17. Wie Franz Josef Strauß mir CSU-Türen öffnete

Ein denkwürdiges Ereignis

Seit 1967 fuhr ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter des damals von Prof. Dr. Otto Stammer geleiteten Instituts für politische Wissenschaft (des späteren Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung) an der Freien Universität quasi im Auftrag des institutsinternen „Arbeitskreises Parteienforschung“ kreuz und quer durch Bayern und besuchte fast alle Parteigeschäftsstellen und Großveranstaltungen der CSU. Stammer war neben Prof Dr. Ossip K. Flechtheim und anderen Hochschullehrern der älteren Generation einer der Nestoren der Parteienforschung und ein Mentor meiner CSU-Forschung. Nur mit seiner uneingeschränkten Unterstützung konnte ich fast zehn Jahre lang meine Bayern-Expeditionen durchführen und dramatische Situationen durchstehen. Viele Male besuchte ich in den 1960er und 1970er Jahren nicht nur die CSU-Landesleitung, sondern auch alle zehn Bezirksverbände. Mit der Zeit wurde ich von der Landesleitung automatisch eingeladen und unter die Ehrengäste platziert. Oft saß ich ganz vorne und damit nahe am „CSU-Machtzentrum“. Allmählich gehörte ich – auch optisch – irgendwie dazu.

Und so kam es 1968 zu einem denkwürdigen Ereignis. Als Ehrengast zu einem großen Empfang ins Antiquarium der Münchner Residenz geladen, ging ich auf Franz Josef Strauß zu und bat ihn persönlich darum, mir den Zugang zu und die Auswertung von parteiinternen Materialien zu ermöglichen. Ich hatte ihm vorher mein Forschungskonzept schriftlich vorgetragen. Strauß stand im Kreise höchster CSU-Amtsträger, darunter auch der damalige Generalsekretär Max Streibl. Ich setzte alles auf eine Karte und drang freundlich, aber nachdrücklich auf eine Entscheidung. „Könnten Sie das nicht gleich mit Herrn Streibl abklären?“ Auf meine inständige Bitte hin wandte sich Strauß seinem Generalsekretär zu und gab ihm die Anweisung, sich um mein Forschungsprojekt zu kümmern. Kurz darauf erhielt ich uneingeschränkten Zugang zu den Akten des Generalsekretariats und untergeordneter Abteilungen. Viele Wochen lang wurden mir in der Lazarettstraße, dem damaligen Domizil der Landesleitung und des Bezirksverbandes Oberbayern, Tag für Tag  kurz nach acht Uhr morgens mit einer Lore etwa acht Leitzordner zur Auswertung vorgefahren. Die Ordner enthielten die Wortprotokolle höchster Parteiorgane und parteiamtliche Korrespondenzen aller Art. Das war eine Sternstunde der Parteienforschung. Ich nutzte diese außerordentliche Chance und machte sie zu meiner Sache.

