„Fritz Schäffer zum Gedenken“, Mai 1988
Einen nachhaltigen Schlagabtausch mit bayerischen Landeshistorikern lieferte ich mir im Mai 1988. Hierzu gab es einen doppelten Anlass. Am 12. Mai 1988 wäre der bayerische Politiker Fritz Schäffer (1888–1967) hundert Jahre alt geworden. Die große politische Bedeutung Fritz Schäffers und das Datum legten es nahe, zu seinem Gedächtnis Veranstaltungen zu organisieren. Schäffer war im Bundeswahlkreis Passau zu den Bundestagswahlen 1949, 1953 und 1957 erfolgreich als Direktkandidat der CSU angetreten und von 1949 bis 1961 Bundesminister gewesen. Gedächtnisfeiern in Passau auszurichten war folglich eine niederbayerische Ehrenpflicht. Im Mai 1988 fanden aus diesem Grund zwei Großveranstaltungen statt, die politisch-zeithistorische Ausstellung „100 Jahre Fritz Schäffer“ in den Museumsräumen des niederbayerischen Klosters Asbach und ein wissenschaftliches Symposion „zum Gedenken Fritz Schäffers“ an der Universität Passau. Die Asbacher Veranstaltung wurde maßgeblich von Prof. Dr. Peter Claus Hartmann, dem Inhaber der Passauer Professur für bayerische Landesgeschichte, und seinem Mitarbeiter Dr. Otto Altenhofer konzipiert und durchgeführt. Sie stand unter der Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und wurde von zahlreichen Institutionen und Persönlichkeiten der Stadt Passau, des Landkreises Passau und Niederbayerns sowie des Freistaates Bayern getragen. Dem „Ehrenausschuss“ gehörten prominente Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Kirchen, Presse und Wissenschaft an. Ungeachtet ihrer zeithistorischen Dokumentation und Ausrichtung hatte diese Ausstellung, „um dieses großen bayerischen Politikers gebührend zu gedenken“, einen eminent politischen Charakter. Die Beiträge zum Katalog hatten Politiker verfasst, die „diejenigen hohen Ämter bekleideten, die einst Fritz Schäffer innegehabt hatte“ (Katalog). Es war eine Ausstellung auf wissenschaftlicher Basis mit politischer Ausrichtung inklusive Gedenkgottesdienst. Dagegen war aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden. Eine Stadt, eine Region und deren große Mehrheitspartei gedachten einer ihrer politischen Größen.
Anders stand es mit dem wissenschaftlichen Symposium „zum Gedenken Fritz Schäffers“ an der Universität Passau. In diesem Falle galten, so könnte man annehmen, ausschließlich wissenschaftliche Maßstäbe. Träger und Organisator des Symposions über Föderalismus und Finanzpolitik war der Passauer Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, den Prof. Dr. Wolfgang Mückl innehatte. Im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung stand das Wirken Schäffers als ehemaliger bayerischer Staatminister für Finanzen (1931–1933) und als Bundesfinanzminister (1949 bis 1957). Ich erfuhr von den bevorstehenden Gedenkveranstaltungen aus der Presse und über universitätsinterne Kanäle. Von keiner Seite kam eine Einladung zur Teilnahme, geschweige denn zu einem Beitrag. Es herrschte Schweigen, als hätte ich mich nie mit der CSU und dem Politiker Fritz Schäffer befasst. Kurz vor Beginn des Symposiums kamen auswärtige Professoren an meinen Lehrstuhl, um sich aus der „Sammlung Mintzel“ noch Informationen und Daten für ihre Referate zu holen. Selbstverständlich gewährte ich den Wissenschaftlern Zugang zu meinem Material.
Diese Vorgänge bewogen mich dazu, die Gedenk-Veranstaltungen auf externem Wege mit einem eigenen Beitrag zu begleiten. Ich kam mit Michael Stiller von der Bayern-Redaktion der Süddeutschen Zeitung überein, zum Auftakt der Passauer Veranstaltungen für die Seite „Berichte aus Deutschland“ ein politisches Porträt Schäffers zu verfassen. Es erschien pünktlich am 11. Mai 1988 in der Nummer 109 unter dem Titel „Drei Karrieren, handfeste Intrigen und ein Juliusturm“. Der Untertitel lautete: „Die Festreden vermitteln nicht die ganze Wahrheit über den erzkonservativen bayerischen Politiker“.
Ein Zeitungsartikel zu einem tagespolitischen Ereignis von größerer Bedeutung unterliegt anderen stilistischen Bedingungen und Anforderungen als eine wissenschaftliche Abhandlung. Er muss allgemeinverständlich, knapp, differenziert und pointiert komplexe Sachverhalte beschreiben. Geht es um einen strittigen Fall, darf mit spitzer Feder gestritten werden. Verkürzungen sind unvermeidlich. Diese Kriterien trafen auf meinen fast ganzseitigen Artikel zu. Ich gebe ihn im Folgenden in Ausschnitten wieder.
