30. Die Phalanx der katholischen „Streitkräfte“

Es war zu erwarten, dass die Expedition in das Innenleben der Universität zu einem aufregenden und strapaziösen Abenteuer der Wissenschaft werden würde. Der Antrag auf Abschaffung des Marienlogos hatte eine Doppelfunktion: Zum einen ging es um eine in der Sache vorbereitete und aus wissenschaftlicher Überzeugung vorgetragene Forderung. Zum anderen stellte der Antrag eine soziologische Intervention im Sinne einer experimentellen Aktion dar, um aus den Reaktionen zu erschließen, welche religiös-konfessionellen und säkulare Sinnwelten universitätsintern und -extern zum Vorschein kommen würden. Zu Anfang war nicht auszuschließen, dass das fragliche Emblem tatsächlich jeglichen religiös-konfessionellen Gehalt verloren hatte, also reines Dekor war, wie die Universitätsleitung behauptete, und der Antrag auf völliges Desinteresse stoßen würde. Der Antrag hätte als eine absurde und realitätsferne Forderung mit amtlicher Nichtbefassung beschieden werden können. Er hätte an einer allgemeinen säkularen Indifferenz scheitern und bestenfalls zu einem Lehrstück für die weitgehende Verflüchtigung religiös-konfessioneller Inhalte werden können. Der Autor wäre dann mit den seiner Aktion zugrundeliegenden Hypothesen gescheitert. Die beschwerliche Expedition hätte sich nicht gelohnt.
Es kam aber anders: Innerhalb und außerhalb der Universität traten vor allem katholische „Streitkräfte“ zur Gegenwehr und Abwehr auf den Plan. Die öffentlichen und nichtöffentlichen Reaktionen waren äußerst heftig. Sozialwissenschaft kann immer dann, wenn sie vermeintlich Selbstverständliches infrage stellt, zu einem gefährlichen Abenteuer werden. Ich will darauf noch ein paar Scheinwerfer richten.
Zu den schärfsten Widersachern und Verteidigern des Marienlogos gehörten, wie sich im Laufe der Auseinandersetzungen herausstellte, Professoren, die in katholischen Institutionen, Organisationen und Vereinen Mitglied waren und Führungsfunktionen inne hatten, so zum Beispiel der damalige Vorsitzende des Katholischen Hochschulkreises, „Alte Herren“ der katholischen Burschenschaft „Danubia“, Ehrenprofessoren kirchlicher Hochschulen, Repräsentanten der Görres-Gesellschaft und Mitglieder der Kommission für Zeitgeschichte der Katholischen Akademie in Bayern. Sie und Honoratioren aus der Stadt und aus dem Landkreis Passau bildeten, um es militärisch auszudrücken, geradezu eine Phalanx katholischer Streitkräfte. In ihren geschlossenen Zirkeln wurde kräftig über mich hergezogen.

Eine Verteidigungsstrategie der Kritiker war, das Emblem nicht inhaltlich unter historischen ikonografischen und vor allem ikonologischen Gesichtspunkten zu diskutieren, sondern mit Kritik an Formalien von dem eigentlichen Streit und seiner Kernforderung abzulenken. Bekennende Katholiken aus der Philosophischen Fakultät warfen mir vor, ich wisse nicht, was ein Siegel oder Wappen oder Emblem bedeute. Ich kämpfe mit falschen Begriffen und habe mich somit als Wissenschaftler selbst unglaubwürdig gemacht. Ich trete mit wissenschaftlichem Anspruch auf, hätte mich aber weder von Seiten der Geschichtswissenschaft noch der Emblematik darüber kundig gemacht, was ein Siegel bedeute (so laut Prof. Dr. Egon Boshof in: DIE ZEIT Nr. 52, 21.12.1990, S.18). Kollege Prof. Dr. jur.  Bernhard Haffke hatte jedoch auch in meinem Namen vom Universitätspräsidenten um Auskunft gebeten, welchen Rechtscharakter die Universitätsikone, was immer sie auch sei, trüge. Prof. Dr. jur. Otfried Seewald, ebenfalls Mitglied der Juristischen Fakultät, stieß in seinem Schreiben vom 28.01.1991 an den Präsidenten nach: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich – und zweckmäßigerweise wohl auch die übrigen Mitglieder des Senats – zur Vorbereitung (…) darüber informieren lassen könnten, welche Rechtsnatur das z. Z. in der Kritik befindliche >Siegel-Emblem< Ihrer Ansicht nach hat“.
Bezeichnenderweise blieben die Anfragen unklar beantwortet. Die Universitätsleitung musste sich offenbar selbst erst kundig machen. Der Sphragistiker der Philosophischen Fakultät unterrichtete den Präsidenten über den siegelkundlichen Charakter und warnte vor den rechtlichen Folgen einer Änderung. Der Inhaber der Professur für Historische Hilfswissenschaften kam zu dem tiefsinnigen Schluss: „Das Passauer Siegelbild hätte also auch dann nicht die geisteswissenschaftliche Bedeutung der >Maria vom Siege<, wenn man dies bei der Einführung des Siegelbildes aus sphragistischer Unkenntnis beabsichtigt hätte.“ Die Universitätsleitung hatte tatsächlich, wie wohl die meisten Mitglieder der Universität, Unterricht in Sphragistik nötig – auch ich. Boshof hätte somit so gut wie allen Wissenschaftlern der Universität wissenschaftliche Glaubwürdigkeit absprechen müssen. Es ging aber letztendlich nicht um den Rechtscharakter, sondern um die fragwürdige Traditionspflege mit dieser Ikone. Mit positivistischem Rechtsformalismus wurde die eigentliche Tiefendimension der Problematik ausgeblendet. Der Präsident hüllte sich gern in taktisches Schweigen.

