60.Universität Passau und die Fronleichnamsprozession – ein aktueller Klärungsbedarf

Kritik an der Amtsführung der Universitätspräsidentin Prof. Dr. Carola Jungwirth

„Präsidentin in Not“, „Die Patriarchin. Misstrauen und Mobbing an der Universität“, „Der Streit der Gelehrten“, „Unmut und Angst“, „Dauerkritik an der Präsidentin“, „Eitelkeiten“, „Studierenden Vertretung kritisiert Uni-Präsidentin“ – diese und weitere Presseberichte tragen seit einigen Wochen interne Konflikte der Universität Passau an die Öffentlichkeit. Am 17. Juli 2019 steht die nächste Präsidentschaftswahl an, und die amtierende Universitätspräsidentin, Prof. Dr. Carola Jungwirth, kandidiert für eine zweite Amtsperiode. Ein Novum in der jungen Geschichte der Universität: Zwei auswärtige Kandidaten und eine hausinterne Konkurrentin bewerben sich gleichzeitig um dieses Amt. Alle Versuche der amtierenden Präsidentin, die konfliktgeladene Stimmung zu beruhigen und zu ihren Gunsten zu wenden, sind bisher missglückt. Es rumort weiter und immer heftiger. Der Ton wird schärfer und unversöhnlicher, die Kluft zwischen den Streitparteien immer größer. Der Amtsinhaberin werden von verschiedenen Seiten ein ungenügender kommunikativer Führungsstil, gravierende Eigenmächtigkeiten, eklatante strukturelle Fehlentscheidungen und Ungerechtigkeiten vorgeworfen. Die meisten Kritiker wollen dabei gern anonym bleiben. Vor allem Professorinnen und Professoren halten sich bedeckt, erst recht der beruflich nicht abgesicherte wissenschaftliche Mittelbau. Sie fürchten spätere Benachteiligungen. Aus der Studentenschaft kommen die heftigsten Attacken bis hin zum Aufruf „Stürzt die Präsidentin“. Welche Vorwürfe auf tatsächliche Mängel zurückgeführt werden können   und was an den Streitpunkten überzogen und gar verfälscht ist, lässt sich von außen schwer beurteilen. Ich bin als pensionierter Ordinarius im 85. Lebensjahr „zu weit weg vom Schuss“, um die vielfältigen Konflikte und ihre Turbulenzen im Detail wirklich durchschauen und beurteilen zu können. Nach vierzig Jahren beruflicher Universitätserfahrung kann ich mir zwar auf vieles einen Reim machen, aber das ersetzt keine solide empirische Untersuchung. In einem Konfliktbereich kenne ich allerdings die Vorgänge gut genug, um dazu pointiert Stellung nehmen zu können. Dieser Konfliktbereich mag für einen Nebenschauplatz gehalten werden, doch lässt sich an ihm die Kritik an der Amtsführung der Universitätspräsidentin anschaulich nachvollziehen und demonstrieren.

Prof. Dr. Carola Jungwirth nahm in ihrer Eigenschaft als amtierende Universitätspräsidentin auch in diesem Jahr wieder an der Fronleichnamsprozession teil. Sie hatte sich in den Dienst des Passauer Episkopats gestellt und – wie die lokale und überregionale Presse berichtete – in einer Rundmail  an ihre „Untergebenen“ von diesen erbeten, an der Passauer Fronleichnamsprozession teilzunehmen (Bürgerblick Nr. 124, April 2019, S.30; Süddeutsche Zeitung Nr. 138, 17. 06.2019, S. 29). Diesen universitätsamtlichen Appell hatten manche als Belästigung aufgefasst. Meines Wissens ist es das erste Mal, dass universitätsinterner Widerspruch gegen diese Form der Aufforderung zur Teilnahme geäußert worden und an die Presse gelangt ist.