Drei Karrieren, handfeste Intrigen und ein Juliusturm, 11.05.1988
Es ist kein Zufall, dass Universität, Stadt und Landkreis Passau zu Ehr und Preis des bayerischen Politikers in der niederbayerischen Barockkirche Kloster Asbach eine Ausstellung >100 Jahre Fritz Schäffer. Treudeutsch – kernbayerisch< veranstalten. Schäffer war in den Bundestagswahlen 1949, 1953 und 1957 erfolgreicher Direktkandidat der CSU im Bundeswahlkreis Passau.
Im Abstand der Jahre und Generationen verblassen die Kämpfe, Intrigen und Legenden der einstmaligen knorrigen und bissigen Charakterdarsteller des „Bayerischen Welttheaters“. Der Historiker Golo Mann sagte einmal, man dürfe historische Ereignisse nicht immer zu nahe betrachten, weil dann das Große, das sich im historischen Prozess als Ergebnis von erbitterten Kämpfen, Intrigen und Gemeinheiten am Ende herausgebildet habe, sehr hässlich erscheinen könnte. So verhält es sich auch bei näherer Betrachtung der Figur Fritz Schäffers im politischen Kräfte- und Ränkespiel Bayerns und Bonns.
In Reden und Vorträgen wird mit wohl abgewogenen Worten der bedeutendste bayerische Politiker und deutsche Staatsmann porträtiert, werden seine Verdienste hervorgehoben – zu Recht und mit guten Gründen. Daran besteht kein Zweifel: Schäffer gehörte zu den herausragenden politischen Gestalten der bayerischen und deutschen Politik. Aber es gibt auch das Hinterhältige, das Fragwürdige, das Zwiespältige und Doppeldeutige, das Unbequeme in dieser Person. Man muss die internen Protokolle der Führungsorgane und Parteitage der CSU und Bayernpartei, die vertraulichen Dossiers der Kontrahenten und die geheimen Berichte der Spitzel und Denunzianten gelesen haben, um sich die Schärfe, Heftigkeit und Verbissenheit der innerparteilichen und zwischenparteilichen Auseinandersetzungen vorstellen zu können.
Schäffer spielte in der Früh- und Aufbaugeschichte der CSU eine wenig rühmliche Rolle. Er war ein rebellischer Quertreiber und Spalter. Er betrieb eine hintergründige, auf gut bayerisch >hinterfotzige< Schaukelpolitik zwischen CSU und Bayernpartei, er intrigierte und verbreitete Legenden, er missionierte >kernbayerisch< und wollte auf Biegen und Brechen an die Spitze der bayerischen Politik
Sein politisches Leben war wechselvoll: Dreimal kam er nach oben, in der Weimarer Republik im Jahre 1945 und ein drittes Mal 1949. Zweimal wurde er in die Tiefe gerissen, 1933 und 1945. In den Jahren 1947/48 verrannte er sich in den Führungs- und Richtungskämpfen der CSU und im >Bruderkrieg< zwischen CSU und Bayernpartei. 1949 kam er durch die niederbayerische Hintertür Passaus noch einmal in die große Politik zurück. 1961 trat er ehrenvoll von der politischen Bühne ab und starb am 29. März 1967 in Berchtesgaden. (…)
Im katholischen Milieu aufgewachsen und noch im Königreich Bayern in den Staatsdienst eingetreten, wurde er geradezu selbstverständlich Mitglied der Bayerischen Volkspartei. Engagement, Ehrgeiz und Umstände brachten ihn in politische Spitzenpositionen. Von 1920 bis 1933 gehörte er dem Bayerischen Landtag an. Im Mai 1929 avancierte er zum Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei Am 16.09.1931 ernannte ihn der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held zum Staatsrat und beauftragte ihn mit der Führung des bayerischen Finanzministeriums. Im Untergang der Weimarer Republik und im Zuge der Gleichschaltung der Länder durch das NS-Regime wurde er von den Strudeln mit in die Tiefe der bayerischen und deutschen Geschichte gerissen. Mit dem von den Nazis erzwungenen Rücktritt des Kabinetts Held endete im März 1933 die erste politische Karriere Schäffers.
Gewiss, als die Nazis daran gegangen waren, die Länder gleichzuschalten und zu Verwaltungsprovinzen des >Dritten Reiches< zu erniedrigen, hatte der Erzföderalist und bayerische Etatist Schäffer mit anderen versucht, Bayern vor der nationalsozialistischen >Machtübernahme< zu bewahren und die föderale Struktur des Deutschen Reiches zu retten. Aber als Verteidiger von Republik, Demokratie und Freiheit hatte er sich dabei nicht hervorgetan. Bayern, Bayern über alles, war seine Devise – auch um den Preis der republikanischen Staatsverfassung. In letzter Minute hatte er in Bayern der >braunen Diktatur< die Monarchie entgegensetzen wollen. Ein demokratischer Widerstandskämpfer war er also nicht gewesen. Im Kampf gegen die Sozis und Kommunisten hatte er allemal, nach rechts halbblind, nach links christlich-draufgängerisch, auf der Seite der Nazi gestanden.