Auf vielen Landesversammlungen war ich mit hochrangigen Amtsträgern der CSU und nun auch mit Franz Josef Strauß im Gespräch gesehen worden. Der bekanntermaßen autoritäre Führungsstil von Strauß, ein fast untertäniger Respekt vor dem großen Vorsitzenden und ein Schuss bayerischer Gutmütigkeit hatten anscheinend dazu geführt, dass mir Parteiangestellte getreu einer vermeintlichen Dienstanweisung alte und neueste Akten ohne Vorsichtung und Beschränkung werktäglich zur Auswertung vorfuhren. Der altbayerische, erzkatholische Streiter Gottes Alois Hundhammer hätte vor Zorn gebebt, hätte er erfahren, was mir nun im Aktenkeller des CSU-Bezirksverbandes Oberbayern zugänglich gemacht worden war. Ähnliches geschah auch in anderen Bezirksgeschäftsstellen der CSU. Es hieß, Mintzel sei von Strauß beauftragt worden, die Akten für eine Geschichte der CSU einzusehen. Ohne jedwede Einschränkung in Bezug auf Umfang und Inhalt machte ich ohne weitere Rücksprache exzessiven Gebrauch von der Erlaubnis zu kopieren. Die zuständigen  Abteilungsleiter hatten  keine Gewissheit darüber, wie viel ich kopierte, keiner übte eine Kontrolle aus.  Ich nutzte diese Gelegenheit stillschweigend aus. Eine Bezirksgeschäftsstelle gab mir einmal sogar Akten zur Auswertung mit nach Berlin, als ich vor Ort mit der Durchsicht nicht fertig geworden war. Nachdem ich einmal an der deutsch-deutschen Grenze von Volkspolizisten und Stasi-Offizieren durchsucht, verhört und zur Mitarbeit aufgefordert worden war, war ich dazu übergegangen, meine stillschweigend kopierten Materialien Paket für Paket per Luftfracht nach Westberlin transportieren lassen. Ich hatte mir überhaupt nichts dabei gedacht, sondern mich nur vor einem Zugriff der Grenzkontrolleure schützen wollen. Wie arglos und unbekümmert ich in der Sache war, geht auch daraus hervor, dass ich nach Abschluss meiner Arbeit um einen Termin bei Generalsekretär Streibel bat, um ihn über meine Arbeit und Eindrücke Bericht zu erstatten. Mit diesem Gespräch begann sich meine Forschungsarbeit zu einer kleinen, aufregenden Kriminalgeschichte zu entwickeln. Der Generalsekretär wurde nämlich durch meinen Bericht überhaupt erst auf das ganze Ausmaß meiner hausinternen Recherchen  aufmerksam. Er argwöhnte zu Recht, dass ich auch an top secret  -Material herangekommen war und ein ungeheuerliches Wissen gesammelt hatte.  Er wollte nun den Schaden so gering wie möglich halten und forderte mich auf, das gesamte kopierte Material unverzüglich wieder zurückzugeben. In dem Moment musste ich befürchten, dass meine wochenlange Arbeit umsonst gewesen war. Meine Arglosigkeit und Offenheit wandelte sich, als ich um das Ergebnis meiner Arbeit bangen musste, in Schlitzohrigkeit. Ich begann fieberhaft darüber nachzudenken, wie ich die Materialien retten konnte. Den größten Teil hatte ich ja schon per Luftfracht nach Berlin  geschickt. Mit den Resten des Material, die ich noch in Händen hatte, fuhr ich sofort nach Würzburg und kopierte in der Firma eines ehemaligen Schulfreundes ca. 500 Blatt nochmal und gab diese Beute an die Landesleitung zurück. Sie wussten ja nicht, was und wieviel ich in München in der Landesleitung kopiert hatte. Sowohl in der CSU-Landesleitung wie im Berliner Forschungsinstitut kam es derweil zu dramatischen Sitzungen,  um den Fall zu klären. Otto Stammer, mein wissenschaftlicher Mentor, verbürgte sich in einem Schreiben an den Generalsekretär dafür, dass ich meine Materialien und mein Wissen nicht ohne Einvernehmen mit der CSU-Führung wissenschaftlich verwerten und publizieren würde. Die Wogen konnten zunächst einmal durch gegenseitige Versicherungen geglättet werden, doch Stammers Schreiben verpflichtete mich in mancher Hinsicht zum Schweigen. Das war eben der Preis, den ich zahlen musste.

Böse Zungen könnten mir nachsagen, ich habe die CSU ausspioniert, mich unter Vortäuschung falscher Tatsachen eingeschlichen oder absichtlich vorgegeben, von Strauß mit einer Studie beauftragt worden zu sein. Mitnichten! Ich hatte mich an alle Geschäftsstellen und Schlüsselpersonen immer mit Schreiben des Berliner Instituts gewandt, mein Forschungsprojekt erläutert und mich immer für den ausgegeben, der ich wirklich war. Letztendlich verantwortlich für den kommunikativen Irrtum war Generalsekretär Streibl, der den Auftrag von Strauß einfach nach unten weitergegeben hatte. Parteiinterne Kommunikationsflüsse, welche ich nicht hervorgerufen hatte, waren mir unversehens zur Hilfe gekommen. Erst als ich ihm nach getaner Arbeit mitteilte, die Sichtung und Auswertung der Akten und Archivalien beendet zu haben, wurde Streibl klar, was geschehen war. Erst jetzt erkannte er das ganze Ausmaß des vermeintlichen Schadens, sprich meiner Forschungsarbeit.