Einer von denen, die mich universitätsöffentlich bloßzustellen versuchte, war der Emeritus im Fach Alte Geschichte, der am 4. Februar 2012 verstarb. Aus einer Todesanzeige ging hervor, dass dieser ehemalige Lehrstuhlinhaber (1980–2007) „Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ gewesen war. Aus einer anderen glaubwürdigen Quelle verlautete, der Althistoriker sei vom protestantischen zum katholischen Glauben konvertiert. Er hatte sich 1991 am Aschermittwoch vom Bischof das Aschenkreuz auf seine Stirne zeichnen lassen, was die besondere Aufmerksamkeit der „Passauer Neuen Presse“ gefunden hatte und mit einem Foto dokumentiert worden war (PNP Nr. 39, 15. 02.1991, S.21). In einem Nachruf (PNP Nr. 23, 09.02.2012, S. 33) hieß es: „Geprägt von einem starken christlichen Glauben forschte er auch über die Ausbreitung des Christentums in Bayern“. Auch für diesen Kollegen hatte das Marienlogo gewiss nicht nur dekorativen Charakter oder allein eine Traditionsfunktion. Kein Wunder, dass er so scharf reagiert hatte. Erst in späteren Jahren kam heraus, warum Universitätsprofessoren „ihre Maria“ hartnäckig und denunziatorisch verteidigt hatten. Im Nachhinein kam der eminent katholisch-konfessionelle Charakter der Abwehr in der Philosophischen Fakultät noch viel deutlicher zum Vorschein. Ich hörte wiederholt, selbst ein kirchenferner Katholik hätte es nicht gewagt, die Madonna anzugreifen. Im Kontrast dazu wurde ich meiner protestantischen Herkunft gewahr. Mein Protestantismus hatte zu religiös-konfessionellen Symbolen ein ganz anderes Verhältnis, vor allem zu einstmals gegenreformatorischen Kampfsymbolen. In den Auseinander-setzungen waren, ungeachtet vorherrschender säkularer Gleichgültigkeit, zwei konfessionelle Entwicklungen und Kulturen aufeinandergetroffen.

Entproblematisieren, Entkonfessionalisieren, Verharmlosen, Ausblenden

Aus der Philosophischen Fakultät erreichte mich unter anderen folgender Brief: 18.10.1994: „Am Wappen der Universität Passau hat mich bisher höchstens die m. E. nicht vollbefriedigende graphische Gestaltung gestört. Irgendeine symbolhafte Bedeutung oder ein Programm konnte ich darin nicht entdecken. Deshalb habe ich auch die von Ihnen begonnene Diskussion zwar aufmerksam verfolgt, aber bisher auch keine Veranlassung zu einer Meinungsäußerung gesehen, zumal es sich nach meiner Ansicht um höchst vorgestrige Probleme handelt. Wenn auch die Mariendarstellung im 16. und 17. Jahrhundert in einem kämpferischen Sinn gesehen worden sein mag, so sind doch seither nicht nur 3 Jahrhunderte vergangen, sondern, was ganz entscheidend ist, ganz gewaltiges Veränderungen im Denken der Menschen und in der Problemstellung bei der Bewältigung der Existenz erfolgt. Ich glaube, dass kaum jemand im Wappen etwas anderes sieht, als das Anknüpfen an die vorhergehende theologische Hochschule, es sei denn er ist oder wird ideologisch indoktriniert (…) Zum Schluss nun meinerseits eine Frage, ob das Problem wirklich den großen Aufwand an Geist, Zeit und Mühe lohnt und ob es nicht dringendere Fragen gibt, die der Mühe wert wären. Sie vertreten Ihre Meinung – ich habe mir erlaubt meine darzulegen und verbleibe mit freundlichen Grüßen. Professor Dr. Hans-Jörg Kellner.“

Er hatte ja Recht zu betonen, es gäbe gewaltige Veränderungen im Denken und dringendere Fragen, als sich mit dieser Mariendarstellung auseinanderzusetzen. Es wäre idiotisch, das zu übersehen. Aber gesellschaftliche und politische Konfliktherde setzen sich aus zahllosen Mikrowelten zusammen, deren kleine Probleme sich auf der Makroebene zu Brennpunkten entwickeln können. Kollege Kellner (1920-2015) stellte die Auseinandersetzung auf die Ebene eines bloßen Meinungsaustausches, als ginge es nur um persönliches Empfinden. Er stellte seine Behauptungen als Tatsachen hin, ohne sie empirisch zu begründen. „Höchst vorgestrige Probleme“? Die marianischen Maienandachten vor den Türen der Universität? Marie Himmelfahrt am 15. August jeden Jahres vor den Türen der Universität? Die „Marianische Kongregation“ in Passau? Angebliche Marienerscheinungen und Wallfahrten nach Altötting, Fatima und woanders hin?? Die vehementen marianischen Glaubensbekenntnisse aus der katholischen Passauer Bevölkerung – alles nur „höchst vorgestrige Probleme“? Nur ein „Anknüpfen an die vorherige theologische Hochschule? Kellner nahm auch nicht die katholisch-institutionellen und doktrinären Anlässe zur Kenntnis, welche die vormalige Hochschule erst 1950 veranlasst hatte, dieses marianische Logo einzuführen. Warum rief der Antrag, den Gebrauch der Ikone zu beenden, in der katholischen Bevölkerung Passaus so heftige Reaktionen hervor? Warum kämpften vor allem kirchentreue katholische Professoren für die Fortführung des Logos? Kellner blendete weite Bereiche katholisch-institutioneller und katholisch-dogmatischer Wirklichkeit aus, um seiner Meinung die Dignität eines Wahrheitsbeweises zu verleihen und andere als ideologisch indoktrinierte Vorgestrige zu denunzieren. Er bediente sich dabei der Techniken der Entproblematisierung, Verharmlosung und Ausblendung. Sein Fazit, er habe keine symbolhafte Bedeutung oder gar ein Programm darin entdecken können, drängt geradezu die Frage auf: Durch wie viel Blindheit oder Ignoranz darf sich ein Professor an der Universität Passau auszeichnen? Oder war es der blinde Fleck säkularer Gleichgültigkeit? „Deutschland braucht Mariens Hilfe“, eine Postwurfsendung an Passauer Haushalte, schien bei ihm nicht eingeworfen worden zu sein.

