34. Kosmische Schauspiele und menschliche Ängste (I) – Kometen und Asteroiden (1653/1997)

Astronomische und astrologische Schriften aus der Mintzelschen Buchdruckerei

 Seit alters her haben kosmische Schauspiele wie Sonnen- und Mondfinsternisse, merkwürdige Planetenkonstellationen, Kometen, Sternschnuppenschauer und Feuerbälle die Menschen fasziniert, beunruhigt, verängstigt und zu astronomischen Beobachtungen und Weltdeutungen angeregt. Die praktische Astronomie der Vorzeit und die himmelskundlichen Kenntnisse späterer Zeiten dienten der Lebensbewältigung und dem Überleben in einer übermächtigen Natur und prägten menschliche Kulturen. Die atemberaubenden Erkundungen des Kosmos mit großen Teleskopen und Raumsonden, die völlig neue Bilder aus den unfassbaren Weiten des Weltalls lieferten, versetzten Menschen nicht nur in Staunen, sondern nährten gleichzeitig Fantasien über die Existenz von bizarr gestalteten Aliens. Teleskope und Raumfahrt brachten auch die Gefahren näher in den Blick, die der Erde aus dem Weltall drohen. Ich verfolgte stets mit großem Interesse die Fortschritte in der Weltraumforschung und die Entwicklung kosmologischer Theorien. Die rasanten und großartigen Erkenntnisfortschritte, die der kolossale Einsatz von Forschungsmitteln auf diesen Gebieten ermöglichte, konfrontierten mich dabei oft schmerzlich mit der kümmerlichen und entmutigenden Forschungssituation im Fach Soziologie.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurden in der Mintzelschen Buchdruckerei in Leipzig und in Hof an der Saale eine Reihe astronomischer und astrologischer Schriften gedruckt, darunter auch eine von Johannes Keppler (1629). In den Jahren 1653/54 veranlassten zwei kosmische Ereignisse, ein vagabundierender Komet (1652/53) und eine totale Sonnenfinsternis (2. August 1654), Mathematiker und Astronomen dazu, sie zu beschreiben und ihre Landsleute darüber zu unterrichten, wie diese Himmelserscheinungen zu erklären und zu deuten seien. Der Hofer Mathematiker und Theologe Jacob Ellrod gab sein Traktat über den Kometen 1653 in Hof bei Johann Albrecht Mintzel (1600-1653) in Druck. Ein Jahr später veröffentlichte der Straßburger Mathematiker Eberhard Welper in Straßburg zur Erklärung und „nützlichen Vorsehung“, wie er sagte, eine „Beschreibung der ungewöhnlich großen Sonnen-Finsternis“. Wie so oft in jener Zeit, in der Urheberrechte wenig Schutz fanden, wurde Welpers Traktat 1654 in Hof wegen seines furchterregenden Inhalts in der Mintzelschen Buchdruckerei nachgedruckt. Den Raubdruck dürfte der Hofer Mathematiker Ellrod veranlasst habe, der Welpers Traktat redaktionell bearbeitete und die sensationellen Teile heraushob. Ellrods und Welpers Schriften bestanden aus einer für ihre Zeit typischen Mischung aus Astronomie, Astrologie, Theologie und praktischen Folgerungen daraus. Vor allem letztere sind für den heutigen Leser besonders aufschlussreich, weil sie uns vor Augen führen, welche Ängste und Schrecken die Menschen früher angesichts solcher Himmelserscheinungen empfanden und welche Maßnahmen sie gegen vermeintlich drohende Übel ergriffen. Als Anfang Dezember 1652 ein Komet erschien, wurde den Hofer Bürgern angst und bange. Im August 1654 ließ sie die Sonnenfinsternis sogar befürchten, dass der Weltuntergang und das Jüngste Gericht bevorstünden. Aus den Mintzelschen Druckwerken und anderen lokalen Quellen lassen sich jene Tage und Ereignisse bis ins Detail erschließen und nacherleben. Noch lange füllten zahlreiche astrologische Kalender mit merkwürdigen Prognosticae die Regale. Die Druckereien verbreiteten in zahlreichen Werken diese abergläubischen Schreckensgeschichten und düsteren Vorhersagen. Diese fanden einen guten Absatz. Auch die Mintzelsche Druckerei profitierte von diesen kleinen „Rennern“ auf dem Buchmarkt.

