„Einer überraschenden Art des Staunens wurde ich fähig. Herausgerissen aus dem Zusammenhang mit den anderen Dingen gewann jeder Gegenstand eine neue Bedeutung“ (Alfred Kubin, 1909 /1962, 103)
Fremdwahrnehmungen und Spiegelungen
In der Sphäre des Kunstschaffens gilt womöglich noch strikter als für die der Wissenschaft der Satz: „De nobis ipsis silemus“, von uns selber schweigen wir. (Francis Bacon: Instauratio magna. Praefatio, zit. nach Immanuel Kant). Unsere Arbeit, Leistung und Verdienste zu würdigen, ist Angelegenheit anderer. Künstler überlassen es in der Regel „Kunsterklärern“, ihre Werke professionell zu entschlüsseln, zu deuten und in das allgemeine Kunstschaffen einzuordnen. Sie weigern sich, ihre Bilder und Objekte selbst zu erklären. Ganz so strikt habe ich mich nicht immer daran gehalten. In meinem Katalog „Objekte 1989–1995“, den ich zur Feier meines 60. Geburtstag selbst gestaltet und publiziert habe (ISBN 3-00-00000-9), beschreibe ich in dadaistischer Weise, wie jedes Objekt, sei es aus Holz, Stein oder Metall, zustande gekommen ist. In diesem Katalog habe ich zugleich ein Arbeitsprogramm für die Zeit nach meiner Pensionierung (2000ff) entwickelt. Doch muss ich zeitlich nochmals weit ausholen, um die späte Rückkehr in mein „zweites Berufsleben“ zu erklären. (Weitere Informationen hierzu finden Sie hier: http://www.bbk-bayern.de/kuenstler/kib/detail_print.phtml?kunr=1767)
Nachdem ich mich 1959 entschieden hatte, mein Studium der Malerei und Grafik nicht fortzusetzen und ein anderes Universitätsstudium zu beginnen (siehe Kap. 11), eröffnete sich für mich nach einigen Semestern des Hineintastens in universitäre Studiengänge (Rechtswissenschaften, 1959–1962) der Weg in die Soziologie und Politikwissenschaft (siehe Kap. 13/14). 1962 wurde ich an der Freien Universität Berlin in ein von der Ford Foundation finanziertes Förderungsprogramm für wissenschaftlichen Nachwuchs aufgenommen und am vormaligen Institut für politische Wissenschaft am Forschungsprojekt „Berlin – Hauptstadtanspruch und Westintegration“ beteiligt. Zur Erinnerung: Ab 1962 durchlief ich zielorientiert mit Glück und Bravour alle Stationen einer sozialwissenschaftlichen Universitätskarriere: das Diplomexamen im Fach Soziologie (1967), die Promotion im Fach Politikwissenschaft und Politische Soziologie (1974, summa cum laude) und die Habilitation und Venia legendi (1978). Alle Stationen waren von Unsicherheiten begleitet, ob es mir gelingen würde, in der Wissenschaft auf Dauer verbleiben zu können. Aufgrund meiner publizierten Studien über die CSU und Bayern, die mich in ganz Westeuropa bekannt gemacht hatten, konnte ich 1974 in die zeitlich befristete Stelle eines Assistenzprofessors einrücken. Ab 1978 galt es auf eine Universitätsprofessur berufen zu werden. In diese äußerst arbeitsintensive und strapaziöse Zeit des wissenschaftlichen Werdegangs fiel die Entscheidung, eine Familie zu gründen: Eheschließung mit Inge Lu 1964, Geburt der Töchter Anne 1968, Theresa 1971 und Caroline 1975. Es bedurfte eines geradezu waghalsigen Durchhaltevermögens und enormen Selbstvertrauens, um nicht zu scheitern. Kurzum, zum Malen und Zeichnen, wie überhaupt für die Kunst, blieb von 1960 bis 1980 nicht einmal als Hobby Zeit. Als unsere Töchter heranwuchsen, standen allerdings von Kindesbeinen an stets Farben, Stifte, Papier und Wasser bereit, um ihre kreativen Impulse zum Ausdruck kommen zu lassen und zu fördern. Ich stellte in dieser Zeit mein Können und meine Freude am Malen und Zeichnen fast ausschließlich in den Dienst ästhetischer Kindererziehung. Erst 1980, als ich die schlimmsten Zeiten akademischer Unsicherheit mit Lehrstuhlvertretungen überbrücken konnte, begann ich mich wieder dem Zeichnen und Malen zuzuwenden. Ich versuchte mich in der Porträtmalerei und ging in Berlin bei einem freischaffenden italienischen Maler, bei Riccardo Adelchi Mantovani, buchstäblich in die Lehre, um mich in der Lasurmalerei zu üben. Es entstanden 1980 auf dem Weg der Schulung im alten Metier die Porträts von Inge Lu und Theresa. Die ersten Arbeitsergebnisse ließen mich hoffen, neben der Wissenschaft im Sinne eines musischen Ausgleichs in die Kunst zurückzufinden.
Alf Mintzel, Portrait Inge Lu Mintzel, 1980, Lasurtechnik
Alf Mintzel, Portrait Theresa Florentine Mintzel, 1981, Lasurtechnik
Ich brauchte nach den strapaziösen Berliner Jahren innere kreative Balance und psychische Erholung. Mit der Berufung auf den Passauer Lehrstuhl für Soziologie gelangte ich glücklicherweise 1981, obschon neue Turbulenzen und Konflikte nicht ausblieben (siehe Kap. 21ff), „on the sunny site of the street“. Zu unserem silbernen Hochzeitstag veröffentlichten Inge Lu und ich im März 1989 in einem gemeinsam gestalteten großformatigen Buch ihre Gedichte und meine Bilder, die bis dahin entstanden waren. Im Titel „Es ist noch Zeit genug“ kam unsere Hoffnung zum Ausdruck, wieder mehr Zeit für künstlerische Impulse zu finden. Seit Beginn der 1990er Jahren wandte ich mich hauptsächlich der Objekt-Kunst zu, nach 2000 auch dem Lithografieren und der Radierung. Die Resultate aus den Jahren 1989 bis 1995 publizierte ich in dem schon genannten und von mir gestalteten Objekte-Katalog (1995). Seither beteiligte ich mich an etwa zwei Dutzend Ausstellungen, darunter auch an einigen in anderen Orten (Wiesbaden, Ortenburg, Vilshofen, Straubing, Bad Kreuznach und Ulm). Die Würdigung überlasse ich im Folgenden anderen.