Deutschland braucht Mariens Hilfe / Lassen Sie diesen Blick auf sich ruhen! (Postwurfsendung an Passauer Haushalte)

Für ihn war anscheinend völlig unerheblich, was in einer preisgekrönten Passauer Dissertation über die „Maria vom Siege“ abgehandelt worden war. Forschungsergebnisse dieser Art wurden offenbar für folgenlose Nichtigkeiten gehalten. Wer liest schon Doktorarbeiten! Kellner war ein vielfach geehrter und renommierter Numismatiker. In Umkehrung seiner polemischen Frage drängte sich die Rückfrage auf, ob es nicht dringendere Fragen gäbe als Spezialfragen der Numismatik. Das wäre aber eine zu platte Retourkutsche. Kellner, ein gläubiger Katholik (SZ Nr.149, S. 14), war viele Jahre zweiter Vorsitzender der Kommission für bayerischen Landesgeschichte gewesen. Es könnte sich auch in seinem Fall um eine konfessionell getrimmte Verteidigung mit dem Mittel der Entproblematisierung und Verharmlosung gehandelt haben. Oder drückte sich in seiner Meinung religiös-konfessionelle Gleichgültigkeit aus?

Apropos „höchst vorgestrige Probleme!“ Oder doch brandaktuell? Der Spruch, der aus einem bayerischen Wallfahrtsgebetbuch von 1726 stammt, könnte auf einen immer noch hörbaren Nachhall historischer Konfliktlagen schließen lassen: „Laß man nur die Türkhen klagen / Wie Maria sie erschlagen.“ Die „Maria vom Siege“ der Universität Passau als christlich-abendländischer Auftrag, der als bedrohlich empfundenen Einwanderung aus islamischen Gebieten des Balkans und Vorderen Orients nach Deutschland Einhalt zu gebieten? Eine blitzschleudernde jesuitische Kampfmadonna gegen die angebliche Islamisierung Deutschlands? Macht die Balkanroute zu! Die „Maria vom Siege“ im Logo führen, aber bitte nichts dabei denken! Es ist ja nur Dekor!

Maria schleudert Blitze gegen die Türken in der Schlacht bei Lepanto

Vom Elend der römisch-katholischen Theologie in Passau

Die römische Kongregation für das Katholische Bildungswesen erklärte in ihrem Schreiben „A segunda“ vom 5. März 1988 aus Anlass des Marianischen Jahres 1987/88 zum Thema „Die Jungfrau Maria in der intellektuellen und spirituellen Ausbildung“:

„Maria – jene >Frau< der Bibel – gehört eng zum Heilsmysterium Christi und ist daher in besonderer Weise auch im Mysterium der Kirche gegenwärtig. Da >die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament (…) für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit< ist, denken wir bei dieser besonderen Gegenwart der Gottesmutter im Geheimnis der Kirche an die einzigartige Beziehung zwischen dieser >Frau< und der ganzen Menschheitsfamilie“. Und so weiter! (http:/kathpedia.com/index.php?title-Marianisches_Jahr 13.03.2016).