Im Mai /Juni 1933 erzwangen die neuen Machthaber die Auflösung der politischen Parteien und etablierten den Einpartei-Staat. In einer Verhaftungsaktion gegen viele Mandatsträger der BVP brachten die Nazi Ende Juni 1933 auch Schäffer hinter Gitter. Nach kurzer Zeit entlassen, zog sich Schäffer in das Privatleben zurück und ernährte seine Familie als Rechtsanwalt – sowie mit dem von den Nazis gewährten Ruhegehalt eines Staatsrates a. D. Die Rache der des NS-Regimes brachte ihn allerdings nach dem 20. Juli 1944 kurzfristig ins KZ Dachau.
Am 28. Mai 1945 setzte ihn die amerikanische Militärregierung für Bayern als bayerischen Ministerpräsidenten ein. Über Nacht war Schäffer in das Amt gelangt, das er schon 1933 angestrebt hatte Die amerikanischen Offiziere hatten anfangs zu wenig historische und personelle Hintergrundkenntnisse und zu vage Direktiven. Sie fanden sich nur schrittweise in den „bayerischen Verhältnissen“ zurecht. Ehemals prominente Repräsentanten der BVP hatten sich den Amerikanern gegenseitig empfohlen und die tatkräftige Unterstützung des Kardinals Faulhaber erhalten. Die mutigen Predigten Faulhabers gegen den Nationalsozialismus waren im Ausland bekannter geworden als seine antidemokratischen Äußerungen. Die Amerikaner sahen in der katholischen Kirche eine Bastion des Anti-Nationalsozialismus, übersahen aber anfangs deren Distanz zur liberalen Demokratie. So konnte die noch intakte römisch-katholische Kirche ihre politischen >Vertrauensleute< aus der früheren BVP, konservative Bürgerliche und Monarchisten, in den Vordergrund schieben. Der politische Katholizismus Bayerns und die Erzbayern priesen das >Glück, dass es der Kirche – geleitet von einer so überragenden Persönlichkeit wie Kardinal Faulhaber – gelungen ist, in der gegenwärtigen Lage durch ihre Vertrauensmänner die Verwaltung Bayerns in die Hand bekommen zu haben.“
Schäffers Regierungskonzept für Bayern war: fachmännische Notstandsverwaltung mit Hilfe des bayerischen Berufsbeamtentums; Wiedergewinnung, Reorganisation und Festigung bayerischer Eigenstaatlichkeit in Anknüpfung an die bayerische Staatstradition; Aufschub von Neu- und Wiedergründung politischer Parteien; „unpolitische“ Zusammenarbeit der Aufbaukräfte auf der Grundlage des >christlichen Sittengesetzes<. Er betrieb unter der Etikette einer angeblich unpolitischen Notstandsverwaltung und einer scheinbar parteineutralen Aufbaupolitik die handfeste Politik eines katholisch-konservativen, autoritär gesinnten bayerischen Etatisten. Seine politische Gedankenwelt war 1945 meilenweit von dem entfernt, was unter einer liberalen Demokratie zu verstehen ist. (…) Wenn überhaupt, dann wollte Schäffer an der Tradition und Gedankenwelt der Bayerischen Volkspartei wiederanknüpfen. Die letztverbindliche Maxime seiner Ideenwelt war die Wiederherstellung eines starken bayerischen Staates. Dieser sollte zu einem Hort >der christlich-konservativen Kräfte < werden. Ein Separatist war er allerdings nicht. Für die Besatzungsmacht war die eingesetzte bayerische Regierung reine Auftragsverwaltung. Das Kabinett Schäffer und die bayerische Staatsverwaltung hatten zu gehorchen.
Hauptanlass für seine Absetzung war die Entnazifizierung. Schäffer wiedersetzte sich im Sommer 1945 der amerikanischen Entlassungs- und Entnazifizierungspolitik (…) Die Entnazifizierung wurde zur Existenzfrage der Schäffer-Regierung. Auf Anweisung General Dwight D. Eisenhowers wurde Schäffer am Abend des 28. September 1945 amtsenthoben und der Sozialdemokrat Wilhelm Högner als bayerischer Ministerpräsident eingesetzt.
Nun wollte Schäffer an die Spitze der CSU gelangen. Im CSU-Richtungs- und Führungskampf um den >richtigen< bayerischen Kurs in der deutschen Nachkriegsgeschichte sammelte und formierte er mit Alois Hundhammer und Anton Pfeiffer die innerparteiliche Opposition gegen den ersten Landesvorsitzenden, Josef Müller. Schäffer sah in Müller, der dem militärischen Widerstand um Canaris angehört hatte und aus dem KZ Flossenbürg befreit worden war, einen Intimfeind, der ihn um das politische Erbe der BVP zu bringen drohte. Er schob der angeblichen Konspiration Müllers mit der amerikanischen Besatzungsmacht zu Unrecht seine Absetzung zu. Am 21. März 1946 zum Vorsitzenden des CSU-Bezirksverbandes München gewählt, verwandelte Schäffer den Stadtverband vollends in eine Operationsbasis gegen den liberal-konservativ und interkonfessionell gesinnten, gemäßigt föderativen Müller.