[Abbildung: Frontispiz zu Jacob Ellrod: Memoria Quadripartita, Cometae, Hof 1653. Gedruckt und verlegt von Johann Albrecht Mintzel]

[Abbildung: Tietelblatt zu Jacob Ellrod: Memoria Quadripartita, Cometae, Hof 1653. Gedruckt und verlegt von Johann Albrecht Mintzel]

[Abbildung: Prognosticon Astronomicum Et Astrologicum, Hof 1653. Gedruckt und verlegt von Johann Albrecht Mintzel]

Im Jahre 1997 wurde ich Augenzeuge eines kosmischen Jahrtausendereignisses, als der Komet Hale-Bopp aus den Tiefen des Weltalls wiederkehrte, und am 11. August 1999 erlebte ich eine totale Sonnenfinsternis, die letzte im zweiten Jahrtausend. Ich beobachtete, was beide Himmelserscheinungen trotz des völlig veränderten astrophysikalischen und kosmologischen Weltbildes bei angeblich aufgeklärten Menschen auslösten. Obskure Fantasien, Panik, Weltuntergangsängste und Fluchtgedanken trieben sie um und sogar in den Tod. Aus den alten Schriften und über die Ereignisse und Vorgänge, die ich in der jüngsten Vergangenheit als Augenzeuge und Zeitzeuge erlebt habe, will ich in diesem und im nächsten Kapiteln berichten.

Kometen galten von jeher und auch noch im 17. Jahrhundert als Unglücksboten. Tauchten sie am Himmel auf, lösten sie unter den Menschen Furcht und Schrecken aus. Die Menschen, die solche Himmelserscheinungen noch nicht naturwissenschaftlich zu erklären vermochten, deuteten Sonnen- und Mondfinsternisse, besondere Planetenkonstellationen, Kometen und sogar seltsame Wolkenbildungen als Vorzeichen für Übel aller Art. So glaubten sie, dass diese Himmelserscheinungen für Hochwasserkatastrophen, Feuersbrünste, Vulkanausbrüche, schreckliche Unwetter, Epidemien und Massensterben verantwortlich sein konnten. Das Erscheinen von Kometen rief Weltuntergangsstimmungen hervor. Abstruse Prophezeiungen wurden in Umlauf gebracht und heizten die Panikstimmung noch mehr auf. Die bahnbrechenden Leistungen der Astronomen Galileo Galilei, Johannes Keppler und des Physikers Isaac Newton drangen erst allmählich ins allgemeine Bewusstsein. Dabei befassten sich selbst diese großen Wegbereiter der modernen Naturwissenschaften auch noch ernsthaft mit der Astrologie.

Von dem „Wunder-Stern“, der ein Zeichen Gottes gewesen sei

(Frei nach alten Quellen erzählt)

Als Anfang Dezember 1652 ein Komet erschien, der allerdings nur kurze Zeit sichtbar war, beschrieb und erörterte Jacob Ellrod (1601-1671), ein Mathematiker und Theologe, der am Alten Gymnasium in Hof an der Saale lehrte, in seinem Traktat „Memoria quadripartita Cometae“ den Kometen unter vier Aspekten. Der „Wunder-Stern“ müsse, um seine Existenz, Beschaffenheit, sein Erscheinen und seine Bedeutung zu erklären, unter astronomischen, „naturgemäßen“ (physikalischen/materiellen), astrologischen und theologischen Gesichtspunkten betrachtet werden. In seiner Beschreibung der materiellen Zusammensetzung folgte er zunächst der aristotelischen Lehrmeinung, Kometen entstünden aus trockenen, zähen, fetten, dicken, schleimigen und schwefligen Dämpfen und Dünsten, die wie Rauchnebel auf der Erde entstünden und bis in die obersten sublunaren Luftschichten aufstiegen, dort gesammelt und entzündet würden. Bei diesem Kometen könne es sich jedoch nicht um einen gewöhnlichen handeln, weil er jenseits der Mondbahn seine Bahn zöge, wohin die irdischen Dämpfe nicht gelangen könnten. Außerdem sei er größer als die Erde. Seine Betrachtung schloss Ellrod mit dem Ergebnis ab, der Komet sei ein ganz neuer, zuvor nie gesehener „kometischer Wunder-Stern“, dem eine besondere Bedeutung beizumessen sei. Er sei ein von Anbeginn der Welt herrührendes Werk Gottes, in dessen Allmacht es aber stünde, jederzeit etwas Neues zu schaffen. Er gäbe mit diesem „Wunder-Stern“ den Menschen zweifelsohne ein Zeichen. Eine bisher noch nie erfahrene Gottesstrafe brächte allen Menschen auf der Welt furchtbare Plagen. Es läge in Gottes Gnade, die Menschen davor zu bewahren. Wenn überhaupt, dann könne Gott nur durch Buße und Gebet gnädig gestimmt werden. Was Ellrod in seinem Traktat für gebildete Landeskinder niedergeschrieben und in Druck gegeben hatte, trug er mit geballter Wortkraft „einfältigen Leuten“ und seinen „lieben Pfarrkindern“ in Buß- und Bekehrungspredigten vor. Sein Traktat und seine Predigten waren typisch für die damals herrschende Droh-, Straf- und Bußtheologie, die Angst und Schrecken verbreitete. Im heute halbwegs aufgeklärten Europa könnte diese Theologie die wenigsten Gläubigen in die Kirchen treiben. Sie würde sogar eher den Exodus aus den Gotteshäusern beschleunigen. Die Kirchen zeigen sich heutzutage bemüht, ein menschenfreundlicheres Gottesbild zu propagieren. Der Himmelstyrann von damals hat theologisch ausgedient.

