18. Spitzel, Stasi, Anwerbungsversuche

Das „Abenteuer Parteienforschung“ hatte noch andere, viel gefährlichere Seiten, die wiederum eng mit der Person Franz Josef Strauß zusammenhingen. Meine Forschungsreisen durch Bayern und meine Veröffentlichungen über die CSU waren von der „anderen Seite“ beobachtet worden. Die Hauptabteilung XX/5 des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR holte über mich Informationen ein. Die Stasi setzte in Westberlin einen sogenannten Informellen Mitarbeiter (IM) auf mich an, es war makabrer Weise ein Kollege aus dem Zimmer nebenan, der mich aushorchte und über meine wissenschaftlichen Exkursionen nach drüben berichtete. Wie ich erst im Mai 2002 über die „Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ aus den Stasi-Akten erfuhr, wurde ein Maßnahmeplan entworfen: Mit Erich Honecker, dem damaligen Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und Mitglied des Staatsrates der DDR, wurden operative Maßnahmen gegen mich abgesprochen. Wegen der „Quellengefahr“ wurde strenge Vertraulichkeit angeordnet. Das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung, wie das ehemalige Institut für politische Wissenschaft nach seinem Ausbau hieß, wurde von der DDR-Staatsführung und der SED „als führende Zentrale der politischen ideologischen Diversion gegen die DDR“ eingeschätzt. Verschiedene Vorgänge signalisierten mir damals, dass ich wegen meiner Forschung in gefährliche Gewässer geraten war. Wiederholt klopften Kuriere aus der DDR an meine Tür. Im April 1976 erhielt ich eine Einladung des „Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft“ in der DDR, eines think tanks der SED, um einen Vortrag über meine Forschungsergebnisse zu halten. Anschließend sollte ich mich an einer internen Diskussion beteiligen. Die Situation war so heiß geworden, dass ich nicht nur wie sonst die Leitung des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung informierte, sondern auch das Präsidialamt der Freien Universität Berlin und den Berliner Verfassungsschutz um Hilfe bat. Das Präsidialamt und die Staatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters von (West-)Berlin mussten ohnehin über Reisen in die DDR und in sogenannte Ostblockländer amtlich informiert werden. In Absprache mit den genannten Institutionen folgte ich der Einladung und fuhr mit erhöhter Wachsamkeit in Begleitung einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Zentralinstituts nach Ostberlin. Mir war von der Ostseite freie Durchfahrt durch die Mauer sowie straflose Mitnahme meiner Publikationen über die CSU und von Diskussionsmaterial zugesichert worden. So beschafften sie sich drüben die Literatur, die in der DDR nicht erhältlich war. Am Grenzübergang wurden wir von Volkspolizisten, den sogenannten Grenzsicherungskräften, durchgewinkt. Wir waren also angekündigt worden. Die Diskussion nach meinem Vortrag mündete, wie nicht anders zu erwarten war, in die Aufforderung zur wissenschaftlichen Kooperation. Das war die „honorige“ Form, als Spitzel angeheuert zu werden. Nach der Rückkehr berichtete ich unseren zuständigen Institutionen den Ablauf. Wie aus meiner Stasi-Akte hervorgeht, hatte der Staatssicherheitsdienst alles beobachten lassen und minutiös protokolliert. Er war durch seinen IM auch über meine enge Kooperation mit den Westberliner Stellen informiert worden. Die Kenntnis meiner operativen Absprachen mit dem Westberliner Verfassungsschutz und der Universitätsleitung hatte dann wohl dazu geführt, dass ich in den folgenden Jahren nicht mehr behelligt wurde. Mit Hilfe des Verfassungsschutzes konnten zwei der Kuriere, die mich öfter an meinem Arbeitspatz aufgesucht hatten, enttarnt werden. Merkwürdigerweise konnte ich seither allein und mit meiner Familie durch den Kontrollpunkt Hirschberg nach Bayern fahren, ohne jemals wieder aufgehalten zu werden.