Die amerikanische Besatzungsmacht, inzwischen mit den >bayerischen Verhältnissen< und ihren politisch-historischen Hintergründen besser vertraut, untersagte Schäffer im April 1946 jegliche politische Betätigung. Die Amerikaner waren zur Überzeugung gelangt, Schäffer sei ein gesinnungsmäßiger Steigbügelhalter der Nazis gewesen. Auch seine Hinhaltetaktik in der Entnazifizierungsfrage führten sie auf diesen >spirit of cooperation> mit den Nazis zurück, ist den vertraulichen Dossiers zu entnehmen.
Nachdem die Amerikaner das politische Betätigungsverbot im November 1947 aufgehoben hatten, betrat Schäffer wieder die politische Bühne Bayerns. Diesmal stellte er sich mit einem geradezu religiösen Sendungsbewusstsein als idealistisches >Opfer< und als bayerischen >Märtyrer< vor, der sich in der auferlegten Zurückgezogenheit auf die großen Aufgaben vorbereitet habe und zur >inneren Reform< sowie zur Rettung der CSU berufen sei.
Altbayern war noch nicht ganz reif für die große interkonfessionelle Sammlungsidee. Schäffer interpretierte 1947/48 den Unionsgedanken um und gab ihm eine altbayerische Fassung. Union hieß für ihn hauptsächlich katholisch-konservative Blockbildung mit altbayerischem Schwerpunkt. Unter >Union< verstand er die Wiedervereinigung der zwei Parteien des gespaltenen katholisch-konservativen Lagers, der CSU und der Bayernpartei. Er war bereit, den Parteinamen >CSU< preiszugeben. In den Führungs- und Richtungskämpfen brachte sich der altbayerische Streithahn durch seine aufwieglerischen Winkel- und Schachzüge und durch zwielichtiges Taktieren zwischen CSU und BP ins Aus. Dem Ausschluss aus der CSU kam er am 14. September 1948 durch seinen Parteiaustritt zuvor. Die Bayernpartei hatte ihm im Juni 1948 eine Abfuhr erteilt.
Schäffer musste seine Hoffnungen begraben, als der große Retter und Vereinigungspolitiker in die bayerische Geschichte einzugehen, Er hatte das Gegenteil von dem bewirkt, was er wollte. Er hatte mit seiner Rebellion die Krise der CSU auf die Spitze getrieben. Der kleine Staatsrat a. D. hatte keinem verfassungsgebenden Gremium angehört. Er war nicht zum Vater der bayerischen Verfassung oder des Grundgesetzes geworden. Der alte Plan, das Amt des bayerischen Staatspräsidenten einzurichten, war vereitelt worden.
Die ihm heute nachgerühmten Verdienste erwarb sich Schäffer erst wirklich, als sich die besatzungspolitische und innerdeutsche Situation entscheidend gewandelt hatte – nach der Gründung der Bundesrepublik. Vor der ersten Bundestagswahl kam der Ruf an ihn aus Passau; in dieser Stadt hatte Schäffer enge familiäre und politisch-klerikale Kontakte. CSU-Honoratioren holten mit bischöflicher Unterstützung Schäffer nach Passau und boten ihm eine Direktkandidatur im Bundestagswahlkreis Passau an. Der Passauer Bischof befürchtete, wie seine bayerischen Amtskollegen, dass der >Bruderstreit< zwischen CSU und Bayernpartei im Bundestagswahlkampf die Vorherrschaft der >beiden christlichen Parteien< gefährden könnte. Unter der strategischen Devise >Einigung der christlichen Front< begann sich die katholische Kirche Bayerns auf die Seite der CSU zu schlagen. Jetzt erst, als CSU-Bundestagsabgeordneter und Bundesminister, konnte Schäffer am innerbayerischen >christlichen< Vereinigungswerk mitarbeiten und der CSU bei der endgültigen Niederringung der Bayernpartei helfen.
Sieger-Ehrung in Passau 1988. Es gibt eine Fritz-Schäffer-Promenade, aber keine Joseph –Baumgartner–Straße. Die Universität Passau veranstaltet ein „>Gedenk<-Symposion“. Die >bösen< Spalter und Verlierer der anderen >christlichen Partei< werden wie in altägyptischen Dynastien aus dem Gedächtnis gemeißelt. Joseph Baumgartner, der 1948 zur Bayernpartei >übergelaufen< und Schäffer im Vorsitz der>Spalter-Partei< zuvorgekommen war, wird mit Vergessen bestraft.