Krieger, Madonnen, Masken – Der Künstler Alf Mintzel als Schmied seiner Objekte
(Quelle: Prof. Dr. Klaus Dirscherl, in: Stefan Immerfall (Hrsg.): Parteien, Kulturen und Konflikte. Beiträge zur multikulturellen Gegenwartsgesellschaft. Festschrift für Alf Mintzel. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S.283–292.
Persönliches I
Alf Mintzel hat sich zu seinem 60. Geburtstag einen Kunstkatalog geschenkt. Objekte heißt er. Die glücklichen Besitzer, zu denen auch ich gehöre, haben so die Gelegenheit, die Bekanntschaft jener metallenen Schutzengel zu machen, die sich der alternde, aber ewig junge Soziologiekollege für sein >Zweites Arbeitsleben< zurechtschmiedet. Das Geschenk war zum 18. April 1995 datiert. Fünf Jahre später feiern wir seinen endgültigen Eintritt in dieses >Zweite Arbeitsleben< mit einer Festschrift Eigentlich hasse ich Festschriften. Weil man darin allzu häufig allzu Abgelegtes, nicht Verwertbares für ein viel zu teures Buch wissenschaftlich recycelt. Aber Mintzels >Objekte< und das Buch, das er darüber gemacht hat, geben mir die schöne Gelegenheit, mich mit ihm selbst, d.h. dem Künstler im Menschen Mintzel, zu beschäftigen. Also schenke ich auch mir – eben vom Kurzurlaub zurück – ein paar schöne Stunden und Tage auf der sonnigen Aprilterrasse, kurz vor seinem 65., im Umgang mit dem spannendsten Mintzel, den ich kenne: Ich erinnere mich dabei an die beeindruckende Ausstellung einiger dieser Objekte im neu restaurierten Passauer Luragosaal, wo mich damals bereits seine schmiedeeisernen „Leibwächter“ (der Ausdruck stammt von Mintzel selbst) halb streng, halb grinsend anschauten. Ich bin froh, dass der Schlachtenlärm vom letzten Madonnenstreit (geht er mittlerweile in die vierte oder fünfte Runde oder ist es doch ein sur-realistischer cadavre exquis, den Kunst, Kirche und Kitsch auf der Bühne der Hochschule unter Mitwirkung mehrerer Madonnen, Rektoren und Beckmesser aufführen?), ich bin froh, sagte ich, dass dieser Schlachtenlärm zu Beginn der zweitausendsten Osterzeit etwas verklungen ist, und gebe mich ganz der Freude des Spiels mit Mintzelschen Figuren, so genannten ready mades, hin. Aber da regt sich in mir bereits Widerspruch! Und dann Zweifel. Darf man in einer Festschrift widersprechen? Noch dazu dem Gefeierten? Ich will es wagen.
Ready made, wirklich?
Mintzels „Objekte“, die er gerne ready mades nennt, sind gar keine, Marcel Duchamp, der Erfinder dieser hochironischen, antiakademischen Kunstform ‚ernannte‘ mit diesem Begriff irgendwelche beliebigen Alltagsgegenstände provozierend banaler Art (ein Urinal, ein Fahrradteil, einen Flaschentrockner) zum Kunstwerk, indem er sie durch Unterschrift und Datierung nobilitierte und in eine Kunstausstellung stellte. >Durch diese Isolierung und Dislozierung eines gewöhnlichen und unbeachteten Dinges, die natürlich auch die psychologischen Elemente der Ironisierung und Verhöhnung des Dinges mit einschlossen<, wurde das Ding aus seinen ihm normal zugewiesenen Verhältnissen herausgerückt, verrückt … und durch >den Schock, den es in den ihm wesensfremden verrückten neuen Verhältnissen auslöste, als etwas ganz Neues, Anderes, Sonderbares und Merkwürdiges erkannt.<
Alf Mintzel, Wiederkehr der Entsorgten II, 1997, Schmiedeeisen
Doch Mintzels >Objekte< vermitteln diesen Kulturschock, den Dislozierung und Transfer von Alltagskultur in fremde Kontexte normalerweise auslösen, mitnichten. Vielmehr machen diese alten Ölkannen, diese unbrauchbar gewordenen, meist eisernen Werkzeuge vergangener Zeit, die abgeschabten Steinplatten, die der eifrige Flohmarktbesucher eingesammelt, nach Hause getragen, liebevoll gereinigt, manchmal mit anderen >Fundsachen< zusammengeschweißt und dann effektvoll fotografiert hat, auf mich einen beinahe anheimelnden Eindruck. Während Duchamps ready mades das Ende der bürgerlichen Kunst mit ihrer Feier des Künstlers und der sorgfältigen Anfertigung des Kunstwerkes einläuteten, und die Provokation ihres Entstehens zu einem wesentlichen Teil gerade in ihrer (fast schon postmodernen) Reproduzierbarkeit lag, spürt man in Mintzels Objekten allenthalben die liebevolle. formende, von einem starken Ausdruckswillen geführte Hand des Künstlers. Der Ausgangspunkt seiner >Objekte< sind zwar Fundgegenstände wie bei Duchamp. Doch Mintzel legt durch seine Eingriffe – die Reinigung des Verrosteten mit Säuren, das Zusammenschweißen mit verwandten Fundsachen und Materialien u.a.m. – ihre verborgenen Grundeigenschaften, gleichsam ihren Charakter frei, während Duchamps ready mades mit der Banalität der Ausgangsobjekte ein ironisches Maskenspiel betreiben. Trotz ihrer harten Materialität geht von ihnen eine menschliche Wärme aus, die Wärme der künstlerischen Hand, die sie aus dem Dasein des Unbeachteten, Weggeworfenen befreit und durch sorgfältiges, stilsicheres Eingreifen zu Ikonen einer vergangenen, beinahe nostalgisch gefeierten Zeit macht.