Man braucht kein Mitglied der römisch-katholischen Kirche und ihrer Vorfeldorganisationen zu sein, um zu wissen, welche zentrale heilsgeschichtliche Stellung und welches Mysterium die römisch-katholische Dogmatik der Gottesmutter zuspricht. Jeder katholische Theologe weiß, welche spirituelle Bedeutung Maria in der Glaubenslehre, der Glaubenspraxis und der katholischen Volksfrömmigkeit hat. Die Passauer Neue Presse liefert dafür fast täglich Beispiele. Jeder Interessierte kann im katholischen Katechismus nachlesen, was „die Lehre von Maria“ (die Mariologie) dazu sagt. „Die Kirche ist Jungfrau und Mutter“. Kardinal Ratzinger hob „das Ineinander von Maria und Kirche“ hervor womit sich die katholische Mariologie und die Lehre von der una sancta, von der heiligen römisch-katholischen Kirche, von anderen Glaubenslehren scharf abgrenzt. Auf den kardinalen Punkt gebracht: Wer die Ikone Maria infrage stellt, Dekor oder Nicht-Dekor, und ihre Abschaffung fordert, wendet sich automatisch gegen die römisch-katholische Kirche. Professoren der Theologisch-Katholischen Fakultät übten, indem sie den universitätsamtlichen Gebrauch rechtspositivistisch zur Formalie erklärten und dem säkularen Argument folgten, es handele sich um ein reines Traditionsdekor, zugespitzt gesagt, Verrat an ihrer eigenen theologischen Dogmatik. Sie entzogen sich in den mehr oder weniger verdeckten Auseinander-setzungen einer theologischen Diskussion. Katholische Christologie, Mariologie und die Lehre von der Kirche, die sie in den Hörsälen lehrten, schnitten sie kurzerhand mit dem Zwick-Zwack-Argument der „akademischen Passauer Traditionswahrung“ ab und verleugneten damit fundamentale Ausführungen und Definitionen des Weltkatechismus zur Mariologie, zur Existenz und zum Wirken der Gottesmutter. In ihren Predigten huldigten sie gläubig der Gottesmutter, in der Universität spielten sie das religiöse Symbol herunter. Die ikonografische und theologisch-ikonologische Problematik wurde auf den Rechtscharakter des Emblems („Siegel“) zurückgeschnitten und eine andere Herangehensweise als absurd abgetan. Sie versuchten die Ikone im Universitätsemblem für den Alltagsgebrauch zu entschärfen und setzten mit Verharmlosungen außer Kraft, was sie in Lehre und Predigt als ewige Glaubenstatsachen ausgaben. Sie merkten anscheinend nicht, dass sie mit ihrer verkürzenden Argumentation der verbreiteten Indifferenz gegenüber religiös-konfessioneller Symbolik Vorschub leisteten. Das intellektuelle Niveau war, sieht man von wenigen Ausnahmen ab, für eine Universität beschämend.

Nach ihrer Ansicht gefragt, bedienten sich die Theologen eines argumentativen Kniffs, indem sie sich hinter einer Mehrheit in Stadt und Land versteckten. Sie verkrochen sich hinter den veröffentlichten Stellungnahmen von Passauer Bürgern und verwiesen auf Reaktionen der katholischen Bevölkerung. Es fehlte ihnen offenbar an Mut, die eigene Ansicht preiszugeben und klipp und klar Position zu beziehen. Es fehlte in den vagen Antworten ein theologisch „bekennendes Ich“, ein mutiges „Ich“, eine persönliche Aussage. Die Theologen betrieben ihr Versteckspiel zumindest dann, wenn sie sich nicht unter ihresgleichen bewegten und sich nicht in der Deckung einer Gruppe Gleichgesinnter wähnten. Wenn sie überhaupt zu einer Verteidigung ihrer Madonna ansetzten, dann ausschließlich unter dem Blickwinkel einer lokalen und regionalen Tradition, die glorifiziert, aber nicht weiter hinterfragt wurde. Sie befanden sich in einer argumentativen Zwickmühle und duckten sich weg. Die Ikone der „Maria vom Siege“ als reines Dekor und folkloristischen Kulturtand hinzustellen war ebenso fraglich, wie sie zum akademischen Traditionssymbol zu veredeln. Erst recht hätte eine Verteidigung aus der katholischen Glaubenslehre heraus im Raum freier Wissenschaft den weiteren Gebrauch obsolet gemacht. Sie zogen es vor, in der Öffentlichkeit zu schweigen.

O Heilige Simplicitas!

Dafür, wie dürftig theologisch-professorale Einlassungen mitunter waren, bot insbesondere der Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Exegese, Prof. Dr. Friedrich Schröger (1931–1994), ein aufschlussreiches Beispiel. In seinen Lehrveranstaltungen, so berichteten Studenten der Theologie, zog Schröger im Wintersemester 1990/91 kräftig über uns Kollegen her, die wir beim Senat der Universität Passau den Antrag gestellt hatten, das Marienlogo aus dem Verkehr zu ziehen. Schröger verteidigte die Ikone im Siegel und Emblem der Universität mit treuherzigen Traditionsargumenten. Sie gehöre nun einmal zur Hochschultradition Passaus. Professoren, die nach Passau berufen würden, müssten die katholisch-kulturelle Landschaft und ihre Symbole akzeptieren. Die Universität Passau sei ein Bestandteil dieses Kulturraumes, folglich stünde es ihr gut an, ein akademisches Traditionssymbol dieses Ortes zu führen. Eine neugegründete Universität habe sich der katholischen Tradition und ihrer Symbole anzubequemen. Wer sich daran störe, brauche nicht nach Passau zu kommen oder könne sich wegbewerben. Auch die Devotionalien seien nicht anstößig. In Wallfahrtsorten würden solche Dinge wie Anstecknadeln, Bierkrüge und andere Gegenstände mit Heiligenbildern vertrieben. Warum sollte das Siegelemblem mit der „Maria vom Siege“ nicht auf Artikeln der Universität abgebildet werden? Katholiken stießen sich nicht daran. Überhaupt sei Tradition ein wichtiges Element. Die neugegründete Universität habe sich nun einmal in die katholische Sinn- und Symbolwelt einzufügen. Wer das hinterfrage, der störe, oder, noch krasser, der sei ein Spinner. Diese Selbstherrlichkeit des regionalen und lokalen Katholizismus reichte bis weit in die Universität hinein. Aber es gab auch, was ich nicht genug hervorheben kann, unter den Kollegen bekennende Katholiken, die mein Bestreben verstanden und als eine legitime Aufdeckung der Verhältnisse anerkannten Zu ihnen gehörte mein Kollege Prof. Dr. Heinrich Oberreuter. Ihm bescherte ich in der Fakultät und in institutionellen Bereichen des Katholizismus Unbequem-lichkeiten und den Vorwurf, er habe meine Berufung an die Universität Passau befürwortet. Er und wenige andere sprachen sich in den zuständigen Universitätsgremien 1990/91 dafür aus, das religiös-konfessionell belastete Logo aus dem Verkehr zu ziehen.