Der „Münchner Merkur“ unterstellt mir Wallraff-Methoden

Das „Abenteuer Forschung“ erlebte dann sieben Jahre später einen weiteren Höhepunkt, als meine erste große Studie über die CSU in Druck gegangen war. Schon meine ersten kleinen Vorstudien von 1973 hatten in der Fachwelt und Presse Aufmerksamkeit erregt. Bevor ich selbst als Autor auch nur eine gedruckte Seite zu Gesicht bekommen hatte, waren Gerold Tandler, dem Nachfolger Streibls im Amt des Generalsekretärs der CSU, die Druckfahnen zugespielt worden. Tandler forderte mich in einem Telefongespräch auf, unverzüglich nach München zu kommen. Er drohte mit einer einstweiligen Verfügung. Turbulente Tage folgten. Wieder Beratungen im Berliner Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung, wieder Rechtshilfe, der Dekan der juristischen Fakultät wurde um Rat gebeten. Es ging dabei nicht zuletzt auch um Kosten. Mein Buch hatte achthundert Druckseiten, die Druckkosten beliefen sich auf 60.000 die Gesamtkosten des Forschungsprojektes auf etwa 300.000 Deutsche Mark. Die Institutsleitung forderte den CSU-Generalsekretär auf, genau anzugeben, was in der Studie zu beanstanden sei, welche Fehler oder Fehlinterpretationen unterlaufen seien. Sie würden selbstverständlich noch korrigiert. Es stellte sich heraus, dass die Beanstandungen geringen Umfangs waren und das Gesamtwerk nicht in Frage stellten. Nach wenigen wissenschaftlich vertretbaren Nachbesserungen konnte die „Anatomie einer konservativen Partei“ erscheinen. Die Nachbesserungen wurden noch während der Drucklegung in einem Anhang eingefügt, so dass auch dieser Vorgang überprüfbar war. Die Dramatik der Situation geht allerdings daraus nicht hervor. Die Geschichten hinter der Geschichte blieben verborgen. Es war später jüngeren Parteienforschern schwer zu vermitteln, unter welchen Strapazen der Forschung diese Studie zustande gekommen war. Die Publikation wurde zu einem Bestseller der Parteienforschung und erlebte 1978 eine zweite Auflage, die ebenfalls rasch verkauft war.

Doch kaum war Anfang Oktober 1975 das Buch ausgeliefert, stand im Münchner Merkur zu lesen, ich hätte mich in die Landesleitung der CSU eingeschlichen und mich „ein Jahr lang als bezahlter Mitarbeiter im CSU-Archiv umschauen“ können. Mir wurden also Wallraff-Methoden unterstellt. Das war purer Unsinn und juristisch gesehen eine Verleumdung. Der vermeintliche Schaden“ für die Partei wurde, so der Bericht des CSU-nahen Münchner Merkurs, in einen Gewinn umgemünzt. Der Journalist schrieb: „Als später bekannt wurde, welchen Nebenzweck Mintzels Werkstudentenzeit in der Lazarettstraße verfolgte, machte Gerold Tandler gute Miene zum Mintzel-Spiel in der Hoffnung, dass das wissenschaftliche Werk schon nicht so negativ ausfallen werde.“ Ich hatte mit Klischeevorstellungen über die CSU aufgeräumt und nachgewiesen, dass die CSU im Modernisierungsprozess Bayerns auf breiter Basis zu einer hochorganisierten Volkspartei geworden war und damit eine Erfolgsgeschichte aufgezeigt. Von dem Bericht im Münchner Merkur sah ich mich presserechtlich genötigt, eine Richtigstellung zu verlangen. Die Zeitung ließ daraufhin in ihrem „Weiß-blauen Notizbuch“ von ihren Unterstellungen ab. Eine Woche später folgte ein Bericht über meine Forschungen, in dem der Sachverhalt richtig gestellt wurde. Solche Störungen aus der Welt der Presse können einen laufenden Forschungsprozess empfindlich beeinträchtigen oder gar zum Stillstand bringen, denn auch der Untersuchungsgegenstand reagiert.