Subjektive Objekte
Mintzel nennt seine Objekte >Krieger<, >Nike<, >Getroffener Vogel<, >Kreuzigung<, >Flussgeist< und gibt damit eine Sinndeutung vor, die das dadaistisch geprägte ready made gerade verweigert. Mintzels Objekttitel lassen dem Betrachter gleichwohl noch mächtig Spielraum zur eigenständigen Deutung, öffnen Sinnwechsel durch die Verschränkung unterschiedlicher Kontexte, die seine ehemals nützlichen Fundsachen in einer neuen Metaphorik der Materialien entfalten. Sie erinnern mich sehr viel mehr an die Assemblagen eines Antoni Tàpies, der ebenfalls aus der Bescheidenheit von verbrauchten, abgeschabten, altgewordenen Gegenständen ungewöhnliche, neue Kunstobjekte kreierte. Wie bei Tàpies sind auch Mintzels Objekte von einem starken Ausdruckswillen geprägt. Man spürt allenthalben, gerade weil die verwendeten Materialien hart (eisern, hölzern, steinern) sind, die formende Hand des Künstlers. Hier artikuliert sich nicht die spielerische (und ironische) Beliebigkeit postmoderner Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit, sondern die Subjektivität eines Künstlers, der in abgenutzten Gegenständen die Würde ihres Ursprungs, fast möchte man sagen die Noblesse ihrer Einfachheit und einstmaligen Stärke hervorkehrt, indem er sie zu Figuren einer dynamisch bewegten, subjektiv geprägten Vorstellungswelt, zu >Kriegern<, zu >Flussgeistern<, zu >Idolen< macht. Mintzels Konfigurationen auf der Basis alter und sorgfältig präparierter Gebrauchsgegenstände aus verschwundenen Handwerks- und Landarbeitszeiten sind keine ready mades, sondern assemblage-verwandte Objekte, die mit subjektiver Kraft uns zum Nach- und Weiterdenken über die Grundelemente unserer Welt anstiften.
Von der Kunst des Aufhebens
Liest man die sorgfältigen Angaben Mintzels darüber, wie seine Objekte entstanden, beispielhaft sei der Katalogtext zu >Objekt: weibliches Idol, 1994< in voller Länge zitiert:
>Idee: idolo femminile; female idol; schon beim Kauf als weiteres Stück meiner Idol-Sammlung betrachtet.
Material: Gusseisen, 14,6 cm x 5,2 cm x 1 cm (Höhe x Breite/breiteste Stelle x Tiefe) Gebrauchsgegenstand: unbekannt; der Trödler konnte keine Angaben zum Objekt machen; die Vermutung, dass es zu einem Pferdezaum gehört, hat sich nicht bestätigt; es muss sich um irgendein Verbindungs- oder Gelenkstück handeln. Fundort: Flohmarkt Pfarrkirchen, Niederbayern, an einem sehr heißen Julitag: 02.07.1994 (Ausflug nach Altötting); Preis DM 2,00.
Geschichte des Objekts: am 05.08.1994 in Orselina, Casa Lu, und am 17.08.1994 Objekt zusammen mit anderen Hammer-Idolen mit Entroster behandelt, wodurch die eigenartige, graufleckige Patina entstand<.
Alf Mintzel, Objekt: weibliches Idol, 1994, Gusseisen, Granit
So entdeckt man, dass vor dem Schaffensprozess der Assemblage, noch vor dem Reinigen und sicher vor dem kunstvollen Foto des Objekts die mühevolle, hartnäckige, aber immer mit dem Glück des Zufalls rechnende Tätigkeit des Sammlers steht. Der Künstler als Sammler, das lässt bei aller Modernität des Objekteschmieds Alf Mintzel an postmoderne Grundprinzipien denken, an die Beliebigkeit der Gegenstände, ihre alltägliche Verfügbarkeit, den Seriencharakter und ihre vermeintliche Austauschbarkeit.
Doch Mintzel bleibt eben nicht beim Sammeln, Ordnen und Aufreihen stehen. Sein Sammelvorgang wird von einem liebevollen Akt der Reinigung und Bloßlegung der Grundmaterialien des Fundes abgelöst, man könnte auch sagen überwunden. Der Fund wird veredelt. Aus dem Fundstück wird ein Werkstück, das mit seiner erneuerten Kraft in die Zukunft weist und mit seinem bewahrenden Gestus die Vergangenheit sichert, aufbewahrt und durch Erinnerung adelt. Mintzel ist ein Künstler der Erinnerung und Erneuerung in einem. Er beherrscht die alte rhetorische Tugend der memoria, bleibt aber nicht im Musealen stecken, sondern fordert mit seiner sanft ästhetisierenden Hand der Bewahrungsarbeit gleichzeitig eine Rückbesinnung auf alte Tugenden/Materialien und eine Erneuerung aus dem Vorgefundenen. Fast möchte man ihn mit einem modischen Schlagwort der ökologischen Bewegung einen Künstler der ‚Nachhaltigkeit‘ nennen. Möchte man. Wäre da nicht der stets spürbare Wille zur Überwindung des Alten, zur Neukreation. Mintzels Figuren-Objekte sind nicht nur eine hommage an alte Gerätschaften. Sie werden in ihrer ungelenken, aber völlig überzeugenden Gestik zu human gewordenen Schutzengeln des schutzbedürftigen, sich nach Wärme und Kraft sehnenden Menschen der Postmoderne. Und mit dieser ihnen eigenen Kraft neuer Zuversicht in die Schöpferpotenz des Menschen überwinden sie ein zweites Mal (nach der bewahrenden Reinigung durch den Sammler Mintzel) ihren armseligen Erstzustand als verlorenes Gebrauchsgut versinkender Zivilisationen.