Der Droh-, Straf- und Bußtheologie entsprach das personale Gottesbild, das der Hofer Kupferstecher Tobias Wolfart im Frontispiz zu Ellrods Schrift beigesteuert hatte. Sein Kupferstich zeigt die östliche Hemisphäre des Himmels und darüber den allmächtigen Schöpfer und Herrscher der Welt. Der gekrönte und rauschbärtige Gottvater schwingt mit der rechten Hand eine Geißel und hält in der linken ein Langschwert. Ein zürnender Gott spricht aus einem flammenden Himmel und droht der unbotmäßigen Menschheit.

Hale-Bopp – Der kosmische Vagabund des Jahres 1997

Selbst als im März 1997 Hale-Bopp, der gut sichtbare Super-Komet, am samtschwarzen Himmel seine Bahn zog und sein langer, gespaltener Schweif schräg gegen den Zenit stand, schrieben ängstliche Gemüter dem Kometen die Schuld an den Erdbeben, Wetterkatastrophen, Hungersnöten und Kriegen der letzten Jahre zu. Astrologen und Himmelszeichen-Sinnsucher hatten Hochkonjunktur. In Magazinen und Zeitungen wurde ausführlich und bildreich an alte Ängste und Prophezeiungen erinnert. Sternwarten verzeichneten Besucherrekorde (siehe zum Beispiel FAZ Nr. 75 vom April 1997, S.12; dies.Nr.74 vom 29.03.1997, S. 3; SZ Nr. 77 vom 04.04.1997, S.3; SZ Nr. 73 vom 29./30/31.03.1997, S.10)

Im Jahre des Jahrtausend-Kometen Hale-Bopp kamen jedoch Sichtweisen und Erwartungen ins Spiel, die es bis in das 17. Jahrhundert hinein gewiss noch nicht gegeben hatte, nämlich die Vorstellung, dass sich außerirdische Wesen aus intergalaktischen Gegenden in Raumschiffen der Erde nähern und eine Invasion vorbereiten könnten. Nicht einmal in den kühnsten Fantasien vergangener Zeiten gab es Weltraumraketen oder gar bemannte Weltraumfahrzeuge. Erst im Jahre 1969 landeten Menschen auf dem Mond und Neil Armstrong, der US-amerikanische Astronaut, sprach jene Worte, die in die Menschheitsgeschichte eingingen: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Dieser Sprung stand im 17. und 18. Jahrhundert noch außerhalb des Denkmöglichen und des Fantasierens. Jedoch tönen und wirken die abstrusen und obskuren Prophezeiungen und Visionen der „dunklen“ Jahrhunderte in gewandelter Weise noch bis in das ausgehende 20. Jahrhundert nach. Astrologen, Katastrophensüchtige, ängstliche Sinnsucher, Scharlatane und Geschäftemacher bilden immer noch ein illustres Ensemble, das gern von sich reden macht. Hale-Bopp löste im März 1997 ein heftiges Kometen-Fieber aus, die Phantasien blühten, der Kometen-Wahn trieb Menschen in den Tod. Das Mittelalter schien zurückzukehren. Wie im 17. Jahrhundert verbreiteten die Printmedien fast täglich Berichte über Wahnideen von selbsternannten Propheten, Sektenführern, UFO-„Wissenschaftlern“, katholischen Fundamentalisten und Marienverehrern. Eine bunte Mischung aus alten Religionslehren und Theologien, aus Aberglaube und Astrologie, aus Okkultismus, Esoterik und Science Fiction, aus der virtuellen Welt der elektronischen Datenverarbeitung und World Wide Web befriedigte die Sensationsgier der Menschen oder unterhielt die Massen mit sonderbaren Geschichten. Das Gemisch verkaufte sich gut, obschon in unseren hochentwickelten Gesellschaften die meisten Menschen über die Wahnideen nur schmunzelten und lachten. Sie passten zur modernen „Spaßgesellschaft“, die sich gern unterhalten und amüsieren lässt.

