55.2 Zur bayerischen Landtagswahl 2018 – 2. Folge (21.10.2018)

Die Kreuz-Symbolpolitik der CSU

Wortlaut des Kreuz-Erlasses vom April 2018:

Ministerrat beschließt das Aufhängen von Kreuzen in Dienstgebäuden des Freistaats: Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes im Freistaat ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und in Deutschland anzubringen. Der Ministerrat hat am 24. 4. eine entsprechende Änderung der allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern beschlossen. Das Kreuz ist das grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung. Die Verpflichtung gilt für alle Behörden des Freistaats Bayern ab dem 1. Juni 2018. Gemeinden, Landkreisen und Bezirken wird empfohlen, entsprechend zu verfahren.“

Mit dieser Anordnung hat die bayerische Staatsregierung ihren identitätspolitischen Kurs fortgesetzt, den sie seit der bayerischen Kruzifix-Debatte von 1995 verfolgt hatte. Die Staatsregierung maßt sich an, kraft ihrer amtlichen Hoheit allgemein verbindlich definieren zu dürfen, was das Kreuz gefälligst zu symbolisieren habe, und macht das Kreuz zu einem bayerischen Staatssymbol. Sie schließt hierdurch andere religiös-konfessionelle Bekenntnisse und weltanschauliche Orientierungen aus. Das zentrale Symbol des christlichen Glaubens wird staatsamtlich seines zentralen Glaubensinhalts beraubt und zur kulturellen Dekormasse gemacht. Führende CSU-Politiker benutzen das Kruzifix als soziales Bindemittel. Mit der Kreuz-Symbolpolitik soll insbesondere die katholische Wählerschaft bei der CSU-Stange gehalten werden.

In der neuen Debatte über die Kruzifix-Anordnung sind die Streitfragen von 1995 in ihren Grundpositionen fortgesetzt und zugespitzt worden. Drei der sieben Verfassungsrichter hatten damals ein Minderheitsvotum vertreten, wonach das Kruzifix zur bayerischen Lebenswelt und zur Alltagskultur gehöre. Das Kruzifix sei ein Traditionssymbol ohne Glaubensinhalt. Ein missionarischer Charakter käme ihm nicht zu. Unter den besonderen bayerischen Verhältnissen bliebe das Kreuz im Rahmen des kulturell Typischen und Üblichen. Unter dem Motto „Das Kreuz bleibt – gestern, heute und morgen“ hatten sich 1995 die katholische Amtskirche, das Landeskomitee der Katholiken und zahlreiche katholische Laienorganisationen zu einer Aktionseinheit zusammengefunden und in München eine „Wehrt-Euch-Großdemonstration“ durchgeführt. Die freundliche vielfältige Kooperation von bayerischer Staatsregierung und katholischer Kirche hatte sich 1995 demonstrativ in wechselseitiger agitatorischer Indienstnahme kundgetan. Das Kruzifix gehöre zu Bayern, so der damalige CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber, wie der Chiemsee und die Berge, wie der Maßkrug und der Maibaum. In den Kruzifix-Debatten geht es um die kollektive Identität der bayerischen Heimatwelten, um „Bayerisches“ und „Nichtbayerisches“, um das Wir-Gefühl in Abgrenzung zu anderen. Die im bayerischen Volksschulgesetz vorgeschriebene Pflicht, an staatlichen Volksschulen in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen, verstoße folglich nicht gegen Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die christsozialen Identitätsmanager verstehen sich noch immer als Hüter und Pfleger bayerischer Heimatwelten und machen sich hierzu das Kreuz zu eigen. Staatsregierung und CSU bedienen mit ihrer christlich-abendländisch aufgeladenen Kreuz-Symbolpolitik katholische Heimatsphären und die katholische CSU-Wählerschaft. Das katholisch-staatsbayerisch eingefärbte Identitätsmanagement stutzt das zentrale Symbol des christlichen Glaubens, so sehen es laizistisch orientierte Kritiker und auch Theologen beider Großkirchen, zu einem Logo bajuwarischer Stammeskultur zurecht und instrumentalisiert es zum Zwecke des Machterhalts. Führende CSU-Politiker und zahlreiche kleine christsoziale Mitstreiter sagen frei heraus: Es ginge nicht um die Botschaft Jesu Christi, nicht um christliche Glaubensinhalte als solche und schon gar nicht um Dogmen. Niemand müsse das Kruzifix, so wird argumentiert, theologisch und dogmatisch (mehr) ernst nehmen. Es ginge im christlich-abendländischen Bollwerk Bayern um eine spezifische Lebensart und deren Ausstattung mit Dekorstücken christlich-abendländischer Kultur. Das Kreuz wird amtlich als mentaler Traditionskitt und als staatsbayerisches Identitätslogo verwendet und missbraucht.