Alf Mintzel, Gott des Tanzes, Komponiertes Readymade, 1993, Gusseisen, Granit
Damit wird Mintzels künstlerisches Tun der intertextuellen Literatur und ihrem Innovationspotential (beispielsweise des Petrarkismus) vergleichbar. Denn hier wie dort praktiziert man die dreifache Kunst des Aufhebens. (1) Zunächst wird ein altes (Bruch-)Stück aufgelesen, vom Boden aufgehoben, wo es – weggeworfen – belang-los schien, das ist der erste Sinn des Aufhebens. (2) Sodann wird es nach Hause in die eigene Sammlung/Bibliothek zur Aufbewahrung gebracht, also ein zweites Mal aufgehoben, gereinigt, geordnet, vielleicht nummeriert und verfügbar für spätere Neukreationen/Lektüren gemacht. (3) Erst im Akt der Assemblage entsteht ein neues Ding, das ans alte erinnert, doch unvergleichlich und unverwechselbar, ja einmalig ist. Das alte Ding wird durchs neue Objekt überwunden, überholt, in seiner alten Funktion aufgehoben.
Das Komische und das Sakrale
In dieser letzten Aufhebung offenbart sich nicht selten ein Schuss Ironie, eine latente Komik der Mintzelschen Geschöpfe, wenn sie sich hinauswagen ins Licht der Öffentlichkeit. Bei aller Sehnsucht nach dem Erhabenen im Schöpfungsakt, wie sie in Titeln, wie >Gottheit<, >Kreuzigung<, >gotischer Faltenwurf< und ähnlichen, zum Ausdruck kommt und in der statuarischen Monumentqualität vieler seiner Objekte sichtbar wird, schaut bei Mintzel immer auch ein tiefsitzender Schalk hinter der nur scheinbar objektiven Ding-Kunst hervor.
Alf Mintzel, Selene, Assemblage, 1992, Gusseisen, Holz, Granit
Alf Mintzel, Meditation, Assemblage, 1992, Gusseisen, Holz, Granit
Aus einem alten Flachshechel, den er in einem Holzriegel verkeilt, macht er einen >Stier<, dem man die lächerliche Imponiergestalt von weitem ansieht. Die Hausgäste in seinem Schweizer Feriendomizil lässt er mit maskenähnlichen Gerätschaften >Commedia dell’arte< spielen und er selbst schaut verschmitzt durch eine wunderbare >Wurzelbrille< auf den verdutzten Betrachter. Mintzels Objektkunst veredelt und überhöht die armseligen Ausgangsmaterialien zu einer >sakralen Komposition<, so der Titel einer seiner Assemblagen. Und wer Mintzel nur als den Kämpfer gegen die universitäre >Maria vom Siege< kennt, entdeckt in seinem künstlerischen Werk mit Überraschung eine ganze Reihe von Objektkompositionen, die >gotische Madonnen<, ihren edlen >Faltenwurf< oder Gottheiten aus dem Reich der Mythologie zum Thema haben. Doch als hätte der Objektkünstler Mintzel Sorge, von der hohen Ebene des Pathos ganz vereinnahmt zu werden, nutzt er gleichsam als Gegengift das immense Ironie-Potential, das in seinem Material und seinem Schaffensprozess steckt, immer wieder zu befreienden Soli eines komödiantischen Umgangs mit seinem reichhaltigen Flohmarktfundus. So gesehen sind auch seine >komischen< Objekte Objektivierungen starker Gefühle, Geschöpfe, mit denen Mintzel seine Emotionen dingfest macht. Und gerade deshalb überzeugen sie.
Persönliches II
Jetzt, wo ich mit meinem vorösterlichen textlichen Umgang (am 18.04.2000) mit dem dingfesten Mintzel gut gelaunt ans Ende gelange und mich das erste Frühlingsgewitter von der Terrasse vertreibt, kommt es mir wie ein Blitz: Natürlich: Mintzels Madonnenstreit ist eigentlich ein Passauer ready made, oder anders gesagt: Jene >Maria vom Siege<, die als sakrale Komposition auf der Nordseite der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau (in der Michaeligasse Nr. 13) in die Wand eingefügt ist, wird von ihm wie so vieles längst Vergessene und etwas Abgenutzte in einen noch lange nicht beendeten Prozess des Aufhebens verwickelt. Miteinbezogen werden – ernsthaft pathetisch und komisch zugleich – auch andere Beteiligte, und so wird den dergestalt Aufgehobenen zu immer neuen Renaissancen künstlerischer und anderer Art verholfen.“
Alf Mintzel: Objekte – Grafik – Malerei. Retrospektive & Neues.
