kinder zur Welt gebracht worden seien. Die diversen Amtsträger sprachen immer wieder davon, dass es in der Stadt Personen gebe, die mit Zauberei, Magie und allerlei sonderbaren Künsten Umgang hätten“ (Frieb 2006, 195f). Lesen wir solche und ähnliche Berichte nicht jeden Tag in der Heimatpresse?

Kein Wunder also, dass die Zöglinge des kurfürstlichen Pädagogiums, die später vorbildhaft die calvinische oder lutherische Lehre festigen und verbreiten sollten, im Internat unter strenger Kontrolle gestanden hatten und Tag und Nacht zu eiserner Disziplin und Gehorsam angehalten worden waren. Ob diese Abschirmung vor der sündigen Außenwelt wirklich hermetisch dicht gewesen war, darf bezweifelt werden. Der Preis ihrer vollen Rundumversorgung war in der Anstalt der einer asketischen Ausbildung und Lebensführung gewesen. In die „Welt draußen“ entlassen mussten sich die ehemaligen Zöglinge rasch zurechtfinden und gerieten selbst leicht in prekäre Situationen.

In Ansehung seiner fleißigen Amtsführung

Schulmeister Mintzel, über den berichtet wurde, er tränke gern, scheint in der Öffentlichkeit nicht sonderlich auffällig geworden zu sein. Vielleicht war er, wenn er sich, ohne sich abzumelden, „außläuferisch“ von Speinshart entfernt hatte, anderenorts in eine Wirtschaft oder auch nur in der schönen Umgebung spazieren gegangen. Ein Trunkenbold scheint er jedoch nicht gewesen zu sein. Das wäre der Obrigkeit sicher zu Ohren gekommen. Seine späteren Bittschriften mit Gesuchen um „Additionen“ wurden in den Jahren 1591, 1606, 1607, 1608, 1609 und 1610 von der Obrigkeit mit Ausnahme der ersten von 1591 jedes Mal positiv beschieden. In den Begründungen wurde wiederholt ausdrücklich auf Mintzels gute Amtsführung und Fleiß hingewiesen. Die Bewilligung eines Zuschusses für das Jahr 1606 wurde zum Beispiel am 15. August 1606 mit der Bemerkung begründet:

„…um seines uns berümbten Fleißes auch an die 20 Jahr geleister diensts willen…“

Und 1609 wird Mintzels Bittgesuch um eine Addition mit den Worten beschieden:

„…haben wir in ansehung seiner langwierigen [langwährenden – A.M.] Diensten und geclagten dürfftigkeit gnädig bewilligt…“

Mintzels Gesuche und die amtlichen Stellungnahmen und Verfügungen weisen ihn ohne Zweifel als einen gut beleumundeten und seinen dienstlichen Pflichten genügenden kleinen Staatsbeamten aus. Seine Lebens- und Amtsführung gaben keinen Anlass, ihm Extrazuschüsse in Form von wenigen Gulden und Naturalien zu verweigern.

Speinshart war von Anfang an eine Ortschaft mit nur wenigen Insassen. Es behielt seinen idyllischen, architektonisch in sich abgeschlossenen Charakter über viele Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart hinein.

[Abbildung: Postkartenansicht der 1960er Jahre]

Über lange Zeit zählte es wohl höchstens 200 bis 300 Seelen. Heute leben dort knapp über 1000 Personen. Ich habe einen „nobody“ der langen Stifts- und Ortsgeschichte aus dem Dunkel der Vergangenheit hervorgeholt, meinen direkten Vorfahren Johann Mintzel. Er, der Pfarrer, der Richter, der Gerichtsschreiber und wenige andere Personen hatten am Ort zu den gebildeten Honoratioren gehört. Sie waren die studierten Herren, die lesen und schreiben konnten und die Sprache der Gelehrten, das Lateinische, leidlich beherrschten. Ihren schriftlichen Hinterlassenschaften verdanke ich tiefe Einblicke in die Lebens- und Erlebniswelt vergangener Zeiten. Ich schreibe gegen das Vergessen und vergessen zu werden an. Alles ist Windhauch. „Eine Generation kommt und eine Generation geht (…) Da gibt es keine Erinnerung an die Früheren. Und an die Künftigen, die sein werden, auch an sie wird man sich nicht mehr erinnern, bei denen die später sein werden.“

 

Literatur (Auswahl): Denk, Julius: Zwei ehemalige Lehr- u. Erziehungsanstalten Ambergs, Amberg 1904; Katharina Frieb, 2006, Kirchenvisitation und Kommunikation. Die Akten zu den Visitationen in der Kuroberpfalz unter Ludwig VI. (1576-1583) Verlag C.H. Beck. Maximilian Weigel, 1967: Ambergisches Pfarrerbuch, Kallmünz.

Krebs, F.: Das deutsche Schulwesen Ambergs von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts. Amberg 1931; Hartig, M.: Kloster Speinshart. Kleine Kunstführer. München: Schnell 1951; Motyka, Gustav,1972: Das Kloster Speinshart, Weiden 1972; Götz, J. B.: Die religiösen Wirren in der Oberpfalz 1576-1620; Ammon, Hans: Beiträge zu einem Schulmeisterlexicon Oberpfalz. Neuausgabe, bearbeitet von Georg Paul. Familienkundliche Beiträge Nr. 39, 2006; Scherl, Josef,1940: Die Grundherrschaft des Klosters Speinshart, Neudruck; Weigel, Maximilian: Beiträge zu einer Geschichte des kurfürstlichen Pädagogiums in Amberg, 1939;

Archivalien: Staatsarchiv Amberg, Oberpfälzer Religions- und Reformationswesen 2 (folio 396v), 52(folio 205-207, 208-209), 55,922,923 Ambergische Kirchenratsprotokolle 1577-1581;

Meine bisherigen Forschungsergebnisse und Quellenbelege habe ich zusammengefasst in:

Alf Mintzel: Von der Schwarzen Kunst zur Druckindustrie: Die Buchdruckerei Mintzel und ihr Zeitungsverlag. Ein Familienunternehmen in fünf Jahrhunderte, Bd. I: Vom Dreißigjährigen Krieg bis 1800, XXII, 693 Seiten; Bd. II: Von 1800 bis zur Gegenwart, XXV, 895 Seiten. Duncker & Humblot: Berlin, 2011.

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