Ministerpräsident Markus Söder hat sich argumentativ an die Minderheitsposition des Jahres 1995 angelehnt und erst nach massiven kritischen Einwände zugegeben, das Kreuz sei auch ein religiöses Symbol. Sein multimedial inszenierter Auftritt beim Aufhängen eines Kreuzes in der Staatskanzlei und sein selbstgefälliges Posieren vor den Kameras sind mit Befremden registriert worden. Söder hat wohl geglaubt, für seinen Kreuz-Erlass erneut mit breiter Unterstützung rechnen zu können. Er hat sich ein Stück weit verrechnet und lächerlich gemacht. Sogar aus kirchlichen Kreisen hat er heftigen öffentlichen Widerspruch hinnehmen und am Ende Museen, Theater und Universitäten sowie Hochschulen vom Erlass ausnehmen müssen. Söder hat schließlich sogar auf eine staatliche Kontrolle der Durchführung des Erlasses verzichtet. Tempi passati! Die konfessionspolitische Situation hat sich auch in Bayern seit 1995 weiter zum Nachteil der Hegemonialpartei verändert. Die römisch-katholische Kirche ist inzwischen wegen ihrer Missbrauchsskandale, weltfremden Sexuallehre und hierarchischen Strukturen in eine fundamentale Legitimationskrise geraten, was sich vermutlich auch auf das Wahlverhalten katholischer Bevölkerungsteile auswirkt. Die katholische Kirche hat 3677 Missbrauchsopfer auf dem Gewissen. Söders Erlass hat wohl weit mehr urbane Bildungsbürger und verärgerte Katholiken von der CSU weggetrieben als Herrgottswinkel-Katholiken zugunsten der CSU mobilisiert. Die staatsbayerische Kreuz-Symbolpolitik hat, so scheint es, nur noch im stark katholisch geprägten Niederbayern und in der Oberpfalz positiv zu Buche geschlagen. Dort liegen die Stimmkreise mit vierzig und mehr Prozent CSU-Stimmen.

Wie lange eine solche Strategie noch wirklich greifen wird, ist angesichts des auch in Bayern weiter zunehmenden Säkularisierungsdruckes fraglich. Der bayerischen Staatsregierung gelingt es immer weniger, die säkularisierenden Kräfte abzubremsen und die politisch-kulturelle CSU-Hegemonie staatsprotektionistisch zu stützen. Die freundlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen sind in Bayern so weit überdehnt, dass man mit guten Gründen von einem semisäkularen Staat sprechen kann. Jedenfalls werden die verfassungsgebotene Neutralitätspflicht des Staates verletzt und die freiheitlich-pluralistische Grundordnung unterlaufen. Der Lehrsatz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, der freiheitliche säkularisierte Verfassungsstaat lebe von Voraussetzungen, die er nicht garantieren könne, gilt auch für Bayern.

Der amtierende Generalsekretär der CSU, Markus Blume, der eigentlich als ein programmatischer „Vordenker“ der CSU gilt, bezichtigte Kritiker und Gegner des Kreuz-Erlasses im Tonfall klerikal-autoritärer Zeiten „Religionsfeinde und Selbstverleugner“ zu sein. Wörtlich: „ Bei den Kritikern haben wir es mit einer unheiligen Allianz von Religionsfeinden und Selbstverleugnern zu tun.“ Wer sich wie die Grünen gegen christliche Symbole im Alltag wende, habe eine „verkehrte Weltsicht“. Es sei „beschämend, wie man die eigenen Werte so verleugnen kann“ (PNP Nr. 98, 27.04.2018, S.1). Sein Freund-Feind-Weltbild lässt keine religiös-konfessionellen Differenzierungen und weltanschaulichen Pluralismus zu. Ein Grund nicht CSU zu wählen. Vor solchen Kreuzrittern ist zu warnen.

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