Laudatio, gehalten auf der Vernissage der Ausstellung am 24. April 2015 in der Produzentengalerie Passau
Von Florian Lechner
„Ich bin Wissenschaftler aus Passion, gelegentlich auch politischer Publizist, aber da melden sich immer wieder andere Anlagen und Triebkräfte zu Wort. Wissenschaft ermöglicht nur einen Zugang zur Welt. In meiner Person finde ich verschiedene Anlagen, Spannungen und Widersprüche, Lebensmut und Lebenslust. Andere Wege der Welterfahrung und Lebensäußerung hielt ich immer für wichtig. Doppelsinnig gesagt: Ohne meine >Muse< wäre ich nur ein armer Wissenschaftler.“ (so Alf Mintzel selbst, 1988, Katalog zur Ausstellung 1989 im Scharfrichterhaus: Alf Mintzel und Inge Lu Mintzel >Es ist noch Zeit genug<). Er selbst bezeichnet sich des Weiteren als ein maverick (Einzelgänger, Querdenker, Rebell) und Grenzgänger.(…)
Alf Mintzel legt in dieser Ausstellung einen großen Schwerpunkt auf seine Objektkunst, zumeist handelt es sich um aktuelle und neue Arbeiten. Mintzel ist ein Sammler von Gegenständen, die viele gemeinhin als Schrott und Abfall bezeichnen würden. Auf Flohmärkten, Schrottplätzen und Baustellen und bei Wanderungen mit seiner Frau entdeckt er immer wieder >kunstwürdige< Dinge. (Etwa: Nägel, Flachshechel, Hammer, Beile oder Bleche). Seine Kunst hat trotz ihrer modernen Erscheinung auch konservativen/konservatorischen Charakter, denn es geht ihm auch um das Bewahren und Wiederverwenden von vermeintlich verbrauchten Gegenständen. Mitunter ist das Sammeln auch durchaus aufwändig. In den Werken >Letzte Drehung I< und >Letzte Drehung II<, finden sich alte Pflugscharen. Diese hatte Mintzel beim Spazieren an der Ilz, wegen der eleganten Schwünge lange bewundert. Nach einiger Recherche konnte der Besitzer ausfindig gemacht werden und mit Hilfe eines Traktors wurde der Pflug abtransportiert.
Alf Mintzel, Letzte Drehung I und II, 2015, Schmiedeeisen (Photo G. Thuringer)
Verbeulte Dachrinnen, die er beim Abriss des Universitäts-Ghettos fand, erinnern ihn beispielsweise an Faltenwürfe in altmeisterlichen Gemälden, wie etwa bei Albrecht Dürer. Vermeintlicher Schrott wird fantasievoll als Mensch, Tier oder Gottheit interpretiert Man mag zunächst an die provokativen Ready Mades von Duchamp denken. Die Bezeichnung Ready Made greift aber zu kurz, man muss eher von Assemblagen sprechen, wie es bereits Prof. Dirscherl feststellte. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um unbearbeitete Alltagsgegenstände, die zur Kunst erklärt werden. Denn Mintzel reinigt diese Fundstücke und entrostet sie (er verwendet dafür Phosphorsäure und hat eine spezielle Rezeptur). Er arrangiert, komponiert und experimentiert mit diesen Gegenständen, bevor er sie zum eigentlichen Kunstwerk zusammenführt. Mitunter dauert es Jahre, oder sogar Jahrzehnte, bis ein fertiges Objekt entsteht. Ist das passende Arrangement gefunden, werden die Einzelteile auf Karton ausgelegt und die Konturen festgehalten, um sie anschließend permanent zu verbinden.
Da es sich meist um Metalle handelt, muss geschweißt werden. Die Schweißarbeit übernehmen Schmiede für ihn. Einen geeigneten Schmiedemeister zu finden, der Verständnis und Interesse zeigt und darüber hinaus die genauen Vorstellungen umsetzen kann, ist nicht leicht. Mit Alois Gobmeier hat er den Richtigen gefunden, so Mintzel. Es entstanden auch sämtliche Stahlobjekte von 2015 in Gobmeiers Schmiedewerkstatt in Pfarrkirchen (…). Die Assemblagen beschäftigten sich thematisch oft mit bedrohlichen Inhalten, wie martialische Wächter aus Nägeln und Beilen, Totemdarstellungen oder Titel: wie >Blumen des Bösen< und >Schwarze Sonne< nahelegen.
Kult, Ritus und Religion spielen eine weitere große Rolle beim Mintzel, auch spricht er immer wieder von Idolen. Mintzels archaische Darstellungen lassen uns immer wieder an alte Kulturen und deren Gottheiten denken (etwa ägyptische, griechische oder orientalische). Ebenso lassen sich oft Bezüge zur Bibel und dem Christentum finden. Neben dem Vogel ist auch der Stier ein beliebtes Tiermotiv von Mintzel. Das symbolträchtige Tier stand von alters her für Stärke und Fruchtbarkeit und findet sich oft in der griechischen Mythologie (z.B. Entführung der Europa durch Zeus in Stiergestalt; Minotaurus). Darüber hinaus ist der Stier ebenso häufig in der Moderne zu finden, etwa bei Picasso (man denke etwa an den Stierkopf aus Fahrradsattel und Lenker).
Trotz der Ernsthaftigkeit seiner Kunst und Themen ist Mintzel äußerst humorvoll, wie etwa die ironische Uminterpretation von der >Schöpfkelle zum Schöpfergott< in Genesis I und Genesis II, zeigt.
Alf Mintzel, Genesis I und II, 1997, Schmiedeeisen
Sein Schalk findet sich auch beim >Vater der Späne<, ein Hobel den er humorig personifizierte. Durch die Titel und die ausgeprägte Symbolik gibt Mintzel einiges vor, dennoch lässt er immer Raum für eigene Interpretationen und Assoziationen. Seine Kunst lässt sich auch schwer etikettieren und bietet dem Betrachter viele Freiräume.
Alf Mintzels Schaffen, das hier natürlich nur fragmentarisch und selektiv präsentiert wird, ist wahrlich vielschichtig. Mögliche Bezüge zu seinen Werken und Themen erstrecken sich von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart. Das alte, und immer noch bestehende, menschliche Bedürfnis nach Erkenntnis und Sinnfindung – die großen philosophischen Fragen – beschäftigen ihn als Wissenschaftler und Künstler. Er verweist auch immer kritisch auf die Schattenseiten der menschlichen Existenz und kreidet auch gesellschaftliche Missstände und Unrecht an. Dennoch zeigt er aber ebenfalls einen humorvollen und besonders einen fantasiereichen, kreativen und spielerischen Blick auf die Welt und die Dinge.