„Der Spiegel“ das Hamburger Wochenmagazin, wusste von christlichen Fundamentalisten in Amerika zu berichten (Nr. 14 vom 31.03.1997, S.224-227), die in dem Kometen die Erfüllung der biblischen Johannes-Apokalypse sahen. „UFO-Wahnbesessene“ verbreiteten im Internet, der Komet sei nur Tarnung für ein gigantisches Raumschiff, das die Menschheit ausrotten würde. Laut UFO-Nachricht Nr. 237 war der Besucher aus dem Reich der Finsternis ein Protokollschiff vom Orion. In San Diego begingen 21 Frauen und 18 Männer der „Himmelstor“-Sekte gemeinsam Selbstmord, um sich in einem Raumschiff mit ihrem Gott Ti zu vereinigen. Ein Deutscher namens Johannes Bartel sah durch den Kometen sogar „die dritte Botschaft von Fatima“ erfüllt, die angeblich eines der bestgehüteten Geheimnisse des Vatikans sein soll: Fatima ist der Wallfahrtsort in Portugal, wo im Jahre 1917 drei Hirtenkinder Erscheinungen der Muttergottes erlebt haben wollen. Eine der angeblichen Botschaften Mariens wurde jahrzehntelang als dreiteiliges Geheimnis behandelt. Das eine betraf die Unvermeidlichkeit der Hölle für alle Sünder. Das zweite bezog sich darauf, dass Russland, vom Kommunismus befallen, „seine Irrlehren über die Welt verbreite“, sich aber wieder bekehren würde, wenn der Papst das Land dem „Unbefleckten Herzen“ Mariens weihte. Das dritte Geheimnis sollte nach den rätselhaften Aussagen der zehnjährigen Hirtentochter Lucia dos Santos gemäß Anordnung der Gottesmutter erst nach 1960 enthüllt werden. Auf Geheiß des Bischofs von Leiria schrieb sie es 1944 auf und es gelangte 1954 in einem versiegelten Umschlag endlich zum Vatikan. Seither wurde gerätselt, ob die Weissagung ein Schisma der Kirche, den gewaltsamen Tod eines Papstes oder gar den Atomkrieg betreffen würde. Einen Nuklearkrieg konnte die Jungfrau Maria im Jahre 1917 wohl kaum voraussagen, es sei denn, sie wäre schon im Besitz des Wissens der späteren Atomphysik gewesen. Doch sind Gläubige davon überzeugt, dass sogenannte überirdische Geistwesen, und zu denen rechnen sie die Muttergottes, ein Allwissen eigen sei. Jedenfalls verkündete der oben genannte Johannes Bartel heilsgewiss, durch den Kometen werde die dritte Botschaft von Fatima bestätigt, dass die „Wiederkunft des Herrn“ bevorstehe, der schon unter den Menschen weile.

1998, im Jahr nach Hale-Bobs Erscheinen, kam der Science-Fiction-Thriller „Deep Impact– der große Einschlag“ in die Kinos. Der Film bedient sich der alten Angstmuster, die er in die Gegenwart projiziert: die Angst vor dem Kometen als Unheilbringer. Er knüpft an die alten großen Erzählungen an: Sintflut, Arche Noah, Rettung. Der Präsident der USA spricht die Worte, die bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein in Buß- und Drohpredigten bei außergewöhnlichen Ereignissen gesprochen worden sind: „Gott stehe uns bei, Gott sei uns gnädig, wir legen unser Schicksal in Gottes Hand.“ Den Kometen durch atomaren Beschuss aus seiner bedrohlichen Bahn zu katapultieren, misslingt, aber einigen Helden glückt es zumindest, den Kometen so zu zerstückeln, dass die Einschläge der Teilstücke nicht die ganze Menschheit vernichten. Das sind die Katastrophen-Szenarien von heute. Bei aller wissenschaftlichen Aufklärung und sämtlichen Berechnungen der Risikowahrscheinlichkeiten ist die Angst vor den potenziellen „Unglücksbringern“ geblieben.

Die Angst vor plötzlichen Einschlägen vagabundierender Kometen und Asteroiden ist allerdings begründet. Allein schon im ersten Dezennium des 21. Jahrhunderts passierten mindestens sechs Asteroiden in verhältnismäßig geringer Entfernung die Erde. Einer davon, Asteroid 2016 QA2, wurde am 29. August 2016 erst wenige Stunden vorher entdeckt. Einige Asteroiden werden nach Berechnungen von Astronomen in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts der Erde so nahe kommen, dass eine Kollision für möglich gehalten wird. So wird beispielsweise am 13. April 2029 Asteroid Apophis im Abstand von nur 30.000 Kilometern an der Erde vorbeiziehen. Die Menschheit kann sich ihres Fortbestandes nicht sicher sein. Wie Geologie, Erdgeschichte, Astronomie und Astrophysik lehren, drohen Katastrophen, die ihren Untergang herbeiführen können.