Auch Funktionäre der Polnischen Militäradministration aus Berlin klopften an meine Tür im Institut. Sie wollten Auskünfte über die Außen- und Ostpolitik von Franz Josef Strauß einholen. Ich zitiere aus einem meiner Schreiben an den Präsidenten der FU Berlin vom 20. 03.1979: „Am Mittwoch, dem 14. März 1979, erhielt ich einen Anruf aus der Militärmission Polens in Berlin – am Apparat war wohl der 1. Botschaftssekretär persönlich – mit der Anfrage, ob ich zu einem Gespräch mit einem Angehörigen der Militärmission bereit sei und hierzu Zeit hätte. Ein Herr der Freien Universität Berlin habe mich als einen Kenner und Spezialisten in Bezug auf die CSU benannt. Die Militärmission Polens hätte gerne meine Stellungnahme zu einigen Fragen. Ich vereinbarte mit dem Anrufer einen Termin für heute, den 20.03.1979, 10 Uhr. Es kam pünktlich ein Herr, der sich aber als Mitarbeiter der Kulturabteilung in der Militärmission vorstellte. Das Gespräch, eine politische Unterhaltung im Stile des Höferschen Frühschoppens mit informierten Beobachtern, dauerte etwa eine Stunde. Ich verwies den Herrn auf meine Publikationen über die CSU und gab ihm meine neueste Veröffentlichung (Die CSU. Ein Überblick, Opladen 1977, Westdeutscher Verlag). Der Herr überreichte mir eine Flasche Wodka als Dank für meine politische Gesprächsbereitschaft. Er kündigte an, in etwa drei Monaten nochmals vorbeizukommen. Anruf und Besuch erfolgten in meinem Dienstraum in der Freien Universität Berlin (hier im Hause). Ich wurde in meiner Eigenschaft als informierter Wissenschaftler angesprochen. Ich unterrichtete jedes Mal die Verwaltung des ZI 6 über die Vorgänge.“

Eine wichtige Stütze der Bourgeoisie

In den 1970er Jahren gründeten studentische Polit-Aktivisten an den Westberliner Hochschulen kommunistische Zwergparteien, die Lehre und Forschung attackierten. Ich geriet an der Freien Universität Berlin in die ideologische Schusslinie der „Kommunistischen Hochschulgruppe (KHG)“. In der „Kommunistischen Hochschulzeitung“, die diese Gruppe herausgab, wurde ich im Mai 1977 als eine wichtige Stütze der Bourgeoisie bezeichnet. „Das ZI 6 [gemeint war das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung] scheint für die Bourgeoisie von Bedeutung zu sein. Es gibt dort (…) Mintzel, Sachkundiger in der CSU-Parteienforschung mit Geheimmaterial im Panzerschrank“. Ich würde, wie es damals in den APO-Jahren hieß, „Herrschaftswissen“ liefern. Die Vorwürfe waren hoch politisch-ideologisch aufgeladen und zielten an meinem Verständnis empirischer Parteienforschung vorbei. In der Tat hatte mir die Universitätsverwaltung nach den unerwünschten Besuchen von den Kurieren und wegen der allgemeinen Sicherheitslage zwei Stahlschränke für meine Materialien zur Verfügung gestellt, zu denen ich die alleinige Schlüsselgewalt besaß. Im Hause Nr. 16/18 der Babelsberger Straße, wo eine Reihe von Instituten der Freien Universität Berlin untergebracht waren, sah es inzwischen schrecklich verschmutzt und verschmiert aus. Die Wände waren mit revolutionären Emblemen und Parolen „verziert“, der Zugang zum Haus und zu den Räumen war nicht abgesichert. Nachts stellten sich dubiose Gestalten ein. Ich hatte die Universitätsverwaltung um Sicherheitsmaßnahmen für meine Materialien gebeten. Der oft so apostrophierte „Elfenbeinturm“ Universität war auch unter solchen Gesichtspunkten zu einer politisch-ideologischen Operationsbasis für revolutionäre Aktionen geworden. Es gab im Gebäude der Babelsberger Straße über Jahre ein seltsames und spannungsreiches Nebeneinander von seriöser Forschung und ideologischem Aktionismus. Einmal besuchte mich Rudi Dutschke und verwickelte mich in ein Gespräch über die CSU und meine Forschung. Im Unterschied zu seinen öffentlichen Auftritten diskutierte er ohne seine lutherische Predigerstimme ruhig und sachlich. Ein anderer (noch lebender) Aktivist, dessen Namen ich nicht nennen möchte, sperrte mich in mein Arbeitszimmer ein, um eine Unterschrift zu erpressen. Ich war dieses „Revoluzzerspiel“ längst leid. Ingorante Rezensenten meiner Buchveröffentlichungen, wie zum Beispiel Prof. Dr. Kurt Sontheimer, erwähnten ärgerlicherweise mit keinem Wort, unter welchen besonderen politischen Umständen und Risiken meine Studien zustande gekommen waren.