Ein Zitat des Dadaisten Kurt Schwitters bringt dies auf den Punkt: >Ein Spiel mit ernsten Problemen, das ist Kunst<, und das trifft bei Alf Mintzel wahrlich zu.“
Alf Mintzel, … , Schmiedeeisen (Photo G. Thuringer)
Alf Mintzel – Retrospektive & Neues in der Produzentengalerie Passau
Von Georg Thuringer
(Quelle: wasistlos das bad füssing magazin Mai 2015, S. 56)
„Während es Mode zu werden scheint, mit fünfzig oder sechzig einem Ghostwriter die Memoiren aufs Band zu sprechen um sich dann für immer zurückzulehnen, liefert der Ausnahmekünstler Alf Mintzel zu seinem achtzigsten Geburtstag eine Ausstellung mit Werken, die so gut wie alle in den letzten beiden Jahrzehnten entstanden sind, gut ein Viertel erst heuer: von einer Retrospektive ist nicht viel zu spüren. Wohl ist in der strengen Reduktion die Fokussierung der gereiften Künstlerpersönlichkeit auf das Wesentliche sichtbar – in der Klarheit der Akzentuierung und der intentionalen Entschiedenheit ist beileibe kein altersmilder Hang zur Wohligkeit erkennbar.
Mit Statements wie ,das Einfache ist schwieriger als aufgesetztes Dekor‘ grenzt Alf Mintzel sich entschieden ab gegen eine Kunst, die sich auf ,ein ästhetisches Spiel mit Dingen, Farben, Formen, Techniken und beliebigen und gefälligen Themen‘ begrenzt. Das klare Wort ist gleichsam sein Lebensmotto: obwohl er seine Studien an der Werkkunstschule Hannover begann und heute als Künstler in Erscheinung tritt, dürfte er den Meisten als streitbarer Lehrstuhlinhaber für Soziologie an der Universität Passau und nicht minder streitbarer Publizist in Erinnerung sein.
Wie als Intellektueller ist Mintzel auch als Künstler nicht in eine Schublade zu pressen: in seinen Lithographien bedient er sich einer reduzierten Gegenständlichkeit, überlagert mit assoziativen und symbolischen Elementen. Die Werke seiner Objektkunst verstehen sich einerseits als Reminiszenz an den vergangenen Nutzen der verarbeiteten Fundobjekte – meist Werkzeuge – an eine Art Würde des Dienens, die diesen Gegenständen in Jahrzehnten des Gebrauchs zugewachsen ist. Andererseits schafft er aus diesen alten Nutzartefakten neue künstlerische Artefakte, die dann neue Kontextfelder evozieren: japanisch, minoisch … die möglichen Assoziationen und symbolischen Lesarten treffen sich mit jenen der Lithographien.
Alf Mintzel, … , Schmiedeeisen (Photo G. Thuringer)
Technisch berührt Mintzel mit seinen Objekten auch den Bereich der Konzeptkunst: während er Graphik und Malerei von eigener Hand verfertigt, lässt er die Stahlobjekte von einem traditionellen Schmied fertigen – selbstverständlich nach genauesten Planskizzen und im arbeitsbegleitenden persönlichen Dialog mit dem erfahrenen Handwerker.
Viele seiner Themen kreisen mit wechselnden Radien um düstere Punkte der Geschichte und der menschlichen Psyche. Dies geschieht weder zufällig noch ist es aus Effekthascherei herbeigezogen: Schon in früher Jugend wurde Mintzel von seinem Vater, der nach dem Krieg als Anwalt an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen beteiligt war, mit den Greueln des Dritten Reichs konfrontiert; bei der Katastrophe von Khao Lak an Weihnachten 2004 kamen mehrere Mitglieder seiner Familie in den Fluten um [siehe hierzu Blog, Kap. 36/37 – A.M.].
Die Kraft und Integrität, mit denen Alf Mintzel sich intellektuell und künstlerisch ein Leben lang allen Widrigkeiten und Versuchungen entgegengestellt hat, spricht auch aus seinen Werken: und so ist auch der Begriff ,Retrospektive‘ dann doch nicht ganz falsch. Die Ausstellung rechtfertigt auch längere Anfahrtswege – bitte Zeit und Verstand mitbringen!“
„Ohne Kunst geht mir der Atem aus”
Alf Mintzel lockt großes Publikum zur Vernissage in Produzentengalerie
Von Gabriele Blachnik
(Quelle: Passauer Neue Presse Nr. 96 vom 27. 04. 2015)
„Selten hatte eine Vernissage in der Produzentengalerie so großen Zulauf wie die am Freitagabend. Das Interesse der Gäste galt Alf Mintzel, der eine Woche nach seinem 80. Geburtstag hier eine kleine Retrospektive eröffnete. Mintzel, der von 1981 bis 2000 an der Universität Passau Ordinarius für Soziologie war, konnte zahlreiche Uni-Mitarbeiter und >alte Professoren-Kollegen aus der Gründergeneration< begrüßen, darunter Heinrich Oberreuter, Familienmitglieder und Verwandte, die aus ganz Deutschland und den Niederlanden angereist waren, Bürgermeisterin Erika Träger, den bayerischen Grünen-Vorsitzenden Eike Hallitzky, Stadtheimatpflegerin Gisa Schäffer-Huber, MMK-Fördervereinsvorsitzenden Klaus Schürzinger, Kunstverein-Vizepräsidenten Dietmar Klinger, die Galeristen Gunther Braun und Eva Riesinger und zahlreiche Künstler wie Rudolf Klaffenböck, Eva Priller, Karl Schleinkofer, Georg Thuringer und die Künstler der Produzentengalerie. Kunstpädagoge Florian Lechner ging in seiner Laudatio auf den gehaltvollen Lebenslauf von Alf Mintzel ein (…). Mintzel sei Wissenschaftler aus Passion, aber stets auch anderen Triebkräften gefolgt, so Lechner. Er sei >Querdenker und Grenzgänger<, als Künstler auch Sammler und Wiederverwerter, der sich nicht nur mit ernsten Themen wie dem Krieg auseinandersetze, sondern immer wieder auch Schalk und Humor zeige. Anhand der ausgestellten Arbeiten umriss Lechner anschließend die künstlerische Bandbreite von Alf Mintzel. Zusehen sind etwa Lithografien, Radierungen, Materialbilder, Gemälde und Objekte aus Schmiedeeisen. Darin setzt sich Alf Mintzel mit Kriegsopfern und Gedächtnislandschaften auseinander, mit seinem Lieblingstier Vogel und mit Themen aus Mythos und Religion. Zu sehen sind auch ganz neue Arbeiten.