Ungerechtfertigter Anwurf im Münchner Merkur vom 31.10.1975 …

… und Richtigstellung im Münchner Merkur vom 8./9.11.1975

Im Jahr 2008 lud mich die Bayern-Redaktion des Münchner Merkurs ein, aus Anlass des 20. Todestages von Franz Josef Strauß einen Artikel zu schreiben. Als ich am 9. Oktober 2008 die Zeitung aufblätterte, fand ich meinen Beitrag unter einem Titel, den ich ihm nicht gegeben hatte: „Strauß und sein CSU-Professor“. Ich hatte mich an solche und ähnliche Etikettierungen längst gewöhnt. Aktuelle Parteienforschung läuft immer Gefahr politisch und pressemedial verwertet zu werden. Parteienforschung, verstanden als Demokratieforschung, hätte dagegen nichts einzuwenden, wenn printmediale Verwertung von Forschungsergebnissen dazu diente, Prozesse und Strukturen demokratischer Herrschaftsordnung transparent zu machen. Die Ergebnisse der Parteienforschung sind nicht nur für den wissenschaftsinternen Diskurs bestimmt, sondern auch für die Öffentlichkeit.

Strauß und sein CSU-Professor, Münchner Merkur Nr. 235, 9. Oktober 2008

Die Türen der CSU-Landesleitung und der Bezirksgeschäftsstellen waren trotz dieser Unterstellungen für mich offen geblieben. Allerdings musste ich einigen Opfern des kommunikativen Irrtums im Nachhinein Schutzbehauptungen zubilligen. Meine unfreiwilligen Helfer oder “Projekt-Mintzel-Betreuer”, die mir in der Landesleitung die Materialien zugänglich gemacht hatten, waren in eine schwierige Situation geraten und mussten nun erklären, wie das Ganze hatte passieren können. Weil sich die Helfer irgendwie herausreden mussten, entstanden in dieser Situation Behauptungen wie die, ich hätte mich als Werkstudent eingeschlichen, hätte undercover gearbeitet und schlussendlich auch die Zweckbehauptung , dass ich mit einem Hausverbot belegt worden sei. Dies war aber nicht der Fall. Ich konnte meine Forschungen über diese Partei mit kräftiger Unterstützung fortführen, wenn gleich es immer auch Bedenken gab, den Mintzel zum Mitwisser zu machen. Mein zweites Buch, die „Geschichte der CSU“, folgte 1977 und war nach drei Wochen vergriffen. Der Westdeutsche Verlag ließ ein Kontingent nachdrucken. Franz Josef Strauß, der 1968 in einem günstigen Moment zu meinem Türöffner geworden war, schrieb sich später in mein Privatexemplar mit herzlichem Dank und freundlichen Grüßen ein. Er war seinen Dienern immer um mehrere Längen voraus.

Alf Mintzel, Geschichte der CSU; oben Umschlagtitel, unten Vorsatzblatt mit persönlicher Widmung von Franz Josef Strauß, 29.8.1980