Bisher hat die Universitätsleitung nichts zur Klärung des Sachverhalts beigetragen. Die Universitätspräsidentin scheint dies nicht für notwendig zu halten und hüllt sich in Schweigen. Dabei stünde der konfessionsunabhängigen staatlichen Universität eine gründliche und prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Vorgang gut an. Liegt es in der Kompetenz und im Ermessen des Universitätspräsidenten einer staatlichen, nichtkirchlichen Institution der Wissenschaft, in seiner Amtseigenschaft die Professorenschaft zur Teilnahme an der Fronleichnamsprozession aufzurufen, und dies mit einem nachdrücklichen Schreiben? Es gibt Klärungsbedarf.

In wessen Namen, kraft welcher Kompetenz und in welcher Form?

Der Appell der Universitätspräsidentin hat eine interne Vorgeschichte. Universitätspräsident Prof. Dr. Walter Schweitzer, von 1997–2008 Rektor und von 2008–2012 Präsident, hatte im Jahre 2008 in einem Schreiben an alle „Damen und Herren Professorinnen und Professoren“ bedauert, dass aus der Universität „eine stetig sinkende Zahl von Teilnehmern an der Fronleichnamsprozession“ zu beobachten sei. „Aus eigenem Entschluss“, so hatte er ausdrücklich betont, bäte er „wieder um eine vermehrte Teilnahme, um unsere Verbundenheit mit Kirche und Stadt zum Ausdruck zu bringen.“ Er hatte allerdings seinen Appell vorsichtig dahin abgeschwächt: „Man möge sein Schreiben als gegenstandslos betrachten, falls man sich davon nicht angesprochen“ fühle.

Walter Schweitzer hatte damit grundsätzliche und allgemeine Fragen des heutigen Verhältnisses zwischen staatlicher Universität und Kirche angerührt und universitätsinternen Widerspruch hervorgerufen. Schließlich ist ein Universitätspräsident höchster Repräsentant aller Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der konfessionsunabhängigen Universität. Der amtliche Aufruf des Präsidenten hätte als Werbeschreiben für die katholische Kirche verstanden werden können. Das hatte Schweitzer wohl bedacht und deshalb auch ausdrücklich darum gebeten, seinen Appell als gegenstandslos zu betrachten, falls man sich nicht angesprochen fühle – eine diplomatische Überspielung der realen Verhältnisse, die es eigentlich zu klären gilt: In welcher Position beziehungsweise Rolle, in wessen Namen und kraft welcher Kompetenz nimmt der höchste Amtsinhaber/die höchste Amtsinhaberin der Universität Passau an der Fronleichnamsprozession teil? Wer repräsentiert wen mit welcher Begründung?

Schweitzers Nachfolger im Amt des Universitätspräsidenten, Prof. Dr. Burkhard Freitag (2012–2016), hatte die Frage „entklerikalisiert“, indem er von derartigen Empfehlungen und Appellen Abstand nahm und bei einem Besuch des Passauer Bischofs Stefan Oster in der Universität klarstellte, dass die Universität im Sinne einer freundlichen Äquidistanz zu beiden Kirchen Beziehungen pflegen wolle. Professor Freitag vermied es auch, nach katholischer Sprachregelung von „der Kirche“ im Singular zu sprechen.