Mintzel bedankte sich besonders bei Schmied Alois Gobmeier aus Pfarrkirchen, der die Schweißarbeiten für seine Eisenobjekte ausführt, und bei seiner Frau, mit der er in einer >handwerklichen Glanzleistung< 51 Jahre verheiratet sei. Bis auf die Uhrzeit genau konnte er sagen, wann er sie vor 62 Jahren kennengelernt hat. Und gab zu, dass er sie bei all seinem Schaffen >manchmal vergesse<. Ein Leben mit Kunst war für mich stets ein Leitmotiv<, so Mintzel. >Ohne Kunst geht mir der Atem aus<.“
Aus: Passauer Neue Presse Nr. 96 vom 27. 04. 2015
InnSIDE ARTS:
Interview mit Prof. Alf Mintzel
(Quelle: InnSIDE Regional Magazin in Ostbayern und im Innviertel/OÖ, 24. Jahrgang Ausgabe 04. Mai 2015, S.44f)
„Vielen ist Professor Alf Mintzel durch den sogenannten Madonnenstreit noch in Erinnerung. Darüber hinaus ist der streitbare Professor, der im April seinen 80. Geburtstag begehen konnte, auch als Künstler tätig. Derzeit ist eine Ausstellung mit seinen Arbeiten in der Passauer Produzentengalerie zu sehen.
Wie würden Sie ihr Kunstschaffen selbst beschreiben und einordnen?
Darauf zu antworten, würde ich gern kompetenten Kunstbetrachtern und >Kunsterklärern< überlassen. Im Spiegel öffentlicher Kritik wird vermutlich manches anders gesehen. Aber ich gebe gern mit ein paar einfachen Worten Auskunft über meine Arbeit. Ein Laie drückt seinen Zugang und seine Eindrücke gewöhnlich mit schlichten Kommentaren aus: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht, das verstehe ich nicht, das finde ich interessant, das ist doch Schrott! Sehen, Betrachten und Verstehen bedürfen einer gewissen Übung und Schulung. Ich bin gern bereit, dazu ein paar Hilfen zu bieten. Zunächst etwas Grundsätzliches.
Mein Kunstschaffen will mehr sein als ein ästhetisches Spiel mit Dingen, Farben, Formen, Techniken und beliebigen und gefälligen Themen. Ich verstehe meine künstlerische Tätigkeit als eine intensive, tiefgehende Auseinandersetzung mit der Welt in der wir leben. Es gibt drei Schlüsselzugänge zur Welterfahrung: über Religion, über Wissenschaft und über Kunst. Ich bewege mich seit Jahrzenten als ein >Doppelgänger< und auch Grenzgänger in diesen Bereichen und habe diesen Perspektivwechsel immer als eine geistige Lebensbereicherung erfahren. In meiner Autobiografie steht das Kapitel >Ein Leben mit Kunst – Kunst als Biografie<. Das macht eine Selbsteinordnung allerdings nicht gerade leicht. Wissenschaft und Kunst waren für mich stets, obschon der Spagat schwierig war, gleichwertige Auseinandersetzungen mit unserer menschlichen Existenz.
Sie haben sich in der letzten Zeit wieder mehr der Objektkunst zugewandt. Wie muss sich ein Betrachter die Machart ihrer Objekte vorstellen? Wie würden Sie mit ihm ihre Objektkunst nahebringen?
Es ist ein komplizierter und schwer zu beschreibender Arbeitsprozess, der von einer Objekt-Idee im Kopf bis zum fertigen Objekt führt. Allem voran geht das Suchen und Entdecken von Fundsachen, was wiederum ein entdeckendes Auge und Sehen voraussetzt. Viele Menschen übersehen, ganz wörtlich gemeint, die Schönheit von Dingen oder die menschheitsgeschichtliche Würde von Dingen, die nutzlos am Rande liegen. Ich sammle und verarbeite Fundstücke aus Holz, Stein, Metall und andern Materialien, die früher eine handwerkliche und technische Funktion hatten. Daraus entstehen neue Objekt und Materialbilder.
Welche Geräte sind das aus der alten Welt des Handwerks, nach denen Sie suchen?
In meinem Fundarsenal liegen alte Hämmer, Nägel, Handbohrer, Riffelkämme, Beile, Messer, Schaufeln, Schlösser, Zangen, Stahlträgerfragmente, Metallplatten, Stahlgüsse und andere Materialien aus der weitgehend untergegangenen bäuerlich-handwerklichen, aber auch aus der uns umgebenden technischen Welt. Das ist mein Ausgangsmaterial. Aus Fundstücken werden ästhetische Werkstücke. Ursprüngliche Gebrauchsgegenstände werden durch eine konstruktive Idee in >Geschöpfe< eigener Art verwandelt.