Zwischen bayerischer Hegemonialpartei und ihren Oppositionsparteien

Mein Wissen und meine publizierten Analysen öffneten mir auch Türen zur SPD, FDP und später zu den Grünen in Bayern. Die SPD verlor in Teilen und dann in ganz Bayern ihren Charakter als Volkspartei. Sie wurde zu einer Diaspora-Partei, die sich vergeblich abmühte, ihre bayerische Leidensspirale in eine Erfolgsspirale umzudrehen. Die Oppositionsparteien waren an Expertisen interessiert und wollten wissen, was die Stärke der CSU ausmachte, und was zu tun sei, um in Bayern aus der Oppositionsrolle herauszukommen. Dieses Verwertungsinteresse an meinen Untersuchungen und veröffentlichten Studien verschaffte mir den Vorteil, auch die internen Verhältnisse bei der SPD und dann auch bei der FDP und den Grünen in Bayern systematisch erforschen zu können. Hierzu waren ebenso empirische Expeditionen notwendig. Ich lernte führende politische Köpfe kennen, bei der SPD unter anderen Bruno Friedrich, Renate Schmidt, Dr. Peter Glotz und Wolfgang Hoderlein, bei der FDP Sabine Leutheuser-Schnarrenberger, Otto Graf Lambsdorff und Staatssekretär Dr. Max Stadler. Meine Vorträge und Gepräche auf oppositionellen Parteipodien und parteinahen Foren schärften meinen analytischen Blick auf das bayerische Parteiensystem und seine speziellen Verhältnisse. Ich war nicht nur ein „CSU-Forscher“.

In den Wechselgängen wurden, allerdings nur für kleine Insider– und Mitwisser-Kreise, wiederum die komplexen sozialen und politischen Kontextbedingungen für einen erfolgreichen Forschungsprozess sichtbar. Die sensible „Reaktivität“ meiner Forschungsgegenstände, der untersuchten Parteien, machten Begegnungen und Informationsvermittlungen manchmal zu schwierigen Gratwanderungen. Menschen und ihre politischen Organisationen können sich aus verschiedenen Gründen und zu unterschiedlichen Bedingungen wissenschaftlicher Neugierde verschließen oder öffnen. Die CSU war tagespolitisch heiß umstritten. Strauß besaß in Bayern eine große Integrationskraft, außerhalb Bayerns hatte er aber eine stark polarisierende Wirkung, was innerhalb und außerhalb der Wissenschaft auf meine Forschungsarbeit einwirkte und abfärbte. Im engeren Kollegenkreis wurden gewisse Verwertungszusammenhänge scharf kritisiert. Meine CSU-Informanten baten mich gelegentlich, ihnen für parteiliche Zwecke, etwa für Organisationsberichte oder für Feierlichkeiten, mein Wissen und meine Forschungsergebnisse zur Verfügung zu stellen. In Einzelfällen war ich dazu bereit, insbesondere dann, wenn ich selbst bestimmte Vorteile für meine Forschungsarbeit erwarten konnte. Es kam punktuell sogar zu einem Austausch von Arbeitsergebnissen, was die Quellendichte meiner Forschung ungemein bereicherte. Denn nebenbei erfuhr ich aus erster Hand viel über aktuelle Entscheidungen und Vorgänge. Je intimer meine Kenntnisse über innerparteiliche Verhältnisse und aktuelle politische Vorgänge geworden waren, desto gezielter und erfolgreicher konnte ich weiter recherchieren. Ich hatte Insider-Wissen, das zeitweise vergessen ließ, dass ich von außen kam. Aus dem Zusammenwirken eigener wissenschaftlicher und fremder außerwissenschaftlicher Verwertungsinteressen ergaben sich jedenfalls zusätzliche empirische Forschungsmöglichkeiten und Erkenntnisgewinne. Vieles davon fand später seinen publizistischen Niederschlag in meiner Monografie über „Die CSU-Hegemonie in Bayern. Strategie und Erfolg. Gewinner und Verlierer“, die in der Ära des Ministerpräsidenten Edmund Stoiber 1998 erschien.