Die evangelisch-lutherische Amtskirche will sich „nicht in die Feldschlacht begeben“

Die evangelisch-lutherische Amtskirche von Passau verfolgte den Streit, hielt sich jedoch bedeckt. Sie nahm dazu nicht öffentlich Stellung. Von Amtsinhaber zu Amtsinhaber gab es indes persönlichen Kontakt und indirekte Unterstützung. Der Dekan der evangelisch-lutherischen Kirche Passau, Albert Strohm, bat um „ein gewisses Verständnis dafür, dass sich unsereiner an dieser Stelle nicht in die Feldschlacht begeben“ könne, versorgte mich aber mit neuestem Material zur theologischen Auseinandersetzung der evangelischen Kirche mit der katholischen Marienverehrung und Mariologie. (Schreiben mit Anlage vom 16.10.1992 an den Verfasser)

Man könnte sagen, Dekan Strohm munitionierte mich für die „Feldschlacht“ auf dem Gelände der Universität, an der er als kirchlicher Repräsentant der Evangelischen selbst nicht teilnehmen wollte. Kenner der konfessionellen sozial-moralischen Milieus schätzten die Passauer Verhältnisse so ein: Im protestantischen Milieu gäbe es eine große Anpassungsbereitschaft und -willigkeit an das katholische Milieu. Die meisten Protestanten seien prononciert konservativ. Sie wagten nicht sich in der katholischen Umwelt laut zu äußern. Sie hätten zudem die Neigung, sich selbstgenügsam in der katholischen Alltagswelt abzukapseln. Obschon man friedlich zusammenlebe, hätten es Protestanten in dieser dominant katholischen Umwelt nun einmal schwer. Protestanten hafte in der katholischen Atmosphäre Passaus, trotz gewisser Veränderungen und Lockerungen noch immer etwas Fremdes an. Eine öffentliche Stellungnahme oder gar offene Unterstützung von Seiten evangelischer Christen sei nicht zu erwarten. In privaten Gesprächen erfuhr ich allerdings viel Zustimmung.

Von evangelisch-kirchlicher Seite nahm lediglich Studentenpfarrer Rüdiger Kretschmann als Betreuer der Evangelischen Studentengemeinde Passau (esg) Stellung, und dies auch nur universitätsintern. Er thematisierte im Mitteilungsblatt der „esg“ das Streitthema „Maria vom Siege“ und lud im Rahmen der „esg“ zu „ökumenischen Gesprächen“ mit Professor Dr. Schröger, mir und Seminaristen ein. Im Mitteilungsblatt erschienen hierzu Informationsvorgaben, in denen auf die kurze akademische Geschichte dieses vermeintlich alteingeführten Logos und seinen fraglichen Gebrauch hingewiesen wurde. Unter der Überschrift „Die >Maria vom Siege< mußte weichen“ wurde mit einer unverkennbaren Genugtuung darauf aufmerksam gemacht, dass das neue Vorlesungsverzeichnis ohne Uni-Logo erschienen war. In einem Kasten wurde redaktionell hervorgehoben, dass „die Katholisch-Theologische Hochschule in Passau (…) das Emblem erst im Tausch gegen das bayerische Staatswappen 1950 eingeführt (hatte). „Es war in dem Jahr“, so wurde besonders betont, „als Papst Pius XII. das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel formulierte. Damit sei „das marianische Motiv dogmatisch neu besetzt worden, nachdem es als Kampfsymbol im Mittelalter gegen Türken, im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation gegen den Protestantismus eingesetzt worden war.“ Studentenpfarrer Kretschmann schrieb gerade dieser Ikone die Eigenschaft zu, dogmatisch neu aufgeladen worden zu sein. Insoweit hatte der „Passauer Madonnen-Streit“ doch auch in protestantischen Kreisen eine wenngleich nur sehr gedämpfte Resonanz hervorgerufen.

David gegen Goliath

Schon kurz nach dem Paukenschlag des Antrages unterzeichneten drei Dutzend Mitglieder aus verschiedenen Fakultäten ein Formular, das wir gegen die weitere Verwendung der „Maria von Siege“ in Umlauf gebracht hatten, und unterstützten unsere Aktion.
Der hohe öffentliche Aufmerksamkeitswert, den der universitätsinterne Streit im Nu gewann, bestätigte die Brisanz des Logos und seines Symbols. Über den Akteur Mintzel schwappte zweimal eine Welle der öffentlichen Kritik hinweg. Passauer Katholiken bedachten mich in Leserbriefen an die Passauer Neue Presse mit „Ehrenbezeichnungen wie „Spinner“, „Störer“, „Narr“, „Teufel“ und „Freimaurer“. Mir wurde vorgehalten, ich habe den Sinn der Wissenschaft missverstanden. „Es (sei) erschütternd, anzusehen, wie alles, was an christlichen Glauben, vor allem an die fundamentalen Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche erinnert, aus dem Bewusstsein der Menschen verbannt oder lächerlich gemacht wird.“ „Wer die Geheime Offenbarung des Apostel Johannes liest, dem wird klar, wer hier am Werk ist und in welcher Zeit wir uns befinden.“ „Die Bezeichnung >Maria vom Siege< sei wohl darauf zurückzuführen, dass sie durch ihr klares Ja zu Gottes Plan das Böse überwunden hat. Darum kann und soll sie allen Menschen dieser Erde Vorbild sein. Wir nennen sie auch Mittlerin und Fürsprecherin bei Gott und rufen in unseren Sorgen und Nöten zu ihr. Was hat das mit dem Kampf gegen Andersgläubige zu tun“.
Oder auf einer Postkarte an mich vom 1. November 1990: „Der Umweltengel als Emblem für unsere Universität wäre Ihnen wohl lieber, Sie rote Sau!“