Freitags Amtsnachfolgerin, Prof. Dr. Carola Jungwirth, brachte hingegen in die grundsätzlichen Fragen erneut Verwunderung und Verwirrung hinein. Sie nahm in ihrer Doppeleigenschaft als evangelische Christin und Universitätspräsidentin wiederholt demonstrativ an der Fronleichnamsprozession teil und begründete ihre Teilnahme damit, sie wolle auf diese Weise das gute Verhältnis der Universität zur katholischen Kirche sichtbar machen und bekräftigen (Passauer Neue Presse Nr. 171, 27.07.2017, S. 22). Hatte Schweitzer in seinem Appell noch sensibel erkennen lassen, dass die Teilnahme von Universitätsmitgliedern im Grunde eine katholische Sache sei, setzte sich die Universitätspräsidentin Jungwirth über solche konfessionellen Bedenken hinweg. Sie reihte sich als höchste Amtsträgerin der Universität Passau in die vom Generalvikariat der katholischen Kirche vorgegeben Prozessionsordnung ein. Frau Jungwirth meinte anscheinend, amtlich legitimiert zu sein, für die ganze Universität mit gutem Beispiel vorangehen zu dürfen. Dass die Fronleichnamsprozession eine zutiefst katholisch-konfessionelle Veranstaltung ist, die seit jeher rituell und dogmatisch gerade auch der Abgrenzung zum Protestantismus dient, scheint die höchste Amtsinhaberin der Universität offenbar nicht zu stören. Konsequent zu Ende gedacht müsste die Universitätsleitung, vertreten durch die Universitätspräsidentin, auch zu einer vermehrten Teilnahme am Gottesdienst zum evangelischen Reformationsfest oder zur Karfreitagspredigt aufrufen – was selbstverständlich nicht geschieht.

Prinzipiell gesagt und unmissverständlich formuliert: Es steht außer Frage, dass Frau Carola Jungwirth als Privatperson die vom Grundgesetz verbürgte positive und negative Religionsfreiheit genießt. Als Privatperson kann sie auch als Protestantin, wenn sie das persönliche Bedürfnis dazu hat, an der Prozession teilnehmen. Niemand würde es ihr verwehren können oder wollen. Die Sache steht jedoch anders, wenn sie, wie geschehen, als Amtsperson und höchste Repräsentantin der Wissenschaft und aller Wissenschaftler auftritt. Mag sein, dass die Amtsposition auch diesbezüglich einen relativ großen Entscheidungsspielraum zulässt. Dennoch muss sie sich Fragen nach ihrem Rollenverständnis gefallen lassen.

Frau Jungwirth erklärt, sie demonstriere mit ihrer Teilnahme in der „Tradition des früheren Universitätspräsidenten Schweitzer“ die guten Beziehungen zur katholischen Kirche. Sich auf diese Tradition zu berufen, ist aber ein äußerst schwaches Argument.

„Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin“

In seinem Einladungsschreiben vom 21. Mai an die „liebe Frau Präsidentin“ hebt Bischof Stefan Oster ausdrücklich hervor, dass „es ja schon eine kleine Tradition“ sei, „nach der Fronleichnamsprozession am 20. Juni bei mir im Innenhof (…) zur gemütlichen Brotzeit bei Bier, Weißwurst und mehr“ Gast zu sein. Er bitte sie, „diese Einladung an die betreffenden Personen weiterzugeben.“

An die betreffenden Personen? In der diplomatischen Amtssprache der katholischen Kirche waren wohl vor allem katholische Professoreninnen und Professoren gemeint. Es blieb jedoch nicht nur bei der Einladung zum traditionellen Weißwurstessen. Die kirchenamtliche Einladung zur Mitfeier der Prozession folgte am 27. Mai. Msgr. Helmut Reiner, Domkapitular und Pfarrer im Pfarrverband Altstadt schrieb an die Universitätspräsidentin:

„Ich lade Sie im Auftrag unseres H. H. Bischof Dr. Stefan Oster SDB herzlich ein zur Mitfeier des Fronleichnamsfestes am Donnerstag, den 20. Juni 2019. Die Feier beginnt mit dem Pontifikalamt um 8.30 Uhr im Hohen Dom. Im Anschluss daran wird die Fronleichnamsprozession durch die Passauer Altstadt stattfinden (…) Alle näheren Einzelheiten über die Aufstellung und den Weg der Prozession werden am Ende des Pontifikalamtes bekanntgegeben. Ich würde mich freuen, wenn Sie das Fronleichnamsfest mitfeiern würden, zu dem sowohl alle Gläubigen eingeladen sind als auch die Ordensgemeinschaften und die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Passau sowie ihrer Behörden und Ämter.“