Erscheinungstermine und politische Zeitumstände

Meine Werke über die CSU, „Die Anatomie einer konservativen Partei (1975, 1978) und die „Geschichte der CSU“ (1977), erschienen zu einer Zeit, in der die CSU auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte stand. Die Erscheinungstermine und die politischen Zeitumstände trafen sich auf`s Beste. Die CSU hatte in der Landtagswahl 1974 mit 62,1 Prozent der gültigen Stimmen ein triumphales Wahlergebnis erreicht. In der Bundestagswahl 1976 hatte sie ihren Siegeszug mit einem spektakulären Ergebnis fortgesetzt. Sie war in Bayern mit 60 Prozent der Stimmen aus der Wahl hervorgegangen, was ihre Stellung in der Bonner Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU ungemein gestärkt hatte. In der Landtagswahl 1974 hatte sie die nationalliberale Barriere des evangelischen Frankens überwunden, die letzten Wahlkreisinseln der SPD eingenommen und, was für die bayerische SPD besonders schmerzlich gewesen war, die elf Stimmkreise der Landeshauptstadt gewonnen. Die CSU war zu einer gesamtbayerischen, interkonfessionellen Massenpartei volksparteilichen Charakters geworden. Es hatte sich unverkennbar gezeigt, dass der gesellschaftliche Umbruch Bayerns entgegen politisch-ökonomischen Annahmen zugunsten der CSU verlief. Die CSU konnte die neue Mittelschicht des sich verbreiternden Dienstleistungssektors an sich binden und Teile der Arbeiterschaft zu sich herüberziehen. Mit ihren triumphalen Erfolgen hatte die Partei in Bayern ihre Alleinregierung ausbauen und im Bundesparlament ihren Einfluss beträchtlich vergrößern können. Die kraftstrotzende bayerische „Staats- und Ordnungspartei“, die sich in der Unionsgemeinschaft als harten Kern und auf dem richtigen innen- und außenpolitischen Kurs gesehen hatte, war in der Union von CDU und CSU zu einem unbequemen Partner geworden. Franz Josef Strauß hatte, beflügelt durch die Wahlerfolge, gegenüber der CDU aufgetrumpft und sie in der Zeit der sozialliberalen Koalition in Bonn zu einer scharfen Konfrontationspolitik verpflichten wollen. Im November 1974 hatte er seine berühmt-berüchtigte Sonthofener Konfrontationsrede gehalten, wonach es in der großen innen- und außenpolitischen Entscheidungsschlacht um „Freiheit oder Sozialismus“ ginge. „Wir müssen die Auseinandersetzung hier im Grundsätzlichen führen. Da können wir nicht genug an allgemeiner Konfrontation schaffen (…). Wir kämpfen für die Freiheit, gegen den Sozialismus, für die Person und das Individuum, gegen das Kollektiv, für ein vereinigtes Westeuropa, gegen eine sowjetische Hegemonie über ganz Europa (…). Dieses Europa kann nicht gesund werden, wenn die Bundesrepublik nicht wieder wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch, militärisch ein Stabilisationsfaktor erster Ordnung wird.“ (Franz Josef Strauß, 18./19.11.1974 in Sonthofen). Aus der CSU-Führung war gedroht worden, in anderen Bundesländern eine mit der CSU assoziierte „Vierte Partei“ zu gründen. Außerhalb Bayerns hatten sich „Freundeskreise der CSU“ gebildet, die als Gründungskerne hätten dienen können. Die Spannungen zwischen der CSU und Teilen der CDU waren nach der verlorenen Bundestagswahl 1976 mit dem Wildbad Kreuther Beschluss vom 18./19.11.1976 zur Zerreißprobe geworden. Die CSU-Landesgruppe hatte auf ihrer Klausurtagung am 19. November 1976 in geheimer Abstimmung mit 30 gegen 18 Stimmen und einer Enthaltung die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufgekündigt und beschlossen, sich im 8. Deutschen Bundestag als selbständige Fraktion eine breitere Operationsbasis in der Opposition zu verschaffen. Dieser Beschluss, der noch im Dezember 1976 zurückgenommen worden war, hatte damals großes Aufsehen erregt. Das traditionell schwierige Bündnisverhältnis zwischen CDU und CSU war einer extremen Belastung ausgesetzt gewesen. Mein Arbeitszimmer an der Universität war in diesen turbulenten Wochen zu einer öffentlichen Auskunftei geworden. Manche Beobachter hatten geglaubt, das Ende der Union sei gekommen. Journalisten großer Blätter wollten wissen, wie ich die Lage und Entwicklung einschätze. Sofort nach dem Kreuther Beschluss machte ich mich an eine politikwissenschaftliche Expertise zur Lage und weiteren Entwicklung der CSU, die in der nächsten Nummer der Zeitschrift für Parlamentsfragen publiziert wurde.