Postkarte an die „rote Sau“ Prof. Dr. Albrecht Mintzel vom 01.11.1990

Professoren im Allgemeinen und Soziologen wie Alf Mintzel im Besonderen sind in Passau so überflüssig wie ein Kropf.“ In dem Antrag, das Logo mit der „Maria vom Siege“ nicht mehr zu verwenden, wurde ein Angriff auf die Patrona Bavaria gesehen. „Das Land steht unterm Schutz der Mutter Gottes“, hieß es in Leserbriefen an die „Passauer Neue Presse“. Der Antrag und „die gesamte Angelegenheit (sei) ein Skandal erster Größenordnung.“ „Die Universitätsleitung und ggf. das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus sollte den beiden Herren [den Professoren Alf Mintzel und Bernhard Haffke – A.M.] verbal auf die Finger klopfen, die die Freiheit von Geist, Forschung und Lehre gründlich missverstanden haben.“ Ein ortsansässiger Organisator der Wallfahrtsreisen zu den angeblichen Marienerscheinungen in Medjugorje schrieb in seinem Leserbrief: „Sehr traurig stimmt mich aber, dass es Ihnen nötig erscheint, >Maria vom Siege< wissenschaftlich zu erforschen und fachwissenschaftlich beurteilen zu lassen. Gehen Sie doch aus Ihrem Hause (in) die katholische Fakultät und schlagen Sie die Heilige Schrift auf – die Bedeutung Mariens wird Ihnen schnell klar sein werden: Am Anfang ist Maria als Feindin des Satans angekündigt“- und so weiter. „Oder machen Sie es sich einfacher: Fahren Sie, anstelle die Bibel aufzuschlagen, im Rahmen der von Ihnen so geliebten Experimente in die tiefsten Winkel Niederbayerns zu einfachen, gläubigen Menschen, vielleicht zu einem armen, alten Mütterlein, das schon lange den Rosenkranz betet.“

„Uns erschien die ehrwürdige Muttergottes“. Zeitungsausschnitte aus der Passauer Neuen Presse 1990/91

Die schwersten Kaliber der öffentlichen Diskriminierung und spöttischen Belehrung kamen aus dem Zwischenbereich von Universität und sozialer Umwelt. Insbesondere im Passauer Stadtmagazin „Einblicke“ wurden in elaborierten Beiträgen alle klassischen Methoden der persönlichen Verunglimpfung angewandt: unglaubwürdig machen, lächerlich machen, bloßstellen, karikieren, Charaktermängel nachsagen, stigmatisieren, entwürdigen, an den Pranger stellen. „Der Brillenträger will die Madonna im Siegel der Universität Passau nicht anerkennen.“ Nach dem Muster „Wanted“ wurde ein Porträtbild abgedruckt. Ich wurde als ein Mann des Teufels bezeichnet, der die Wissenschaft „falsch“ verstehe und deshalb sein Recht verwirkt habe, an der Universität Passau zu lehren. Auf den „Teufel“ Mintzel wurde auf der Straße mit den Fingern gezeigt. Das ist er! An den katholischen Stammtischen kochte der „Volkszorn“. Verbalaggressionen entluden sich in Drohanrufen am Lehrstuhl. Meine Sekretärin, einer braven Katholikin, wurde mit Beschimpfungen überhäuft. In der Passauer Neuen Presse wurde ich in Leserbriefen aufgefordert, Bayern zu verlassen und „nach drüben zu gehen“, das hieß in die Deutsche Demokratische Republik umzuziehen. Die katholische Kanaille schoss ihre Fäkalien aus allen Kanonen.