Schäffers Rolle als Bundesfinanzminister war vorgezeichnet. Von 1931 bis 1933 hatte er das bayerische Finanzministerium geführt und in den 124 Tagen seiner Ministerpräsidentschaft 1945 auch das Finanzressort übernommen. Schäffer war von Haus aus Finanz- Steuer- und Haushaltspolitiker. Auf den ersten Blick wirkte Schäffer, der gut in die >kleinbürgerlich-mittelständische Gesellschaft< der ersten Kabinette Adenauer passte, ein typischer Vertreter der trockenen Stehkragen-Bürokratie. Aber er blieb ein politischer Querkopf mit Format. Beinahe wäre er Vizekanzler geworden. 1955 war er sogar als denkbarer Nachfolger Adenauers im Gespräch.
Aus seiner Bonner Zeit blieb vor allem sein >Juliusturm< in Erinnerung. Als knausriger >Bundesbuchhalter< und gewitzter >Finanzakrobat< hatte Schäffer im Bundesaushalt beträchtliche Rücklagen angehäuft. In Erinnerung an die französische Kriegsentschädigung, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als >Kriegsschatz< im Juliusturm, einem Gebäude bei Berlin-Spandau, gehortet worden war, wurden die Rücklagen „Juliusturm“ genannt. Gerade die sparsame Finanz- und Haushaltspolitik war es aber gewesen, die zwischen Adenauer und Schäffer zu großen Spannungen führte, insbesondere als es den Aufbau der Bundeswehr zu finanzieren galt. Adenauer hielt Schäffers Finanzpolitik für zu >fiskalisch< und für zu wenig an innen- und außenpolitischen Notwendigkeiten orientiert. Schäffer drohte des Öfteren mit seinem Rücktritt. Er ärgerte Adenauer einmal mit der Bemerkung: >Die CSU ist eine bayerische Partei und nicht dem Kommando eines fremden Parteichefs unterworfen<. Eine wirkliche Kraftprobe mit dem Kanzler wagte aber damals selbst das bayerische > Eisenhaupt Schäffer< (F.J. Strauß, 1955) nicht. 1957 musste Schäffer in das Bundesjustizministerium überwechseln. Adenauer wollte den >Finanzbuchhalter< Schäffer nicht nochmals das Bundesfinanzministerium leiten lassen. 1961 folgte ein getrübter Abgang aus der Politik.“
Soweit meine Porträtskizze.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, am Schluss noch einen kräftigen Seitenhieb gegen etablierte Landeshistoriker zu richten, und forderte eine weniger staatsschmeichelnde und hagiografische Landesgeschichtsschreibung ein: „Der Landesverschönerungsverein >berufener< Historiker glättet und überhebt von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, mit akademischen Worten die damaligen Ereignis- und Wirkungsgeschichte. Der renommierte Landeshistoriker Andreas Kraus, der sich in seiner >Geschichte Bayerns – Von den Anfängen bis zur Gegenwart< in die Nachkriegsgeschichte vorwagte, widmet von insgesamt 745 weniger als vier Seiten der Zeit nach 1945 – und dies unter der Kapitelüberschrift >Bayern im NS-Reich<. Eine große Gesellschafts- und Staatsgeschichte Bayerns nach 1945 muss erst noch geschrieben werden. Dies verlangt den Mut, über den Horizont einer lammfrommen bayerischen Denkmäler-Pflege hinauszugehen.“
Beschimpfungen und Sympathien-Bekundungen
Mein Artikel verfehlte nicht die beabsichtigte Wirkung. Er schlug nicht nur in Passau wie eine Bombe ein und hinterließ Verletzte. Am 12. Mai 1988 wurde die Asbacher Ausstellung mit einem Gedenkgottesdienst eröffnet. Es waberte viel Weihrauch durch die Veranstaltung. Am 19. Mai 1988 begann an der Universität Passau das Symposion „zum Gedenken an Fritz Schäffer“, am Abend des 19. Mai empfing die bayerische Staatsregierung im Passauer Rathaus die Initiatoren, Organisatoren und Teilnehmer der beiden Gedenk-Veranstaltungen. Der große Rathaussaal und die Nebenräume waren rappelvoll. Prominente und weniger Prominente schlängelten sich durch die Räume und bildeten Trauben an den Stehtischen, delikate Speisen und Getränke wurden herumgereicht. Das Stimmengewirr ließ kaum eine Unterhaltung zu. Man musste ganz nahe beieinanderstehen, um sich unterhalten zu können. Ich war unter den Gästen, und prompt kam es zu einer Kollision mit Mitgliedern der Familie Schäffer. Sie beschimpften mich wutentbrannt, bezeichneten meinen Artikel als Pamphlet und Unverschämtheit, das sei keine Wissenschaft, sondern Verunglimpfung. Die Redaktion der