55.3 Zur bayerischen Landtagswahl 2018 – 3. Folge (26.10.2018)

Horst Seehofers Sturz steht kurz bevor

Noch vor der Jahreswende 2018/19 wird Horst Seehofer, dessen bin ich sicher, seine Ämter als Landesvorsitzender der CSU und Bundesinnenminister aufgeben müssen. Sein Sturz ist nur noch eine Frage der aktuellen Umstände und des Zeitpunkts. Schon unmittelbar nach der hessischen Landtagswahl (28.10.2018), in der CDU und SPD aller Voraussicht nach folgenreiche Verluste hinnehmen müssen, wird Seehofer zum Rücktritt von seinen Ämtern gezwungen. Die Mehrheit der Bundesbürger ist der Meinung, er sei der Hauptstörfaktor in der Großen Koalition, er trage permanent Zwistigkeit in die Bundespolitik hinein, er boykottiere eine gedeihliche Bundespolitik, er treibe seine Obstruktionspolitik auf die Spitze, drohe die Union zu spalten und vergreife sich in Stil und Ton. Auch in seinem Stammland Bayern werden die Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Bundeskanzlerin vor allem ihm angelastet.

Auch in Führungskreisen der CSU und an der CSU-Basis verliert Seehofer an Rückhalt. Ehemalige prominente CSU-Größen wie Theodor Waigel, Erwin Huber, Barbara Stamm, Max Straubinger und andere fordern nach dem Wahldebakel in öffentlichen Stellungnahmen rasche Konsequenzen und meinen damit mehr oder weniger unverblümt Seehofers Rücktritt. CSU-Kreis- und Bezirksverbände halten nicht mehr still, an der Parteibasis rumort es, der Unmut über die politischen Manöver und Winkelzüge des Landesvorsitzenden wächst. Der parteiinterne Vorwurf bemängelt, er habe seine ganze Kraft ausschließlich in die Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie in die Sicherheitspolitik investiert und dabei andere zentrale Politikfelder wie Umwelt und Ökologie vernachlässigt und den Grünen überlassen. Seine Auseinandersetzungen mit der Bundeskanzlerin seien überdies im Stil und im Ton überzogen und kontraproduktiv gewesen. Seehofers wiederholte indirekte Andeutungen, er werde gegebenenfalls zurücktreten, werden als Versuche gewertet, sich im Amt zu halten und personelle Konsequenzen bis zu einem Sonderparteitag hinauszuschieben. Seehofer wehrt sich.

Ich will nur zwei Beispiele anführen, ohne hier den jeweiligen politischen Kontext skizzieren zu können. Wissenschaftliche Spezialanalysen mögen später einmal untersuchen und beurteilen, was sich genau abgespielt hat und welche Wirkfaktoren mit welchem Gewicht den Gang der Dinge bestimmt haben. Aktuelle Stimmungen und Meinungen sind es, die Seehofer zu Fall bringen werden. Stimmungen entspringen nicht rein rationalen Kalkülen. Stimmungen sind mächtige Flutwellen, die in Ämter tragen, aber auch vom Sessel reißen, ihre Kraft ist nicht kalkulierbar. Eine ungeschickte Wortwahl oder ein falscher Zungenschlag genügt, um Stimmungen umschlagen zu lassen. Gestauter Unmut macht sich Bahn.

Seehofers Äußerung vom 6. Juni 2018, „die Migration (sei) die Mutter aller Probleme“ in Deutschland, löste einen medialen Sturm aus, Zustimmung und Ablehnung, enthusiastischen Beifall und harsche Kritik. Seine Behauptung erntete im Internet 5.200.000 Treffer. Aus den obersten Führungsrängen der CSU (und der CDU) mussten ihm Parteifreunde interpretativ beispringen, um seiner Behauptung eine seriöse/plausible Deutung zu verleihen (Alexander Dobrindt u.a.), Angela Merkel wich diplomatisch aus. Sie sage das anders: „Ich sage, die Migrationsfrage stellt uns vor Herausforderungen. Und dabei gibt es auch Probleme.“ Es gebe auch Erfolge. Doch half die geschickte Distanzierung Seehofer nicht aus der sprachlichen Klemme. Die politischen Nachwirkungen zeigten sich dann auch in der bayerischen Landtagswahl 2018 an den Wählerwanderungen weg von der CSU. Seehofers Behauptung ist logisch falsch, in der Sache faktisch nicht haltbar und politisch desaströs. Was haben Dieselabgaswerte, Stromnetzfragen, gentechnikfreie Landwirtschaft, Straßenausbaubeiträge, der Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen und andere Politikfelder mit der Migrations- und Asylproblematik zu tun? Aber er blieb mit einer kleinen Korrektur, mit einem „nicht nur“, bei seiner Behauptung. (Belege für viele: https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/CSU-und-Frei…abgerufen am 19.10.2018; https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/seehofer-migr…abgerufen 25.10.2018)

Das andere Beispiel. „Noch mal mache ich einen Watschenbaum nicht. Man kann mich kritisieren, aber das zu reduzieren auf den Horst Seehofer, und der ist für alles verantwortlich, das werde ich persönlich nicht mitmachen.“ „Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung.“ Und an anderer Stelle fügte er hinzu: Er stehe zu seiner Verantwortung als Landesvorsitzender, „aber ich übernehme sie nicht alleine“ (SZ Nr.243, 22.10.2018, S. 1). Seine „Watschenbaum“–Klage, er habe mit eisernem Willen konsequent eine sachlich gute Politik vertreten und dies in Übereinstimmung mit den strategischen Zielen der Partei, klingt nach heroischer Selbststilisierung und Selbstmitleid.

Seehofer ist keine charismatische Persönlichkeit, kein Visionär, ihm fehlt eine menschheitsgeschichtliche Perspektive. Ihn zeichnen keine Eigenschaften aus, die seinen Fall aufhalten könnten. Seehofers – gespielte? – Gelassenheit und Beharrungsneigungen wirken altersbockig und uneinsichtig. Er nimmt anscheinend nicht wahr, dass seine öffentlichen Auftritte und Äußerungen ihn nur noch weiter ins Trudeln bringen und seiner Partei schaden. Gerade in kritischen Situationen wirken seine Auftritte beschränkt und kleingeistig. An seinem 69. Geburtstag in der Öffentlichkeit genüsslich lächelnd zu bekunden, dass selbigen Tages 69 Afghanen abgeschoben worden seien, lässt jede Mitmenschlichkeit vermissen. Da sprach eine bürokratische Krämerseele aus ihm, der ein Kompass fehlt für die zivilisatorischen Tragödien. Dies wird auch von der urbanen, liberalen und weltoffenen Wählerschaft wahrgenommen.

Ein Kommentar

  1. Ihre abschließenden Bemerkungen zu Seehofers 69er Anspielung finde ich sehr gelungen formuliert. Meiner Meinung nach hat ihn da der politische Instinkt verlassen, der ihm hätte sagen müssen, dass solche Anspielungen eher kontraproduktiv und daher zu unterlassen sind. Für mich ein eindeutiges Zeichen von Senilität, die Seehofer auch in der Causa Maaßen an den Tag gelegt hat. Schon der Rücktritt vom Rücktritt hat gezeigt, dass der Mann nicht mehr so richtig weiß, was er tut. Sein Versprecher, in dem er sein Ministerium „Heimatmuseum“ nannte, war eine Freudsche Fehlleistung erster Güte 🙂

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