Die einfachen, zwingend funktionalen Grundformen, in die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende Gebrauchserfahrung eingegangen sind, versuche ich in neue ästhetische Konstrukte einzubringen. Schmiedeeisernes Werkzeug vergangener Zeiten wird aus seinem nutzlos gewordenen Dasein in einen neuen ästhetischen Zusammenhang überführt und hierdurch Teil eines Kunstobjektes. Die Ausgangsmaterialien, Fundsachen aus alter Zeit, werden zu skulpturalen Objekten und Figurinen zusammengeschweißt und erhalten hierdurch eine neue >Ding-Würde<. Manche dieser >Geschöpfe< gewinnen geradezu eine sakrale Würde. Tiefere geistige Schichten unseres Daseins werden angesprochen, menschheitsgeschichtliche Erinnerungen wachgerufen. Vor uns stehen Idole, archaische Figurinen, Stelen, Mahnmale, Sonnenscheiben, altorientalische Herrschersitze, Krieger- und Wächterfiguren, Madonnen.
Kunstschaffen, sagen Sie, bedeutet für Sie persönlich keine gefällige und irgendwie beliebig unterhaltsame Beschäftigung mit ästhetischen Dingen und Themen, keine spielerische Sonntagsbeschäftigung, sondern…
Nein. Es ist eine sehr ernste, in die Tiefe der Persönlichkeit gehende Beschäftigung. Das drückt sich auch in meiner Formsprache aus. Ich strebe einfache, streng formale Lösungen an. Ich vermeide meinen >Geschöpfen< spielerische Accessoires hinzuzufügen, sie zu gefälligen Vorgartenfiguren zu machen. Das Auge des Beobachters soll an der Gestaltung der Objekte weiterarbeiten, Altes erkennen und Neues ergänzen. Das Einfache ist schwieriger als aufgesetztes Dekor. Ich verzichte auf Spielerei. Einfachheit und Konzentration auf elementare Formen sind mein Arbeitsprinzip. Ich bringe in der Objektkunst zwar nichts Revolutionäres hervor, ich stehe in einer künstlerisch-handwerklichen Tradition, aber ich habe, so glaube ich, eine eigene >Handschrift< entwickelt, die erkennbar von Mintzel stammt.
Sie haben keine eigene Werkstatt. Die lassen ihre Objekte von einem Kunstschmied oder Metallbauer herstellen, Sie schweißen nicht selbst…
Richtig und legitim! Ich habe keine eigene Werkstatt und auch keine Ausbildung zum Metallbauer durchlaufen. Eine eigene Metallbauer-Werkstatt zu unterhalten, wäre viel zu teuer.
Ich liefere die elementaren Bestandteile und die Objekt-Idee, ich liefere den kompletten Entwurf, oft mit genauer Vorzeichnung, wie das Objekt aussehen soll. Ich liefere zudem >Fertigteile<, also die Ausgangsmaterialien, die in früheren Werkstätten hergestellt wurden. Der Kunstschmied oder Metallbauer fertigt dann in meinem Beisein, unter meiner Anleitung und mit meiner Hilfe das Objekt an. Er ist nicht der Schöpfer, sondern sein handwerklich-technischer Hersteller, der den Angaben des Schöpfers oder Entwerfers folgt. Beide Rollen müssen sich aber, soll das Werk gelingen, aufs Beste ergänzen. Der Handwerker muss wissen, was der Schöpfer will und wie er es will. Er sagt mir allerdings auch, was möglich ist und was nicht. Manchmal muss ich einen Objekt-Entwurf wegen der materialen Machbarkeit verändern. Die enge Zusammenarbeit mit dem handwerklichen Hersteller ist für mich ein wunderbares Erlebnis. Die handwerklich-technische Fertigung eines Kunstobjektes nicht selbst durchzuführen, mag manchem befremdlich erscheinen. Diese Praxis ist jedoch häufig zu finden und legitim. Bildhauer übergeben ihre Werkmodelle einer Gießerei. Nicht jeder Künstler kann sich eine große Druckwerkstatt mit einem professionellen Drucker leisten. Viele Künstler hatten Helfer, die ihre Vorgaben umsetzen, Picasso, Henry Moore, Henri Matisse, um nur einige wenige zu nennen. Die notwendigen handwerklich-technischen Hilfeleistungen sind ein legitimer Aspekt des künstlerischen Herstellungsprozesses. Ich nenne die Werkstätten und Namen.
Wie steht es mit Ihren grafischen Arbeiten, mit den Lihtografien und Radierungen? Sie bezeichnen die ausgestellten Blätter der Serie „Folter, Opfer und Schrecken des Krieges“ als experimentelle Lithografien?
Diese Arbeiten sind alle im Kulturmodell Passau in eigener Regie und Handarbeit am Stein entstanden. Ich habe diese grafischen Techniken gelernt und kann sie im Unterschied zu den Schmiedearbeiten ohne Hilfe anwenden und damit auch experimentieren. Die Werkstatt des Kulturmodells war eine ungemein nützliche und für Künstler komfortable Einrichtung. Ich habe sie öfters genutzt, um meine Bildideen umzusetzen. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Stadt Passau diese Einrichtung saniert und fortführen will.
Die Themen der ausgestellten Lithografien, >Folter, Opfer und Schrecken des Krieges<, verweisen auf meine Auseinandersetzung mit dem Gewaltproblem in der menschlichen Geschichte und mir der Bestialität, die täglich in Bildern und Berichten gezeigt wird. Die intensive Auseinandersetzung hat gewiss lebensgeschichtliche Gründe. Ich habe Bombenangriffe im Keller überlebt, ich habe das Kriegsende erlebt. Mein Vater war Verteidiger in den Nürnberger Prozessen gegen Kriegsverbrecher. Ich habe schon in früher Jugend von den Nazi-Gräueln gehört.
Wir danken für das Gespräch.“