Süddeutschen Zeitung berichtete mir später, ein Mitglied der Familie Schäffer habe sich erzürnt an die Redaktion gewandt und die Zeitung abbestellt. Familienmitglieder fragten mich allen Ernstes, ob Franz Josef Strauß hinter meinem Artikel stehe. Sie hegten anscheinend den Verdacht, er könnte hintergründig mitgewirkt haben. Animositäten und Rivalitäten aus alten Tagen waren herauszuhören. Meine Einwände gegen eine hagiografisch verklärende Feier blieben ungehört. Anstatt die Universität indirekt politisch in den Dienst zu nehmen, hätte das wissenschaftliche Symposium von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung ausgerichtet werden müssen. Ich war nicht der einzige aus dem Kreis der Professorenschaft, der sich an dem akademischen Weihrauch störte, der um die Person Schäffer gewedelt wurde. Ein Dutzend Kollegen aus der Philosophischen Fakultät kamen auf mich zu und bekundeten ihre Sympathie für meinen bissigen Artikel. Professor Paul Lankes, der Inhaber des Lehrstuhls für Kunsterziehung, skizzierte mich amüsiert als Denkmal-Stürzer. Er traf mit sicherem Strich Schäffers Büste und den kleinen Mintzel, wie er mit einer Brechstange die Büste vom Sockel holt. Mag der „Fall Schäffer“ eine besondere politische Delikatesse gewesen sein, es wurden jedenfalls Bedenken gegen eine allzu bereitwillige politische Indienstnahme der Universität laut, zumal gegen einseitige Glorifizierungen.
Prof. Paul Lankes, Inhaber des Lehrstuhls für Kunstpädagogik an der Universität Passau, Bleistiftskizze, 1988, recto beschriftet: „Also da gehts ja nicht um den Schäffer allein, da muß ja jeder, der da fleißig an seinem Denkmalsockel mauert besorgt sein, daß der Mintzel ihn herunterkippt. Trotz meines Sinns für Denkmalpflege hat mir Ihr Artikel sehr gut gefallen. Gratuliere. Paul Lankes.“
Meine Bemerkung, „eine große Gesellschafts- und Staatsgeschichte Bayerns nach 1945 (müsse) erst noch geschrieben werden“ und meine provokative Aufforderung an die bayerische Landgeschichtsschreibung, mit mehr „Mut über den Horizont einer lammfrommen bayerischen Denkmäler–Pflege hinauszugehen“, wurden in Verlagen vernommen. Noch während des Symposiums erschienen die Herren des Olzog-Verlages an meinem Lehrstuhl und wollten mich für ein Publikationsprojekt gewinnen. Bezeichnenderweise ging der Auftrag an die Verlagsbuchhandlung Ferdinand Schöningh. Der Ertrag des Symposiums wurde 1990 in der Reihe der „Rechts- und Staatswissenschaftlichen Veröffentlichungen der Görres–Gesellschaft publiziert. Kollege Winfried Becker strafte mich in seinem Beitrag „Fritz Schäffer und der Föderalismus“ einmal mehr ab: Er überging meine Publikationen, in denen ich mich ausführlich mit Schäffers Wirken befasst hatte. Solche Strafaktionen machten es an der Universität Passau unmöglich, ein gemeinsames zeitgeschichtliches Bayern-Projekt auf den Weg zu bringen. Mir waren diese kleinkarierten und spießigen Konkurrenzspiele und Lagerbildungen in Form von Zitierverweigerungen zuwider. Leider sind sie in den Geschichts- und Sozialwissenschaften eine gängige Praxis.
Auswärtige Professoren, die am Passauer Symposium über Schäffer teilgenommen hatten, wie beispielsweise Wolf D. Gruner (Hamburg) und Dieter Grosser (München), griffen in ihren für die „Gedenkschrift für Fritz Schäffer“ elaborierten Beiträge auf meine einschlägigen Schriften zurück. Sie verschwiegen auch nicht meinen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Die Herausgeber des „Biographischen Lexikons der deutschen Bundeskabinette 1949–1998“ (2002), Udo Kempf und Hans G. Merk, luden mich ein, das Porträt Fritz Schäffers zu verfassen, das Raum bot für eine differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser markanten Politikerpersönlichkeit und ihrem historischen Wirken.
Ein böses Nachspiel, 1988/89
Das Verhältnis zu den Passauer (Landes-)Historikern wurde 1988 ein weiteres Mal durch einen Schlagabtausch mit dem Historiker-Kollegen Becker gestört. Man mag darin ein notorisches Professorengezänk sehen und ihn als ein typisches Beispiel professoraler Besserwisserei abtun, das außer den Kampfhähnen selbst niemanden interessiert.