Team Teaching als Bewältigungsstrategie

Nachdem ich nach meiner Promotion 1974 in die Stelle eines Assistenzprofessors eingerückt war, musste ich zum ersten Mal im vollen Umfang das übliche Lehrdeputat von vier wöchentlichen Semesterstunden erfüllen. Bis 1974 war ich in dem Forschungsinstitut von Lehrverpflichtungen ausgenommen gewesen, ein Privileg, das es mir ermöglicht hatte, kontinuierlich an meinem Projekt zu arbeiten. Dieses Privileg war es auch gewesen, das mich in der APO-Zeit vor konfliktreichen und zum Teil chaotischen Lehrveranstaltungen bewahrte. Dies änderte sich 1974 schlagartig, als ich mit Beginn des Wintersemesters 1974/75 mit der Situation in der Lehre konfrontiert war. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre war es in den Lehrveranstaltungen noch relativ diszipliniert zugegangen. Die teilweise chaotischen Zustände traten erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein und kulminierten dann in den 70ern, in der Zeit der mörderischen RAF-Aktionen. In den Seminaren stießen die verschiedenen studentischen Gruppen aufeinander und lieferten sich gegenseitig Wortgefechte und Grabenkämpfe: K(ommunistische)-Gruppen, Feministen, Trotzkisten und Sponti-Gruppen. Als Lehrender wurde man zeitweise zu einer Randfigur, die vorne zusehen musste, wie die Gruppen Fragestellungen des Lehrprogramms zurückwiesen, entsprechend ihren politisch-ideologischen Anschauungen umformulierten oder mit Gegenfragen boykottierten. Mit meinem ersten Seminar erlitt ich ein Fiasko. Die Seminarteilnehmer sagten mir in der einführenden Besprechung des Lehrprogramms ins Gesicht, die von mir aufgeworfenen Fragestellungen würden sie nicht interessieren. Sie wollten, darin waren sie sich einig, mein Arbeitsprogramm mit einem Gegenprogramm kippen.

Ich verfolgte bei der Bewältigung der schwierigen Lehrsituationen als logische Konsequenz aus meiner eigenen Laufbahn eine individualistische Strategie. Ich hatte mich in den Auseinandersetzungen weder in den von Hans Maier und anderen Professoren 1970 gegründeten „Bund Freiheit der Wissenschaft“ geflüchtet, um Widerstand und Gegenmacht zu üben (Maier 2013, S.171ff), noch mich der „Sozialistischen Assistentenzelle“ am OSI angeschlossen, um eine linke Flagge zu zeigen. Auch die Berliner „Notgemeinschaft für eine freie Universität“ hatte mich nicht angezogen. Erneut setzte ich mich zwischen alle Stühle.

Die schlechten Erfahrungen ließen es mir geraten sein, zusammen mit einem in der Lehre erfahrenen Kollegen Seminare durchzuführen, also durch das team teaching zu lernen, wie chaotische Lehrsituationen bewältigt und Lehrprogramme relativ ungestört durchgeführt werden können. Ich fand in Prof. Dr. Jürgen Dittbener, dem Berliner FDP-Politiker und späteren Berliner Senator, einen Kollegen, der mir mit zugeflüsterten Handlungsanweisungen zu verstehen gab, wie ich auf Provokationen reagieren sollte. Manchmal war es nur eine kleine Handbewegung, mit der er mich davon abhielt, mit einer impulsiven Bemerkung die Situation eskalieren zu lassen. Außerdem nahm ich bei einem Berliner Psychoanalytiker an Gruppenseminaren teil, um gruppendynamische Vorgänge besser durchschauen und steuern zu können. Es gab nicht nur das „Abenteuer Parteienforschung“, sondern auch abenteuerliche, heute kaum mehr vorstellbare Verhältnisse in der Lehre.

Anfang der 1980er Jahre begannen sich die Verhältnisse allmählich zu normalisieren. Als ich 1981 an der Universität Passau als Ordinarius für Soziologie zu lehren begann, strickten noch einige Studentinnen nadelklappernd an Schals oder wer weiß an welchen Utensilien. Kollegen, denen ähnliches widerfuhr, fragten die Strickerinnen, wann das Baby käme, und meinten mit Ironie oder Sarkasmus die letzten Protestallüren austreiben zu können. Dann wurde es still. Die Universität Passau verstand sich im Grunde genommen als eine konservativ ausgerichtete „Gegengründung“, in der verdeckt darauf geachtet wurde, dass Berufene auch in die katholisch-konservative Landschaft passten. In der Idylle der bezaubernden Dreiflüsse-Stadt ließ sich gut leben und arbeiten. Die turbulenten und strapaziösen Universitätszeiten waren nahezu ausgestanden.

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