Im Cockpit der Condor – Flug 381

Ähnlich wie mein Besuch des World Trade Centers in New York stellt der Flug 381 ein unwiederholbares historisches Ereignis dar, weil nach dem 11. September 2001 die Mitnahme von Passagieren im Cockpit aus Sicherheitsgründen grundsätzlich verboten wurde. Ich hatte das Glück, auf dem nächtlichen Rückflug von Dubai nach Frankfurt den Hale-Bopp aus dem Cockpit der Condor in 9000 Meter Höhe betrachten zu können. Es war ein faszinierendes und einzigartiges Ereignis. Ich hatte schon zahlreiche Flugreisen erlebt, darunter drei in die USA, doch prägte sich dieser Nachtflug in mein Gedächtnis am tiefsten ein. Ich beobachtete am Nachthimmel ein Jahrtausendereignis.

Anne, unsere älteste Tochter, Flugbegleiterin aus Passion, hatte uns zuvor auf eine Fünf-Tage-Reise nach Dubai eingeladen. Abflug nach Dubai am 5. März 1997 gegen 18 Uhr, Rückflug am 12. März am Spätnachmittag. Auf dem Hin- und Rückflug hatten wir einen wolkenlosen Himmel und klare Sicht, beide Male flogen wir in den Nachthimmel hinein. Ich liebe Flugreisen und beobachte immer begeistert Himmel und Erde- oben die Wolkentürme, unten die Vegetation, die Lichter der Städte, strahlende Verkehrsnetze und unbewohnte Gebiete, Wüsten, Gebirgsmassive und das Meer. Einen Fensterplatz mit guter Sicht besetzen zu können, ist mir jedes Mal enorm wichtig. Flugangst ist mir fremd, Fliegen ein wunderbares Erlebnis. Mich befremdet es sehr, wenn Mitreisende auf ihre Monitore starren und irgendwelche Filmsequenzen verfolgen.

Auf dem Flug von Dubai zurück nach Frankfurt am Main hatte Anne mit den Piloten vereinbart, mich im Cockpit Platz nehmen und Himmel und Erde von dort aus beobachten zu lassen. Ich saß rechts hinter dem Kopiloten und musste mich ein wenig ducken, um aus dem schmalen Fenster nach oben schauen zu können. Ungetrübt von künstlichen Lichtquellen und Staupartikeln sah ich den Kometen am nächtlichen Himmel stehen. Er zog hinter sich einen langen Doppelschweif hinterher. Ich hatte vorher viel über die Entdeckung Hale-Bopps gelesen, über seine langgestreckte Laufbahn um die Sonne, seine Beschaffenheit und ungewöhnliche Helligkeit. Er war durch die breite mediale Berichterstattung zu einem guten Bekannten geworden, den jedermann am Nachthimmel bestaunen konnte. Trotzdem war das stumme, kosmische Schauspiel, das er allnächtlich bot, auch faszinierend. Schon der bloße Anblick dieses geschweiften, kosmischen Vagabunden versetzte mich in ehrfürchtiges Staunen. Da zog ein mehrere Milliarden Jahre alter Riesenbrocken in einer Entfernung von nur 148 Millionen Kilometer an uns vorbei. Ich sah ein Jahrtausendereignis, das sich erst um das Jahr 4419 wiederholen wird. Ein Raumschiff, das dem Kometen angeblich folgte, konnte ich übrigens nicht entdecken. UFO-Fanatiker und religiöse Fantasten würden sagen: „Siehste! Du hast eben nicht die nötige Spiritualität!“

Während wir Nürnberg überflogen, leiteten die Piloten den langgezogenen Sinkflug nach Frankfurt am Main ein. Der Flieger setzte sanft auf. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass ich auf diesem Nachtflug mehrere großartige historische Situationen zugleich erlebt hatte. Es war die kurze Kometen-Zeit meines In–der-Welt-Seins. Bald werde ich nicht mehr da sein. Ich werde keinen Einblick haben in die Welt von Morgen und nicht den geringsten Einfluss darauf. Für einen neugierigen Menschen ein fast unerträglicher Gedanke. Wie mag die Welt im Jahre 4419 aussehen, wenn Hale-Bopp zurückkehren wird?

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