Der Wortlaut der amtskirchlichen Einladung richtet sich ohne Zweifel an die Amts- und Titelträgerin Jungwirth, nicht an die gläubige Privatperson. Es ist die Universitätspräsidentin, die zur Mitfeier des Fronleichnamsfestes in Dienst genommen wird. Sie wird gebeten, diese Einladung an die betreffenden Personen weiterzugeben. Und die Universitätspräsidentin ist es, die kraft ihres Amtes und ohne Abstimmung mit den Gremien der Universität den Bitten nachkommt.

Die Rundmail an die lieben Kolleginnen und Kollegen

Unter dem Datum des 4. Juni richtet die Universitätspräsidentin an alle „lieben Kolleginnen und Kollegen“ eine Mail, in der sie die kirchenamtlichen Einladungen zu ihrer eigenen Sache macht. Daraus folgender Auszug:

(…) am (…) 20. Juni 2019 um 8.30 Uhr findet der alljährliche Fronleichnamsgottesdienst im und um den Passauer Dom statt: Fronleichnam – Hochfest des Leibes und Blutes Jesu Christi / Pontifikalamt mit Prozession durch die Stadt mit Domchor und Dombläsern. Msgr. Helmut Reiser, Domkapitular und Pfarrer im Pfarrverband Altstadt, lädt herzlich zur Mitfeier des Fronleichnamsfestes im Dom ein. Der Bischof von Passau Dr. Stefan Oster SDB setzt auch in diesem Jahr im Anschluss an den Gottesdienst die schöne Tradition fort, das Kollegium der Professorinnen und Professoren der Universität  Passau im Anschluss an den Gottesdienst und die Prozession (…) zu einem Imbiss in den Innenhof der ehemaligen Dompropstei einzuladen, worüber ich mich sehr freue.

Bitte teilen Sie bis (…) 13. Juni mit, wenn ich für sie und ihre Familie / Ihre Partnerin / Ihren Partner bei Msgr. Reiner im Dom Plätze reservieren soll (die Professorinnen und Professoren mit ihren Familien / ihrer Partnerin / ihrem Partner sitzen links neben dem Altar gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Passau) und wie viele Personen ich bei Bischof Oster für Sie anmelden darf. Für die Weiterleitung dieser Einladung an ehemalige Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls gerne teilnehmen möchten, bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich freue mich auf ein nettes Beisammensein. Herzliche Grüße, Carola Jungwirth.“

Diese Rundmail an alle Kolleginnen und Kollegen enthält weit mehr nur als eine sachliche Weitergabe der kirchenamtlichen Einladungen. Sie übergeht eigenmächtig wie selbstverständlich den religiös-konfessionellen Pluralismus in der Universität. Frau Jungwirth machte sich zur universitätsinternen Vollstreckerin der katholisch-amtskirchlichen Bitten. Ihren Formulierungen mangelt es an einer der Universität angemessenen Distanz zum vielfach aufgefächerten religiös-konfessionellen Bereich. Die Universitätspräsidentin ignoriert mit ihrer Rundmail dogmatische Trennungslinien in so zentralen Fragen wie die der Eucharistie, die gerade in der Fronleichnamsprozession (Leib und Blut Jesu Christi) wirksam sind. Und sie macht das „nette Beisammensein“ in katholischer Manier zu einem gesellschaftlichen Weißwurst-Ereignis. Erst der Leib Christi, dann das Weißwurstessen – das ist nicht nach jedermanns religiösem Geschmack. Dies alles sollte unter dem intellektuellen und kognitiven Niveau einer höchstamtlichen Repräsentantin der heutigen Wissenschaft sein. Und es ist eine bedenkliche Missachtung Andersgläubiger.