Die alten Strickmuster der Diffamierung und Ausgrenzung funktionierten auch im akademischen Betrieb. Bis weit in die Universität hinein wurde versucht, mich auszugrenzen. Katholische Kollegen verteidigten ihre Madonna mit Zähnen und Klauen gegen den protestantischen Störer. Sie hielten die „Immaculada militante“ für ein Logo, das auch einer Universität gut anstünde, symbolisiere es doch den Kampf um die „Wahrheit“. Jede geschichtsklitternde Umdeutung war den Glaubenseiferern recht, um die Madonna zu retten. Niederbayern lässt grüßen! Der Präsident der Universität meinte im offiziellen Gespräch, ich solle die Universität wechseln, wenn mir das Logo nicht passe, ich solle mich an eine andere Universität bewerben. Eine halbe Ausweisung nach historischen Mustern, die Gebärde der Macht, wenn die Argumente knapp werden. Meine Vorfahren Mintzel, lutherische und calvinistische Pfarrer, Schulmeister und Buchdrucker, waren im Zuge der Rekatholisierung der Oberpfalz 1622/23 ihrer Ämter enthoben und ausgewiesen worden. Ihnen war ein Exulanten- und Migrantenschicksal auferlegt worden. Präsident Pollok zeichnete als Herausgeber der universitätsamtlichen „Nachrichten und Berichte“, in denen nicht ein Wort über die Auseinandersetzungen veröffentlicht werden durfte. Pollok übte direkt Zensur aus. Er verhinderte den Abdruck eines Beitrages, den ein Kollege aus der Katholisch-Theologischen Fakultät zu strittigen Fragen des Symbolcharakters der „Maria vom Siege“ verfasst hatte. Horst Kämmerer, der Pressereferent, gab mir zu verstehen, es genüge schon ein presseamtlicher Hinweis allein auf die Tatsache, es sei ein Streit um das Logo im Gange, und er müsse er seinen Hut nehmen. Über den „Kampf um die Wahrheit“ durfte in den „Nachrichten und Berichten“ der Universität nichts verlauten. Mit der „Maria vom Siege“ hatte die Freiheit der Wissenschaft ein Ende. Die Universitätsleitung praktizierte eine Redaktionslinie, die der Chefredakteur der Passauer Neuen Presse, Erwin Janik, in den 1970er und 1980er Jahren verfolgt hatte: Sie boykottierte eine Berichterstattung über unbequeme und unerwünschte Auseinandersetzungen. Es sollte nichts nach draußen verlauten. Innen wollte sie alles unter den Teppich kehren. Die Universitätsleitung verhielt sich wie ein autoritäres Regime. Ich begegnete dem presseamtlichen Boykott mit wissenschaftlichen Publikationen über diesen Streit. Hinter den idyllischen Fassaden von Universitäten lauerten noch die alten weltanschaulichen Dämonen.

Die paternalistische Einmischung des „Exegeten“ Hans Maier

Hans Maier, der ehemalige Staatsminister für Wissenschaft Unterricht und Kultus, mischte sich aus Anlass seiner Ehrenpromotion in einer Akademischen Feier am 17. Dezember 1991 in den Streit ein (PNP Nr. 292, 19. 12. 1991, S. 27). Er hob in paternalistischer Weise seine Sicht der Dinge hervor:
„Sie sehen, die Kirche hat kräftige bauliche Hilfe geleistet in den Anfängen, und unter diesem Gesichtspunkt sehe ich ein wenig den Streit um das Passauer Universitätssiegel. Ich glaube schon, dass diese Hilfestellung der Kirche sich auch in einem Siegel ausdrücken darf. Aber wer Mühe hat mit dem Siegel, dem will ich mit einem kleinen exegetischen Hinweis unter die Arme greifen. Der Drache, den Maria hier auf diesem Universitätssiegel erlegt, ist natürlich ein ganz besonderer Drache. Er ist für mich ein Symbol der Unvernunft, der Torheit, der gepanzerten Verstocktheit, des hartleibigen Eigensinns, die man in einer Universitätsstadt wohl bekämpfen darf, ja sogar bekämpfen muss, wenn förderliche akademische Wissenschaft aus dieser Universität hervorkommen soll.“

Was autorisierte den ehemaligen bayerischen Kultusminister und Präsidenten des Deutschen Katholikentages seine private Sinndeutung als verbindliche zum Besten zu geben? Setzte er aus durchsichtigen Gründen nicht nur eine weitere Privatexegese hinzu, um das fragwürdige Emblem zu rechtfertigen, das zu seiner Amtszeit vom bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus amtlich abgesegnet worden war? Wem wollte er mit seiner Einmischung unter die Arme greifen? Dem Sozialwissenschaftler und Intellektuellen Mintzel? Oder wollte er mit seiner Exegese auf das stockkatholische Milieu Passaus hinweisen, auf dessen „gepanzerte Verstocktheit“ und auf dessen „hartleibigen Eigensinn“? Dann hätte er das Logo als einen Auftrag an die Universität Passau umgedeutet, den römisch-katholischen Eigensinn und die Passauer Verstocktheit zu bekämpfen. Auch Maiers private Sinndeutung war ein Beispiel der Beliebigkeit, die an der Universität grassierte und zu keiner Lösung des Problems führen konnte. Er wollte wohl der Universitätsleitung zur Hilfe kommen, die im Streitfall unbeholfen reagierte und sich darin wiederholte, stumpfsinnig und verstockt auf die hochschulgeschichtliche Tradition zu verweisen, die in dem Logo angeblich zum Ausdruck gebracht werde. Maiers Absicht war es, die angeblich harmlose Marien-Ikone zu verteidigen. Seine Einmischung kam nicht nur aus dem Munde des ehemaligen bayerischen Kultusministers, in dessen Amtszeit das Logo genehmigt und in seiner damals kultusministeriell gemeinten Bedeutung ausdrücklich bestimmt worden war, sondern auch aus dem Mund des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Katholikentages. Wer Maiers Autobiografie „Böse Jahre, gute Jahre“ (2013) genau liest, dem kann nicht entgehen, dass vor der versammelten Universität der Katholik Maier gesprochen hatte. Seine Einlassung betraf die höchste Heilige der katholischen Kirche. Maier erwies den Verteidigern einen Bärendienst, als er sich an der konfessionellen Wiederaufladung des Logos als religiöses Symbol beteiligte. Die universitätsamtliche Behauptung, es drehe sich bei der Maria um reines Dekor, bestätigte Maier unfreiwillig einmal mehr als unhaltbar.