1988 besprach ich in der „Politischen(n) Vierteljahresschrift (29. Jg. Heft 4, S. 668-673) Beckers Buch „CDU und CSU 1945–1950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei.“ Er antwortete 1989 im ersten Heft dieser Zeitschrift mit einer Replik. Im Grunde ging es in der scharfen Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über die thematisierten Aspekte der CSU-Geschichte und um die Bewertung einzelner Vorgänge in der Gründungsphase der CSU. Dabei spielte ein weiteres Mal mein Fundus an Materialien aus der CSU eine gewichtige Rolle. Der Inhaber des Passauer Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte übertünchte meines Erachtens die überaus heftigen Flügel- und Richtungskämpfe in der CSU der Nachkriegszeit mit einem „interkonfessionellen Glaubensbekenntnis“. Becker glaubte, dass sich alles doch nicht so drastisch abgespielt habe, wie ich das in meinen Büchern über die CSU dargestellt hatte. Er bezweifelte die Schärfe der innerparteilichen Konflikte und wollte die erzkonservativen ober- und niederbayerischen Quertreibereien von Alois Hundhammer, Fritz Schäffer und deren Anhänger in ein milderes Licht gestellt wissen. Dass Schäffer zeitweise sogar bereit gewesen war, die interkonfessionelle Unionsidee einer „altbayerisch-katholischen Blockpartei“ zu opfern, passte nicht zu Beckers Vorverständnis. Es hätte sich ideologisch-programmatisch in Wirklichkeit nicht so zutragen dürfen.
Diesem Streit um die richtige Bewertung historischer Vorgänge lag ein gravierendes empirisches Problem zugrunde: Becker hatte von der „Sammlung Mintzel“, die fünfhundert Meter von seinem Lehrstuhl in meinen Amtsräumen lagerte und prinzipiell für jeden Wissenschaftler zugänglich war, keine Kenntnis genommen. Seine Ausführungen zur CSU-Geschichte 1945–1950 beruhten auf einer sehr viel schmaleren Quellenbasis als meine Kapitel über die Gründungs- und Aufbaujahre der CSU. Kein Wissenschaftler hatte zuvor so viele parteiinterne Quellen gerade auch zu den CSU-internen Richtungs- und Flügelkämpfen auswerten können wie ich. Das hatte sich bis ins europäische Ausland herumgesprochen. Junge Wissenschaftler waren angereist, um für ihre Studien über „German and Bavarian Politics“ die „Sammlung Mintzel“ zu nutzen. Andere bezogen sich auf meine Quellen. Becker glaubte meine Forschungsergebnisse unter dem Blickwinkel der interkonfessionellen Unionsidee in Zweifel ziehen zu können. Er wollte nicht wahrhaben, dass in altbayerischen Gebieten der politische Katholizismus in der Nachkriegszeit noch eine Weile heftig nachgewirkt hatte, vor allem in der damaligen politischen Wetterecke Niederbayerns. Ich wandte mich gegen landesgeschichtliche Schönfärbereien von politischen Kämpfen und politisch-ideologischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit. So wie ich den Sachverhalt einschätzte, hatte meine Kritik an Becker nichts mit selbstgefälligem Aufplustern und auch nichts mit Korinthenkackerei zu tun. Wir Wissenschaftler haben alle unsere weltanschaulichen Brillen, durch die wir mehr oder weniger scharf die reale Welt betrachten und Erkenntnisse gewinnen. Wir forschen nicht voraussetzungslos, sollten aber nicht an der Empirie vorbei arbeiten.
An Beckers Buch „Die CDU und CSU 1945–1950“ gab es noch anderes zu beanstanden. Ich hatte 1966 einen hundert Seiten umfassenden Beitrag über „Die Entwicklung der Berliner Parteien und Gewerkschaften von ihrer Neugründung 1945 bis zu ihrer Konstituierung als Landesverbände der westdeutschen Organisationen“ publiziert. Der Beitrag war im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprojektes „Berlin – Hauptstadtanspruch und Westintegration“ im Berliner Institut für politische Wissenschaft entstanden und veröffentlicht worden. Darin hatte ich ausführlich die Neugründung, Sonderentwicklung und Programmatik der CDU in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone abgehandelt, also einen Teilbereich der Beckerschen Themenstellung. Das kollegiale Arbeitsklima an der Universität Passau war stark gestört.