Ständestaatliche und berufsständische Platzzuweisungen

Die offizielle Teilnahme an der Fronleichnamsprozession bedeutet – wie auch die Platzreservierung bestätigt – mehr als nur ein bloßes freundliches Mitlaufen. Teilnahme bedeutet in die Prozessionsordnung ein- und untergeordnet zu werden. Die amtskirchlich verordnete Platzierung folgt einem ständestaatlichen und berufsständischen Ordnungskonzept mit Honoratioren-Privilegien. Den Professoren werden wie dem Klerus respektable Plätze reserviert und zugewiesen. Die Universität bildet die 12. Gruppe, unterteilt in Professoren, Katholische Hochschulgemeinde und (katholische)  Studentenverbindungen. Das Ende des Zuges bilden das „Gläubige Volk aus den Stadtpfarreien, Frauen, Männer und Kinder gemischt“. (Hinweise des Generalvikars zur Durchführung der Großen Fronleichnamsprozession).

Professoren genießen ein Honoratiorenprivileg, sie werden nicht der Gruppe des „Gläubigen Volks“ zugeordnet. Wie lässt sich die Universitätspräsidentin, Frau Professor Jungwirth, platzieren? Auch in organisatorischer Hinsicht ist der Appell der Universitätspräsidentin ein Akt der Diskriminierung. Warum richtet sie ihren Appell nur an die Professorenschaft, aber nicht, allgemein und in der Sache neutral, auch an die wissenschaftsunterstützenden Bediensteten der Universität? Letztere werden auf diese Art und Weise indirekt zum „Gläubigen Volk“ hintangestellt. Wieder einmal scheint in der Universität eine gewisse „institutionalisierte Gedankenlosigkeit“ (Prof. Dr. Heinrich Oberreuter) zu vermeintlich respektablen Entscheidungen zu führen. Jedenfalls glaubt man, sich unbedenklich und bequem in die vorgegebene katholische (Prozessions-) Ordnung einreihen zu können. Teile des Sozialsystems Universität kollidieren mit dem kognitiven System der Wissenschaft und seinen Regeln.

Das prekäre Verhältnis von Wissenschaft und religiös-konfessionellen Institutionen

Einer modernen Institution des Wissens, Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung stünde es in der heutigen säkularen Welt gut an, das prekäre Verhältnis von Wissenschaft und religiösen Institutionen nicht diplomatisch zu übertünchen und schönzureden, sondern grundsätzlich zu klären, ob, inwieweit und in welcher Form eine kirchlich-konfessionell unabhängige Universität amtlich überhaupt bei einer Fronleichnamsprozession in Erscheinung treten kann und sollte. Für eine konfessionsunabhängige staatliche Institution der Wissenschaft gibt es andere, der heutigen Wirklichkeit angemessene Wege und Kommunikationsformen, ihre Beziehungen zu den Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften zu ordnen und zu pflegen. Es könnte zum Beispiel ein Arbeitskreis „Universität, Kirchen und Glaubensgemeinschaften“ gebildet werden, der als Plattform für Diskurse und akademische Streitfragen dienen könnte. Zweifelhafte und oder gar krass einseitige Appelle an Professoren und Professorinnen, an kirchlichen Festen teilzunehmen, gehören nicht zu den Aufgaben einer konfessionsneutralen staatlichen Institution der Wissenschaft.