Alle Welt schaute auf die CSU und auf ihren weltbekannten Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Das Phänomen Bayern war vielen ein Rätsel. Wie waren die Wahlerfolge zu erklären? Wie kam es zur „Dualität von Partei und Staat“? Welche Wirkfaktoren waren im Spiel, die der CSU diese Erfolge ermöglichten? Viele sahen in der CSU und in Bayern nur die Kultivierung einer Strauß-Bauerndemokratie und verkannten, dass der CSU eine gesellschaftsgestaltende Kraft zugewachsen war, welche die alten innerbayerischen Sozialmilieus zu einer neuen staatsbayerischen Gesellschaft fermentierte. Angesichts des Phänomen Bayerns und der Riesenerfolge der bayerischen „Staats- und Ordnungspartei“ bestand ein überaus großes Informationsbedürfnis, das meine Bücher unter den gegebenen Marktverhältnissen für wissenschaftliche Literatur zu Rennern werden ließ. Gleich nach ihrem Erscheinen machten sie mich weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus bekannt. Printmedien, Fernsehredaktionen und Verlage wurden auf mich aufmerksam. Renommierte Journalisten bedienten sich aus den Büchern des „CSU-Chronisten“ (Herbert Riehl-Heyse, 1979, S 18, 191) und schlachteten sie mit geübtem Blick für das Sensationelle und für historisch interessante Episoden aus. Sie übernahmen griffige Formeln wie „Bollwerk-Bayern-Politik“ (Herbert Riehl- Heyse, 1979, S. 23), „bayerische Staats- und Ordnungspartei“ und andere mehr. Ich ärgerte mich, wenn ich als „CSU-Chronist“ oder gar als „Hofschreiber der CSU“ (Nürnberger Nachrichten) bezeichnet wurde. Später musste ich mich damit abfinden, dass an mir das Etikett „CSU-Mintzel“ haften blieb. Von der Redaktion einer angesehenen fachwissenschaftlichen Zeitschrift wurde einer meiner Artikel über die CSU mit der Begründung zurückgewiesen, er sei zu CSU-freundlich.

Am 27. August 1977 traf ich in Köln beim Westdeutschen Rundfunk in einer Live-Sendung den älteren, renommierten Kollegen Professor Wilhelm Hennis. Dieser lobte meine „Anatomie einer konservativen Partei“ (1975) als „hervorragende Arbeit, die mich auf einen Schlag über die Masse der Politologen herausgehoben habe.“ Nach den Strapazen einer fast zehnjährigen höchst aufwändigen Forschung taten solche Urteile wohl. Neid und Missgunst, aber auch Kritik, die sich mit dem Erfolg einstellten, ließen sich leichter ertragen.

Ein Spiegel-Bericht hatte fast 500 Bestellungen meiner „Geschichte der CSU“ zur Folge. Meine „Anatomie einer konservativen Partei“ erlebte trotz ihres abschreckend hohen Kaufpreises von 98 Deutschen Mark 1978 eine zweite Auflage. Die CSU-Landesleitung kaufte ein Kontingent Exemplare für CSU-Geschäftsstellen. Ähnliches Glück hatte der Soziologe Ulrich Beck 1986 mit seinem sozialwissenschaftlichen Bestseller „Die Risikogesellschaft“. Kurz nach Erscheinen ereignete sich die Katastrophe im Atomreaktor von Tschernobyl. Und so blieb auch der Erfolg meiner CSU-Forschung eine Mischung aus harter Arbeit und glücklichem Zufall.

Dokumentarischer Anhang

Alf Mintzel: Franz Josef Strauß und die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, in: Friedrich Zimmermann (Hrsg.): Anspruch und Leistung, Widmungen für Franz Josef Strauß, Stuttgart 1980; Innentitel mit Widmung von Franz Josef Strauß

Brief von Franz Josef Strauß, 5. März 1985

 

 

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