Diskreditierung meiner Forschungsarbeiten, 1989
Es war eine fachidiotische Unverschämtheit zu behaupten, ich hätte meine Studien über die CSU hauptsächlich aus Zeitungen und anderen gedruckten Quellen gespeist. Der Historiker Udo Wengst, später stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (2008–2012), schrieb 1989 in seinem Beitrag zur Festschrift für den Historiker Gerhard Schulz: „Als Grundlage dienten Mintzel lediglich parteiamtliche Publikationen, Zeitungen, Zeitschriften, Korrespondenzen sowie schließlich die Jahrbücher der Unionsparteien und einige wenige parteiinterne Unterlagen wie Rechenschaftsberichte und Organisationsberichte.“ Ich war empört über diese Ignoranz und niederträchtige Herabsetzung einer allgemein anerkannten Forschungsleistung. Der Anmerkungsapparat zu meinem ersten Werk über die CSU (1975 1. Aufl.; 1978 2. Aufl.) war ein Buch im Buche. Jeder, der die 2205 Anmerkungen auch nur auf die Schnelle durchsah, musste erkennen, dass ich mich auf zahlreiche unveröffentlichte Quellen stützen konnte. Auch meine „Geschichte der CSU“, die im Jahre 1977 erschienen war, entstand auf dieser breiten Basis bisher noch nicht publizierter Quellen. Die leichtfertige Behauptung von Wengst resultierte entweder aus einer allzu flüchtigen Lektüre oder er wollte absichtlich meine Forschungsleistung kleinmachen. Jedenfalls mangelte es diesem Historiker an intellektueller Redlichkeit. Ich wandte mich in der Sache an den Kollegen Hans Mommsen und fragte ihn, wie so eine Diskreditierung unter Historikern behandelt werde. In seiner Antwort schrieb Mommsen diese Praxis den „in letzter Zeit bedauerlicher Weise eingerissenen Abgrenzungsritualen [zu], die mit dem Lagerdenken in einem Teil des Faches zusammenhängen.“ Er beklagte die „sehr unbewegliche historische Fachwelt.“
Schreiben von Prof. Dr. Hans Mommsen an Prof. Dr. Albrecht Mintzel, 10.4.1990
Wengst wurde später von anderer Seite faktisch der Unwahrheit überführt. In der „Vorbemerkung“ zum späteren Findbuch für die „Sammlung Mintzel“ im Institut für Zeitgeschichte steht zu lesen: „Die Arbeiten Mintzels erregten auch wegen ihrer besonders breiten Quellenbasis Aufsehen. Seine Sammlung parteiinterner Dokumente entstand als Ergebnis umfassender, teilweise langwieriger Recherchen im Generalsekretariat und in der Landesgeschäftsstelle der CSU sowie in den Geschäftsstellen der Bezirksverbände. (…) Dieser Fundus an parteiinternen, zum Teil vertraulichen Dokumenten war für die Wissenschaft über Mintzels eigene Studien hinaus von großer Bedeutung (…) [Das] Parteiarchiv Alf Mintzels (bildete) gleichsam eine Art Ersatzüberlieferung und war so Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zur Geschichte der bayerischen Unionspartei.“ (Thomas Schlemmer).
Kollegen, die mit meinen Forschungen vertraut waren, rieten mir, nicht so dünnhäutig auf Fehlurteile zu reagieren. Wengst habe sich doch mit seiner unsachlichen Kritik selbst lächerlich gemacht. Und Beckers katholische Sicht auf die CSU sei es ebenfalls nicht wert, in diesem oder jenem Detail bloßgestellt zu werden. Ich sollte diese Kritiker nicht noch dadurch aufwerten, indem ich mich überhaupt damit befasste. Das mag so sein. Doch war ich damals über diese wissenschaftliche Unredlichkeit so erbost und zornig, dass ich in meinem autobiografischen Rückblick in puncto haltloser Kritiken meine Dünnhäutigkeit nicht verbergen kann. Mein protestantisches Arbeits- und Berufsethos forderten grundsätzlich wissenschaftliche Redlichkeit ein. Mir schwebte immer noch Max Webers Idealbild des Wissenschaftlers vor, das idealtypische Konstrukt eines „Geistesaristokraten“. Die Wirklichkeit sah anders aus.
Später schätzte ich diese ärgerlichen Vorgänge anders ein. Ich hätte mir einen weisen, abgeklärten Altmeister der Zeitgeschichte oder Politischen Soziologie als Coach gewünscht, um nicht in diese Fallen kleinkarierter Streitigkeiten zu laufen. Es waren keine Niederlagen in der Sache, sondern vor allem auf der psychisch-mentalen Ebene. Ich hätte in der Tat meine Arbeitskraft nicht mit solchen Nichtigkeiten vergeuden sollen. Auf der sachlichen Ebene hätte ich bedenken müssen, dass im großen Langzeitgeschehen gesellschaftlich-politischer Entwicklungen solche speziellen Streitfragen um das Wirken von Schäffer, Hundhammer und anderer lokaler und regionaler Heldenfiguren wissenschaftlich von zu geringer Bedeutung sind, um sich damit allzu lange aufzuhalten. Wen interessiert noch der akademische Weihrauch, der in Passau um Fritz Schäffer gewedelt wurde? Wer erinnert sich noch an die unredlichen Kritiken von Professoren? Wer sich ernsthaft und gründlich mit der Wissenschaftsgeschichte seines Faches und überhaupt mit Wissenschaftsgeschichte befasst hat, weiß, wie rasch solches Kleinklein in Vergessenheit gerät. Ich hätte mich in diese und andere „Passauereien“ nicht hineinziehen lassen sollen. Aber sie gehörten nun einmal zum katholischen sozial-moralischen Milieu, das sich damals noch mit viel klerikalen Weihrauch kräftig artikulierte.