Das Verhältnis von Staat und Kirchen hat sich inzwischen aufgrund gesellschaftlicher und politischer Veränderungen vom Modell einer freundlichen Kooperation zum Konzept „der übergreifenden offenen Neutralität“ weiterentwickelt (Ernst-Wolfgang Böckenförde 2006: Der säkularisierte Staat und seine Probleme im 21. Jahrhundert). Die übergreifende offene Neutralität gilt auch für das Verhältnis von konfessionsunabhängiger staatlicher Universität und katholischer Kirche. Ausgerechnet die erzkatholische Institution der Fronleichnamsprozession als amtliches „Bindemittel“ zwischen Universität und Kirche zu instrumentalisieren, ist seitens einer neutralen Institution der Wissenschaft eine intellektuelle und kognitive Fehlleistung, die nicht mehr um eines internen Friedens willen einfach hingenommen wird. Überdies mutet die universitätsamtliche Bitte um „vermehrte Teilnahme“ angesichts einer schrumpfenden und krisengeschüttelten katholischen Kirche (Mitgliederschwund, dramatischer Priestermangel, Beteiligung und Gleichstellung der Frau, amtskirchliche Sexualmoral, Missbrauchsskandale, Entkirchlichung …) wie eine spirituelle Hilfsmaßnahme an. Eine kirchenunabhängige staatliche Universität ist jedoch keine Missionsgehilfin bei der „Neuevangelisierung“ verlorengehenden religiös-konfessionellen Bodens (siehe Blog-Kap. 43 und 46). Traditions- und Brauchtumsargumente sind die schwächsten Verteidigungsmanöver, auch im Falle der Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Mitglieder der Universität sehen sich mit gutem Grund von der amtlichen Aufforderung der Universitätspräsidentin kognitiv und konfessionell belästigt.

Auf einer universitätsinternen interkonfessionellen Plattform wie dem oben vorgeschlagenen Arbeitskreis (Universität, Kirchen und Glaubensgemeinschaften) könnten Positionen ohne angemaßte konfessionelle Präsidialappelle abgeklärt und akademische Brücken geschlagen werden. Dem Generalvikariat der katholischen Kirche bleibt es selbstverständlich unbenommen, zur Teilnahme an der Fronleichnamsprozession aufzurufen. Jede Katholikin und jeder Katholik kann je nach religiösem und kirchlichem Bedürfnis daran teilnehmen oder nicht.

Die Beziehungen der Universität Passau zu den Kirchen und religiös-konfessionellen Glaubensgemeinschaften sollten nicht dem Gutdünken und persönlichen konfessionell eingefärbten Neigungen einer Universitätspräsidentin beziehungsweise eines Universitätspräsidenten überlassen bleiben. Der sensible Bereich bedarf universitätsintern einer institutionellen Regelung und Kontrolle. Es muss klar sein, wer in wessen Namen, kraft welcher Kompetenz und in welcher Form die Beziehungen zu den Kirchen und Glaubensgemeinschaften unterhält. Die Kritik an der amtierenden Universitätspräsidentin griffe allerdings zu kurz, hebe sie nur auf ihre persönliche Praxis freundlicher Kooperation mit der katholischen Kirche ab. Strukturelle Rahmenbedingungen sind es, die es der Präsidentin ermöglichen, die Kooperation mit der katholischen Amtskirche diensteifrig zu überdehnen. Die bisherige Praxis ist religionsverfassungsrechtlich und grundgesetzlich fundiert und beruht zwar auf den Prinzipien freundlicher Kooperation und Freiwilligkeit, aber die gesellschaftlichen und mit ihnen die religionspolitischen Verhältnisse haben sich in den letzten Dezennien erheblich verändert.

Im einst so tief katholisch geprägten Passau hat sich viel verschoben. Die katholische Kirche in Passau hat in 15 Jahren fast die Hälfte ihrer Kirchgänger verloren. (PNP Nr. 299, 24.12.2018, S. 25.) Auch die Fronleichnamsprozession ist sichtlich geschrumpft. Von der Universität nehmen, wie der ehemalige Universitätspräsident Prof. Dr. Walter Schweitzer beklagt hat, immer weniger Menschen teil. Sie werden die immer größer werdenden Lücken nicht füllen.

Die Universitätsleitung täte gut daran, im Sinne einer übergreifenden Neutralität religiös-konfessionell anmutende  Empfehlungen und Appelle prinzipiell zu unterlassen und sich nicht in den Dienst einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft nehmen zu lassen.

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