Das Ende des unzeitgemäßen Streites

Der sogenannte Madonnen-Streit der Universität Passau ist ausgestanden. Die Universitätsleitung ließ im Jahre 2003 von einem professionellen Designer ein neues Logo entwerfen, das seither von der gesamten Universität in Gebrauch genommen wird. Die bischöflichen Einladungen aller (!) Universitätsprofessoren und ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Teilnahme an der Fronleichnamsprozession wurden nicht mehr amtlich via Universitätsleitung verschickt. Der neu gewählte Präsident der Universität Passau, Prof. Dr. Freitag, entfernte aus seinem Editorial zum Uni-Magazin „Campus“ das Marienlogo, das der alte Präsident noch als Aureole für seines benutzt hatte. Die bischöflichen Sondereinladungen der Universitätsprofessoren, ihrer Gattinnen und Lebensgefährten sowie ausgewählter Mitglieder der Verwaltungsspitze zu einem gemeinsamen „Abendmahl“ wurden eingestellt. Bischöfliche Begründung: Das sei „nicht mehr zeitgemäß“. Als der neue Passauer Bischof nach seinem Amtsantritt im Sommer 2014 die Universität besuchte, betonte der Präsident im Gespräch, die Universität pflege einen „intellektuellen Dialog mit den Religionen“. Die Zeit einseitiger Vereinnahmung der Universität durch katholische Emblem-, Bild- und Devotionalien-Politik ging zu Ende. „David“ Mintzel hatte mit seiner intellektuellen Steinschleuder die Schwachstellen des katholischen Traditionalismus getroffen. Die „Bayerische Staatszeitung“ hatte mich gegen die falschen Marienverehrer in Schutz genommen, nicht die Universität, die noch heute so tut, als habe es den Streit nie gegeben.

Der damalige Pressereferent der Universität, Dr. Horst Kämmerer, der durch den täglichen amtlichen Kontakt seinen Dienstherrn sehr gut kannte und einzuschätzen wusste, äußerte in einem persönlichen Gespräch mit mir sinngemäß: Unter Polloks langer Regentschaft als Präsident wären die Führungsstrukturen verkrustet. Pollok sei eine autoritäre Person gewesen, aus der man letzten Endes nicht schlau geworden sei. Oberstes Prinzip sei gewesen, dass in der Universität nicht gestritten werde und es die anderorts üblichen Konflikte in Passau nicht gebe. Des Präsidenten Ziel sei gewesen, aus der Universität Passau eine besondere zu machen, vor allem eine ruhige Arbeitsuniversität. Der Madonnen-Streit sei gegen dieses Grundprinzip der Universitätsführung gelaufen und auch deshalb auf scharfe Ablehnung gestoßen. Es sei aber ein Effekt eingetreten: „50 Prozent hätten daraus gelernt, 50 Prozent nicht“. Ich hätte mit meinem Vorstoß einen Erfolg erzielt, es habe sich etwas verändert. (Notizen & Skizzen, Band 5, 30.08.1997).

Fazit

Eine universitätsinterne Umfrage zum Universitätsemblem ergab 1994 Folgendes: Auf die Frage: „Würden Sie gern sehen, wenn die Universität ein anderes, konfessionsneutrales Logo wählen würde, antworteten bei einem außergewöhnlich hohen Fragebogenrücklauf von 53 Prozent immerhin 36,1 Prozent der Befragten mit „Ja“, 28,8 Prozent mit „Nein“, 20,7 Prozent zeigten sich “gleichgültig“, unentschieden immerhin14,4 Prozent.
Die madonnengezierten Devotionalien der Universität hielten 2,6 Prozent der Befragten für inakzeptabel, 14,4 Prozent für unpassend, 6,6 Prozent für Missbrauch, 18,9 Prozent für Folklore, 10,7 Prozent war es egal, 6,6 Prozent meinet „anything goes“.
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigten klar, dass sich die meisten Mitglieder der Universität über dieses Symbol nicht mit ihrer Universität identifizierten. Im kognitiven System kamen aber zugleich typische Mentalitätssperren zum Ausdruck. Prof. Dr. jur. Michael Kobler, erklärter Befürworter religiöser Symbole im modernen Wissenschaftsbereich, stellte in einem gedruckten und von ihm verteilten Flugblatt fest: „Mintzel hat als Streiter (…) wider das apokalyptische Weib im Siegel der Universität Passau einen klaren antifeministischen Teilerfolg erzielt: Das Siegel ist vom Umschlag des Vorlesungsverzeichnisses verschwunden. Die Apokalypse im übrigen wird sich nicht aufhalten lassen.“

In der Alltagswirklichkeit und Alltagswelt „Universität“ existieren wie in den Sinnwelten nebenan dumpfer Traditionalismus, säkulare Blindheit und/oder Indifferenz gegen über religiösen Symbolen, Ignoranz, religiös-konfessionelle Weltsicht, eifernder römisch-katholischer Fundamentalismus, Rationalismus und Irrationalismus nebeneinander. In der Frage des römisch-katholischen Glaubens- und Kultsymbols konnten die fragmentierten Sinnwelten über den wissenschaftlichen Diskurs nicht mit einander versöhnt, geschweige denn eine inhaltliche Lösung gefunden werden. Es blieb nur der Weg einer pragmatischen Entscheidung offen, nämlich Konsens durch Verfahren herzustellen. Das Logo und die Devotionalien wurden faktisch und generell abgeschafft und ein neues Logo kreiert. So ließen sich im sozialen System der Universität Harmoniebedürfnisse besser befriedigen als über den im kognitiven System der Universität unlösbaren wissenschaftlichen Streit.
Meine sozialwissenschaftliche Intervention hat sich gelohnt.

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